Quo vadis, Berliner Verlag?

In der Hand britisch-amerikanischer Finanzinvestoren

Noch am Vorabend der Vertragsunterzeichnung hatten Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaften leidenschaftlich vor dem Verkauf des Berliner Verlags an das britisch-amerikanische Konsortium gewarnt. Verdi-Vizechef Frank Werneke verwahrte sich dabei gegen den Vorwurf angeblicher „Ausländerfeindlichkeit“. Zwar sei das Engagement von – auch internationalen – Finanzinvestoren kein Novum in der deutschen Wirtschaft, wohl aber in der Zeitungsbranche.

„Zeitungshäuser leben davon, dass sie langfristige Rendite erzielen, nachhaltig agieren, dass sie sorgfältig mit ihren Leserinnen und Lesern umgehen, dass sie neben den Wirtschaftsinteressen auch immer ein publizis­tisches Interesse haben“, sagte Werneke. Zeitungen seien „Teil unserer Kulturlandschaft, nicht x-beliebige Unternehmen“.

Mit drastischen Worten hatten auch rund 140 Prominente in einem Aufruf des „Netzwerks Recherche“ die Gefährdung der inneren Pressefreiheit im Berliner Verlag durch den geplanten Deal beschworen. Aus der Sicht von „Finanzabenteurern“ handle es sich um ein normales Geschäft, hieß es darin, „aber deren Raffgier kann den publizistischen Ruin bedeuten“. Gefolgt von einem Appell an den „respektablen Holtzbrinck-Verlag“, sein eigenes publizis­tisches Ansehen zu bewahren und von der umstrittenen Transaktion abzulassen.

Doch alle Proteste nutzten zunächst nichts. Ende Oktober meldeten die Beteiligten Vollzug. Danach wird der Berliner Verlag – vorbehaltlich der Zustimmung des Bundeskartellamtes – von den Finanzinvestoren Mecom und Veronis Suhler Stevenson (VSS) übernommen. Sie bestimmen künftig die Geschicke der Berliner Zeitung, des Boulevardblatts Berliner Kurier und der führenden Stadtillustrierten TIP. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Nach einer unbestätigten Meldung des britischen „Independent“ soll er bei 100 Millionen Pfund (= etwa 147,6 Millionen Euro) liegen. Die – so fürch­ten die Betroffenen – müssen jetzt mittels rigidem Kostenmanagement wieder erwirtschaftet werden.

Qualitätseinbußen befürchtet

Von Verlegerseite kamen zunächst beschwichtigende Töne. Mit dem Verkauf an Mecom / VSS trete „ein verlegergeführtes, finanzstarkes Unternehmen neu und kartellrechtskonform auf den Markt“, äußerte Verlagsgeschäftsführer Stefan von Holtzbrinck. Es werde „im Zuge einer auf lange Sicht angelegten Strategie mit Optimis­mus in Deutschland investieren“ und verspreche, „im Rahmen einer Wachstumsstrategie die Unabhängigkeit und Qualität der Titel zu erhalten“.

Stellvertretend für die neuen Herren des Berliner Verlags bekundete auch Mecom-Chef David Montgomery prophylaktisch seinen „großen Respekt vor der deutschen Zeitungsindustrie“. Das Konsortium werde „stolzer Hüter der redaktionellen Freiheit“ in den Publikationen des Ber­liner Verlags sein und begreife sich „höchsten Standards journalistischer Qualität, verlegerischer Integrität und guten Managements“ verpflichtet. Ein Wolf im Schafspelz nach dem Verzehr einer mächtigen Portion Kreide? Nicht wenige der Betroffenen fürchten genau dies. Nach Presseberichten profilierte sich Medienunternehmer Montgomery in den 90er Jahren bei der britischen Mirror-Gruppe als Verantwortlicher für Massenentlassungen und erwarb sich ein zweifelhaftes Image als Gewerkschaftsfresser. Ob er diese Rambo-Rolle auch im Berliner Verlag spielen will?

Der so Gescholtene bestreitet dies. Er kündigte umfangreiche Investitionen in ein neues Redaktionssystem, in die Anzeigentechnik sowie in neue Druckmaschinen an. Zum anderen werde man neue Konzepte für die Blätter des Verlags entwickeln, die nicht zu Lasten der Qualität gingen. Die „Berliner Zeitung“ als „anspruchsvolle Publikation“ werde man noch weiter entwickeln, „zu einer Zeitung etwa vergleichbar mit dem Guardian oder dem Independent in Großbritannien“. Mit ungewöhnlicher Offenheit hatten in den Tagen vor Vertragsabschluss die Redaktionsleitungen von Berliner Zeitung und Berliner Kurier gegen die Übernahme Stellung bezogen. In einem Offenen Brief an die Leser hatte Uwe Vorkötter, Chefre­dakteur der Berliner Zeitung, vor einem Ausverkauf der publizistischen Ambi­tionen des Blattes durch Renditejäger gewarnt. Nach der Transaktion gab er sich „beruhigt, zunächst mal“. Darüber, „dass sie hier nicht kurzfristig Kasse machen wollen, dass sie auf hohe journalistische Qualität setzen, dass sie von Berlin aus eine Expansionsstrategie fahren wollen“. Andererseits, so Vorkötter: „Die Skepsis, ob das alles so aufgeht, die gibt es unverändert, und es wäre falsch, darüber hinweg zu reden“.

Unklarheit besteht über die weiteren Expansionspläne von Mecom / VSS. Montgomery hat angekündigt, im Rahmen einer „Buy and build“-Strategie weitere Regionalzeitungen zu erwerben. Nach Auffassung der meisten Branchenexperten gibt es allerdings derzeit kaum freie Objekte für den Aufbau einer solchen Zeitungskette. Zum anderen hat in dieser Frage auch das Bundeskartellamt ein Wörtchen mitzureden. Auch ausländischen Investoren könne eine Expansion in Richtung einer marktbeherrschenden Stellung untersagt werden, warnte vorsorglich Kartellamtschef Ulf Böge. Zunächst aber wollen die Wettbewerbshüter prüfen, ob beim soeben vollzogenen Deal alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Falls durch eventuelle Vereinbarungen über Rückkäufe durch die Hintertür Verstöße gegen das Kartellrecht ermittelt werden, könnte der Verkauf auch untersagt werden. So ganz weit hergeholt erscheint eine solche Möglichkeit nicht. Schließlich war Holtzbrinck schon beim kurzzeitigen Verkauf des Tagesspiegel an seinen einstigen Ex-Manager Pierre Gerckens mit einem durchsichtigen Strohmann-Manöver auf die Nase gefallen.

Auch nach dem aktuellen Verkauf schwelt der Streit um das Verhalten Holtzbrincks bei der umstrittenen Transaktion weiter. Der Kölner Verlag DuMont Schauberg (MDS) teilte mit, es habe seit „deutlich mehr als einem Jahr intensive Gespräche mit Holtzbrinck über den Verkauf eines Berliner Verlages“ gegeben Dabei habe Holtzbrinck „bis zuletzt“ den Eindruck ver­mittelt, MDS im Fall eines Verkaufs „selbstverständlich und bevorzugt“ an Bietergesprächen zu beteiligen. Holtzbrinck hatte behauptet, DuMont Schauberg habe sein Kaufinteresse zu spät formuliert.

Redaktionsstatut unerlässlich

Wenn Verantwortliche der Stuttgarter Verlagsgruppe jetzt behaupteten, das restriktive deutsche Kartellrecht habe keine Alternative zugelassen, sei dies eine reine Schutzbehauptung, argumentiert auch ver.di. Schließlich sei die wettbewerbsrechtliche Situation auf dem Berliner Zeitungsmarkt bekannt gewesen. Auch hätten sich „durchaus kaufkräftige Interessenten auf dem heimischen Markt“ für Berliner Zeitung und Tagesspiegel interessiert, sagt Martin Dieckmann, medienpolitischer Referent von ver.di. Und zwar nicht nur DuMont und die WAZ-Gruppe. Er erinnert an das groteske Ministererlaubnisverfahren im Jahr 2003 im Hause von Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. Damals habe es „einen Großverleger gegeben, der hat eine 20jährige Bestandsgarantie geboten – Heinz Bauer“. Den habe Holtzbrinck aber nicht gewollt. In Wahrheit sei es darum gegangen, das bewährte Regelwerk der deutschen Pressefusionskontrolle im Sinne der Großverlage zu durchlöchern.

Von 20jährigen Bestandsgarantien ist bei den neuen Eignern selbstverständlich nicht die Rede. Nicht mal von einer „langfristigen Beschäftigungssicherung“ für die rund 750 Kolleginnen und Kollegen des Berliner Verlags, wie sie Betriebsrat und ver.di fordern. Kein Unternehmen könne in diesen Zeiten Derartiges versprechen, so die kühle Absage von Mecom-Boss Montgomery. Und wie steht es mit dem Versprechen der Investoren, sich als „stolzer Hüter der redaktionellen Freiheit“ im Verlag zu engagieren? Die Unterstützung von Betriebsrat und Gewerkschaft dürfte gewiss sein. Ver.di-Vize Frank Werneke plädiert für eine Absicherung der publizis­tischen Unabhängigkeit, „insbesondere durch Redaktionsstatute und Mitbestimmungsrechte bei der Besetzung der Chefredaktionen“. Der Entwurf für ein Redaktionsstatut soll in Kürze vorliegen

Die Belegschaft will die neuen Eigner beim Wort nehmen und sich gegen negative Auswirkungen überzogener Rendite­orientierung zur Wehr setzen. Unmittelbar nach dem Verkauf konstituierte sich der Konzernbetriebsrat (KBR) der Berliner Verlagsgruppe. Ihm gehören die Vertreter der Betriebsräte des Berliner Verlags, der G+J Berliner Zeitungsdruck, des TIP-Verlags und der G+J-Anzeigenzeitungen an. Erste KBR-Vorsitzende ist Renate Gensch, in Personalunion auch Betriebsratsvorsitzende des Berliner Verlags. „Wir fordern Arbeitsplatzgarantien, den Erhalt der Berliner Verlagsgruppe, die Vorlage aller Konzepte und Businesspläne sowie die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat“, sagt Gensch.

Für Arbeitsplatzsicherheitund Mitbestimmung

Im künftigen Aufsichtsrat der Berliner Verlagsgruppe könnte auch ein alter Bekannter sitzen: Gerd Schulte Hillen, seit seinem Abgang bei Bertelsmann 2003 nach eigenem Bekunden Besitzer eines „lebenslangen Abos“ der Berliner Zeitung. Der G+J-Konzern-Betriebsausschuss forderte ihn brieflich auf, sich für die bei G+J bewährte „gute Unternehmenskultur“ in Sachen Arbeitsplatzsicherheit und Mitbestimmung auch bei den neuen Eigen­tümern „mit aller Kraft einzusetzen“. Insbesondere die Bildung von Redak­tionsbei­räten und die Verabschiedung eines Re­daktionsstatuts für die Berliner Ver­lagsgruppe seien unerlässlich, „um zu ­verhindern, dass die journalistische Un­abhängigkeit und die Qualität der Ver­lagsprodukte reinen Rendite-Überlegungen zum Opfer fallen“.

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