Zukunftsforscher: „Das Zeitungssterben beginnt erst!“
Es ist die meistgestellte Frage des Jahres 2012: „Herr Zukunftsforscher, haben Sie denn auch schon einmal geschaut, was von ihren Zehn-Jahres-Prognosen nach zehn Jahren auch wirklich eingetreten ist?“ Ich kann inzwischen Wetten darauf abschließen: Wenn ich bei meinen Vorträgen auf Kongressen und Strategietagungen von Unternehmen erklärt habe, warum in zehn Jahren elektronische Assistenten, Brainfood und ähnliche Trends unser Leben bestimmen werden, und es ist ein Journalist anwesend, dann kommt am Ende diese Frage. Meist verbunden mit einem süffisanten Lächeln. Seit ein paar Wochen lächle ich zurück.
Exakt das jetzt beginnende Zeitungssterben haben wir Trendforscher bereits vor acht Jahren prognostiziert. Auf dem Höhepunkt der Krise der Musikindustrie war bereits absehbar, dass der Trend mit gleicher Wucht auch die Geschäftsmodelle der Tageszeitungsverlage und später der Radio- und TV-Stationen treffen wird. Binnen weniger Jahre halbierte die Musikindustrie ihren Umsatz, kündigte die Hälfte ihrer Mitarbeiter. Einher gingen Pleiten von kleinen und Zusammenschlüsse der großen Labels. Und trotz der Fusionen sind diese heute keine Majors mehr, allenfalls Mittelständler. Exakt das gleiche Szenario erwartet die Verlage.
Die Gründe lassen sich kurz und bündig zusammenfassen. Der Wichtigste vornweg: Der Anzeigenmarkt verlässt kontinuierlich die Massenprodukte und wendet sich individuellen Werbeformen zu, die Streuverluste vermeiden und direkten Response ermöglichen. Zugleich entkoppeln Over-the-top-Angebote (OTT) aggressiv das Geschäftsmodell von der Infrastruktur und drängen die etablierten Infrastrukturanbieter skrupellos an den Rand. Dies gilt übrigens für alle Infrastrukturen, von Strom- und Telefonleitungen über Flugzeuge und Automobile bis TV-Frequenzen und Zeitungen. Im Medienbereich kommt natürlich noch die rasante Display-Entwicklung hinzu. Sie bringt weiterhin neuartige elektronische Geräte, die die bisherigen papiernen Trägermedien (Bücher, Zeitungen) ablösen. Der Markt des bedruckten Papiers wird sich in den kommenden Jahren zu einem Premiummarkt entwickeln … klein aber teuer! Und nicht zuletzt sind Leser immer weniger bereit, ihr Geld für Abonnements von Massenprodukten auszugeben, die weder direkt auf ihre individuellen Interessen zusammengestellt sind noch einen Mehrnutzen im Vergleich zu kostenlosen Webangeboten bringen.
Um es unmissverständlich zu sagen: Die bislang etablierten Geschäftsmodelle von Tageszeitungsverlagen im Massenmarkt sind vorbei. Das Zeitungssterben hat gerade erst begonnen. In zehn Jahren werden wir nur noch einen verschwindend kleinen Premiummarkt von teuren Special-Interest Wochen- und Monatszeitungen nach bisheriger Logik haben. Thats it!
All dies steht in unseren Trendstudien bereits seit 2004. Deshalb scheint es einigermaßen überraschend, wie überrascht jetzt alle tun. Doch mit der Ignoranz für unsere Studien könnte ich noch leben. Das ist normales „Berufsrisiko“ für Zukunftsforscher. Wirklich geärgert habe ich mich aber über die Erklärungen der Chefredakteure und Verlagsleitungen, die in den letzten Wochen zu lesen waren: Da wird geschwafelt von Veränderungen im Leserverhalten, vom bösen Internet, von der Entpolitisierung der linken FR Leser … und, und, und … alle sind schuld, nur wir selbst nicht! So ein Blödsinn! Der wirkliche Grund des Zeitungssterbens ist das Missmanagement der Verlagsleitungen. Schuld an der Misere sind jene Verlagsleitungen die nicht reagiert haben und jene Entscheidungsträger – übrigens auch jene Arbeitnehmervertreter – die eine adäquate und entschlossene Reaktion verhindert haben. Die Wahrheit ist: Es gibt in der Verlagslandschaft eine große Koalition der Komfortzonen-Sitzer und Pfründe-Wahrer. Es gibt sie auch heute noch, man kann ihr Festklammern an gestrigen Geschäftsmodellen täglich in den Analysen als angebliche Experten lesen. Motto: Dann gehen wir halt unter … Hauptsache wir müssen unser liebgewonnenes Denken nicht verändern!
Dabei müsste das alles nicht sein!
Denn das Sterben ist auch für Tageszeitungsverlage keinesfalls programmiert. Einige wenige Verlage haben in den vergangenen Jahren auf die Warnungen der Trendforscher reagiert. Sie machen inzwischen nur noch 30% ihres Geschäfts mit bedrucktem Papier, bis zu 70% dagegen online. Allerdings funktionieren diese Onlinegeschäfte nicht nach bisheriger Verleger- und Chefredakteurslogik! Stattdessen nutzen sie ihre Reichweite, um den Kunden echte Produkte zu verkaufen. Sie werden zu Onlineshops und elektronischen Assistenten. Die Kunden lieben das und geben dafür Geld aus. Dies ist der künftige Massenmarkt für Medienhäuser. Und dies ist zugleich die gute Nachricht! Diese habe ich in den letzten Wochen in meinen Vorträgen bei Kundenevents oder Vorstandstagungen von Schwarzwälder Bote bis Burda Verlag, von Süddeutsche bis Schweizer Medienverband, von Stuttgarter Zeitung bis Rheinische Post immer wieder betont. Diese neuen Erlösmodelle sind auch für andere Verlage nutzbar.
Das Problem sind erneut die Vorstände und Entscheidungsträger: Denn wer seinen Verlag verantwortungsbewusst in die Zukunft führen will, der wird in dieser Situation die Grundregeln, Werte und Geschäftsmodelle seines Unternehmens verändern müssen. Die Vorstände müssen raus aus der Komfortzone. Und auch die Gewerkschafter! Die wirkliche Schwierigkeit ist eine mentale, keine wirtschaftliche!
Denjenigen die den Turnaround geschafft haben, ist eines gemeinsam: Sie haben sich entschlossen, Ihr eigenes Geschäftsmodell anzugreifen. Sie haben die verlegerische Logik des Erstellens eines neutralen redaktionellen Umfeldes für Werbeanzeigen verlassen. Sie sind dazu übergegangen, online nicht mehr Werbung, sondern eigene Services und Produkte zu verkaufen. Sie verstehen das Internet nicht als zusätzlichen Vertriebskanal, sondern als Werkzeug um das eigene Produkt adaptiv zu machen. Dieser schmerzhafte aber lebensrettende Angriff auf das eigene Geschäftsmodell ist die eigentliche Aufgabe der Innovationsprozesse, die wir Trendforscher derzeit in der Verlagsbranche leiten. Es wird auch Zeit!