Massenentlassungen bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ in Regensburg
Eine bayerische Großstadt droht publizistisch auf der Strecke zu bleiben. Die IG Medien initiiert eine beispiellose Protestwelle.
Der ambitionierte Sportwagenfahrer (Crash-Erfahrung in Monza) gebietet über vier reizende Kinder, zwei Rassehunde und – einen Verlag. Dass dieses Unternehmen in der Auflösung begriffen sein könnte, bestreitet Peter Esser, gerade 43 Jahre alt geworden, vehement. Der Unternehmer regiert den Monopolverlag „Mittelbayerische Zeitung“ in Regensburg mit Lokalausgaben in der Oberpfalz, Teilen Nieder- und Oberbayerns mit einer Gesamtauflage von knapp 140000 Exemplaren nach Gutsherrenart. 69 Mitarbeiter des rund 600 hauptberuflich Beschäftigte zählenden Familienunternehmens, darunter zehn Redakteurinnen und Redakteure, sollen nach dem Willen des Konzernherrns in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Der Protest gegen die Massenentlassung, initiiert und begleitet von der IG Medien, steht auf breiter Basis. Alle Stadtratsparteien, diverse Verbände, kirchliche Organisationen bis hin zu Bischof Müller haben ihre Sorge geäußert, Protestresolutionen verfasst, vor einem Qualitätsverlust im redaktionellen Bereich gewarnt, an die soziale Verantwortung des Unternehmers – Peter Esser nennt sich selbst „Unternehmer“ und nur im Berufsverband „Verleger“ – erinnert und vor den Folgen eines Ausverkaufs gewarnt.
„Artikelaustausch“
Worin der bestehen soll? Im Verlagshaus überschlagen sich die Gerüchte. Auf einer Betriebsversammlung, die von Wut und Resignation gekennzeichnet war, sprach Esser von einem geplanten „Artikelaustausch“ mit anderen, nicht konkurrierenden Zeitungsverlagen. Nur zwei Stunden später, es war am Montag, 3. April, staunten Redakteure und Betriebsräte des „Münchener Merkur“ nicht schlecht. „Artikelaustauscher“ Esser wurde von MM-Verlagschef Dirk Ippen durch das Haus geführt. Was man wohl als Hinweis darauf werten muss, dass es um mehr geht als um eine Kooperation im journalistischen Bereich. Seit Jahren kursieren in Regensburg Gerüchte, der in publizistischer Hinsicht desinteressierte „Unternehmer“ plane den Verkauf seines Imperiums. Im Druckereihof wurden schon wiederholt Autos mit dem Kennzeichen „PA“ für Passau gesichtet. Kollegen aus der Redaktion beobachteten dies mit großer Ruhe. O-Ton: „Schlimmer kannÕs nicht werden.“ Soll heißen: Dem Verleger der „Passauer Neuen Presse“ wird eher zugetraut, den Fortbestand des Medienkonzerns, zu dem ein Hörfunkhaus, ein lokaler Fernsehsender und ein Anzeigenblatt zählen, zu sichern. Und das Klima der Angst abzubauen.
„Entlassungen zur Zukunftssicherung unumgänglich“
Peter Esser, der gerne dem Computerspiel frönt, sich an einer örtlichen Telefonfirma beteiligt, über eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts an Groß-„Events“ wie Bürgerfest Geld zu verdienen versucht und ins online-Geschäft investiert, spricht euphemistisch von „notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen“. Im Wirtschaftsteil seines Blattes, der MZ, die es seit 55 Jahren gibt, erschien am Tage nach den ersten avisierten Kündigungen unten links ein Einspalter. Entlassungen, hieß es darin, seien unumgänglich. Wegen „Zukunftssicherung“. Was das konkret zu bedeuten hatte, erfuhr das mehr oder weniger geneigte Regensburg erst aus der „Süddeutschen Zeitung“.
Der Massenrauswurf war generalstabsmäßig vorbereitet: Die Kandidaten auf der Abschussliste wuden per E-mail zu ihren Vorgesetzten zitiert. Chefredakteur Kurt Hofner, der sich dieses Amt seit 15 Jahren mit Gerd Otto teilt und als liberaler Geist gilt, hatte sich eine Standardformulierung einfallen lassen. „Ich habe Ihnen eine schlechte Nachricht zu überbringen. Der Betrieb beabsichtigt, sich von Ihnen zu trennen.“ Es folgten beschwichtigende Sätze des Inhalts, dass dies nicht etwas zu tun habe mit der Arbeitsleistung des Einzelnen.
Schnell war in den Fluren des Verlags die Rede von der „Exekutionsmaschine“. Da ist die Kollegin, die innerhalb von 15 Monaten bereits zum zweiten Male die Kündigung erwartet. Bis Ende 1999 diente sie als Redakteurin der hauseigenen Boulevardzeitung „die WOCHE“, die Konzernherr Esser im 31. Jahre ihres Bestehens handstreichartig „einstellte“. Betroffen damals: Zehn Redakteurinnen und Redakteure, eine langjährige Sekretärin. Die Hälfte der gekündigten Belegschaft fand auf Grund eines zweifelhaften Ausschreibungsverfahrens eine Folgebeschäftigung im „Mutterhaus“ MZ, die anderen mussten sehen, wo sie blieben in einer Stadt, in der medienmäßig ohne Esser nichts geht. Zitierte Kollegin also verzichtete bereitwillig auf die in anderen Fällen ausgesprochene „Freistellung“ bei voller Bezahlung (je nach Dauer der individuellen Kündigungsschutzfrist), um jetzt vor dem wohl endgültigen Ende ihrer journalistischen Laufbahn, jedenfalls in Regensburg, zu stehen. Man hatte ihr nach Art des Hauses „angeboten“, künftig als „feste Freie“ zu arbeiten. Unternehmer Esser spart gerne Sozialabgaben.
„Wir sind die MZ“
Seit Mitte März versammeln sich jeden Samstag Beschäftigte des MZ-Verlages in der Regensburger Altstadt. „Wir sind die MZ“, wird auf eine Losung der legendären Montagsdemonstrationen von Leipzig angespielt. Hunderte von Unterschriften wurden gesammelt, der Bürgerschaft von Regensburg vor Augen geführt, dass weniger Personal eben auch weniger Qualität, jedenfalls aber weniger Lokalkolorit bedeuten müsse. Örtliche Mandatsträger, darunter auch CSU-Granden, machten schriftlich deutlich, dass Bayerns viertgrößte Stadt auf eine eigenständige Zeitung zu verzichten nicht bereit sei. Seitens des unterdessen geradezu berüchtigten „MZ-Leitungskreises“ – der sich nach der ersten Arbeitsplatz-Exekution auf Einladung Essers ein zünftiges Mir-san-mir-Wochenende im Kurort St. Engelmar, Bayerischer Wald, gönnte – werden Nebelkerzen gezündet. Mal heißt es, der MZ-Verlag kooperiere mit der PNP, mal ist die Rede von einer Zusammenarbeit mit der „Augsburger Allgemeinen“, und dann schwirrt immer öfter der Name des Zentralorgans der bayerischen Freistaatsregenten, des „Münchener Merkurs“, durch die aufgewühlte Landschaft.
Konservative Kritiker der Esserschen Kahlschlagspolitik fürchten den Verlust des Regensburg-Profils durch freundliche Übernahme wesentlicher Teile des Zeitungsmantels aus München, sozialdemokratische Mandatsträger, von der MZ ohnedies nicht eben verwöhnt, sehen das rudimentär liberale Profil des Blattes zur Disposition gestellt. Esser beschwichtigt: An der Linie des Hauses – hinzuzufügen ist: soweit erkennbar – werde sich nichts ändern. In der Redaktion, die wie paralysiert wirkt („Wer ist der Nächste?!“), erntet der lokale Zeitungsmogul nur noch Hohn und Spott – auch von Kolleginnen und Kollegen, die es bisher nicht als ihre vordringliche Aufgabe betrachteten, der Allianz aus örtlichem Stadtregiment, Fürstenhaus und Bistum auf die Finger zu sehen. Von Klopfen nicht zu reden.
Soziale Verantwortung?
Da ist der stadtbekannte Fotograf, seit 35 Jahren in den Diensten des Hauses, dem die Kündigung avisiert wurde und der kurz darauf einen Zusammenbruch erlitt. Man hatte dem Mittfünfziger erklärt, er solle sich mit dem ebenfalls von Kündigung bedrohten Fotografenkollegen zusammentun, ein Büro gründen und „das Haus“ werde die Resultate gemeinsamer Arbeit schon abkaufen. Da ist der Anfangdreißiger, Vater eines kleinen Kindes, dessen Ehefrau in Erziehungsurlaub ist, den man erst zu Jahresbeginn von der Lokal- in die Mantelredaktion holte, um ihm jetzt den Rausschmiss anzukündigen. Und da ist der frühere Politikchef, dessen Arbeit über zehn Jahre hinweg unbeanstandet blieb, der dennoch erst degradiert und jetzt mit der Entlassungsandrohung bedacht wurde. Selbst der Trägerin des Preises der bayerischen Bezirke, Mutter zweier noch nicht schulpflichtiger Kinder, will man den Stuhl vor die Türe setzen.
Widerstand
Soziale Verantwortung im Hause Esser? Fehlanzeige. Publizistisches Engagement? Auf Bingo-Niveau zweifelhafter Marketing-Fuzzis. Die weiteren Aussichten? Regensburg wird die Stadt Bayerns mit den meisten (arbeitslosen) Journalisten und dem dürftigsten Medienangebot. Das Steuer herum zu reißen versucht die IG Medien, die den betroffenen Kolleginnen und Kollegen Rechtsschutz anbietet. Die anstehenden Kündigungsschutzprozesse haben durchaus Aussicht auf Erfolg. Im Rahmen dieser Prozessflut wird Unternehmer Esser den Nachweis zu erbringen haben, Redakteurinnen und Redakteuren betriebsbedingt korrekt gekündigt zu haben, um ihnen danach zu offerieren, sie in gleicher Funktion als „Freie“ weiter zu beschäftigen.
Der örtlichen Vorsitzenden der IG Medien, Irene Salberg, liegen bereits mehr als 500 Unteschriften vor, die sich gegen die Kahlschlagspolitik richten. Diese doch beeindruckende Rückmeldung der Leser überreichte Irene Salberg anlässlich einer Betriebsversammlung. Auf einer von der IG Medien organisierten Protestkundgebung in der Regensburger Altstadt befassten sich zwölf Redner mit den Plänen Essers. Immerhin durfte dessen Zeitung auf der zweiten Lokalseite einen – harmlosen – Bericht darüber veröffentlichen.