In Tagen, in denen Verleger vom Ende der gedruckten Regionalzeitung nicht mehr nur orakeln, sondern einige es sogar schon ankündigen, wächst die Verunsicherung bei Lesern und Beschäftigten. Ist die Verschiebung des Informationskanals von Print zu Digital die Rettung der regionalen Tageszeitungen? Und wenn nicht, was dann? „Alles online, alles gut!?“ war am 27. August die Frage bei einer Diskussionsveranstaltung der dju in Hamburg.
Moderiert von der Vorsitzenden der dju Nord, Sigrid Thomsen, diskutierten der Lokaljournalist Sven Kummereincke, der Erfahrungen aus seinem Alltag als Redakteur und Betriebsratsmitglied des Hamburger Abendblatts beisteuern konnte, und Andrea Zaldivar Maestro, Redaktionsleiterin der taz-Nord. Der Einführungsvortrag kam von Martin Dieckmann, Fachbereichsleiter Medien im ver.di-Landesbezirk Nord. Am Ende standen keine eindeutigen Antworten, aber eine radikale Forderung: Wenn, wie er glaube, die Regionalzeitungen aussterben, müssen die öffentlich-rechtlichen Medien die Funktion der Lokalberichterstatter übernehmen dürfen, sagte Martin Dieckmann. Nur so könne die wichtige Rolle von Regionalmedien im demokratischen Willensbildungsprozess gewahrt werden.
Dieckmann skizzierte die Entwicklung der Regionalpresse in den letzten 30 Jahren: Mit 312 von 327 Tageszeitungstiteln in Deutschland und einem Anteil von 10,8 Millionen an einer Tageszeitungsauflage von insgesamt 13,6 Millionen stellen Regionalzeitungen das Gros der täglich erscheinenden deutschen Printprodukte. Regionalzeitungen erreichen 46,4 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren. Diese Zahlen belegten eine immer noch erhebliche Relevanz der regionalen Tagespresse, sagt Dieckmann, „aber in der zeitlichen Reihung wird ein sehr früh einsetzender Schrumpfungsprozess erkennbar“.
Verschiebung zu wohlhabender und gebildeter Leserschaft
Dieser setzte so früh ein, dass er mit dem Aufkommen des Internets nichts zu tun haben könne. Auch die wichtigsten technischen Umwälzungen im Internet ließen sich in der Abwärtskurve nicht als signifikante Faktoren ablesen.
Vielmehr, so Dieckmann, seien gesellschaftliche Spaltungsprozesse für die Halbierung der Regionalzeitungsauflagen in den vergangenen 30 Jahren verantwortlich: „Die klassische Regionalzeitung spricht mit einem breiten Angebot alle Gesellschaftsschichten an“, sagte Dieckmann, „alt und jung, gebildet und ungebildet, reich und arm.“ Die Entscheidung der Verleger, wegbrechende Anzeigenerlöse durch steigende Zeitungspreise wieder hereinzuholen, verschiebe die Zielgruppe „aber in Richtung wohlhabender und gebildeter Leser“.
Sollte die gedruckte Zeitung tatsächlich durch Online-Publikationen ersetzt werden, gebe es derzeit zwei Geschäftsmodelle, sagt Dieckmann: Bezahlte Angebote, welche wiederum nur Bildungs- und Einkommenseliten ansprächen, oder werbefinanzierte Reichweitenmodelle, die jedoch im Ringen um die höchsten Klickzahlen allzu häufig in Sensationsjournalismus ohne große Informationstiefe verfallen.
Kritisch gegenüber Reichweitenportalen
Sowohl Andrea Zaldivar Maestro als auch Sven Kummereincke haben praktische Erfahrungen mit dem Wandel. Die taz setzte schon früh auf den Verbreitungskanal Internet und ein freiwilliges Bezahlmodell. Das Abendblatt fährt im Internet zweigleisig mit einem E-Paper, das die gedruckte Zeitung eins zu eins spiegelt, und einer Onlineausgabe, die im Bedarfsfall aktuell berichten und sich schnell der Lage anpassen kann. „Es macht eine gute Story nicht anders, wie sie veröffentlicht wird“, sagte Kummereincke, mahnte aber auch an, beim Qualitätsjournalismus zu bleiben: „Eine schlecht recherchierte Geschichte braucht kein Mensch! Leider kommt das aus Verlegermund oft nur als Sonntagsrede, denn der klassische Verleger ist am Aussterben. Die Verlagsmanager von heute haben gestern Babybrei in Gläsern verkauft und machen morgen etwas anderes. Die leben nicht für die Zeitung, sondern für die Zahlen.“ Kummereincke sprach sich gegen Reichweitenportale aus: „Die sind nicht nur journalistisch fragwürdig. Ich sehe auch nicht, dass sie wirtschaftlich Zukunft haben, denn Sensationsmeldungen sind so austauschbar, dass keine Kundenbindung entstehen kann.“
Bei der taz werde derzeit am „Szenario 2022“ gearbeitet. Das könnte in der Tat so aussehen, dass es wochentags keine gedruckte Ausgabe mehr gibt. Herstellung und Vertrieb seien bei der Genossenschaftszeitung ein noch größerer Kostenfaktor als bei der klassischen Konkurrenz. „Es ist noch alles im Fluss“, so Zaldivar Maestro, „aber es könnte so kommen und es ist unsere Aufgabe alles dann so zu gestalten, dass auch diese Veröffentlichungsvariante gut wird. Wir brauchen dabei Qualitätsjournalismus – Journalist*innen, die einordnen und transportieren können!“
Für Diversität auch im Netz
Um diesen Anspruch umzusetzen habe die taz mehrere Produktentwicklerinnen beauftragt. „Die liefern spannende Ideen“, sagte Andrea Zaldivar Maestro, „ich bin optimistisch.“
ver.di-Fachbereichsleiter Martin Dieckmann warnte davor, Print zu schnell aufzugeben. „Wer eine Tageszeitung durchblättert, hat immer einen umfassenderen Informationsüberblick als jemand, der im Netz surft“, sagte er. Umfassende Informationen mündiger Bürger seien aber Grundlage der Demokratie. „Wenn lokale Nachrichten nur noch online transportiert werden, gibt es nur eine Möglichkeit, die Diversität der jetzigen Zeitungen auch im Netz abzubilden: Der Passus im Rundfunk-Staatsvertrag, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Lokalberichterstattung im Internet untersagt, muss gestrichen werden!“
Der Vortrag von Martin Dieckmann:
„Krise der regionalen Tagespresse – alles online, alles gut?“
PDF: Regionale Tagespresse 2019