Rote Karte für Sozial-Foul

Die Mediengruppe Madsack hat in den vergangenen Jahren stark expandiert. Nun wird bei vielen Zeitungen rationalisiert. 400 Beschäftigte bundesweit zeigen der Geschäftsführung die „Rote Karte“.

Demonstration gegen die Entlassung von 41 Kollegen der MAZ in Potsdam Foto: Christian von Polentz
Demonstration gegen die Entlassung von 41 Kollegen der MAZ in Potsdam
Foto: Christian von Polentz

An deutlichen Worten mangelt es Karin Wagner nicht: „Sehr ernst“ sei die Lage bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung. „Im Härtefall wird unser Haus nicht mehr gewollt.“ Vor dem Werkstor der Märkischen Verlags- und Druckgesellschaft in Potsdam haben sich gut 130 Beschäftigte versammelt. Sie demonstrieren gegen die Entlassung von 41 Kollegen, die der neue Eigentümer, die Hannoveraner Mediengruppe Madsack, im Juni bekanntgegeben hat. Es sei kein Streik, betont Betriebsratsvorsitzende Wagner, sondern eine „aktive Mittagspause“ – Getränke und „rot lackierte Würstchen“ kommen von ver.di. Die Sorge der Anwesenden gilt aber nicht nur den 41 Kollegen im Verlag. Viele befürchten die laufenden Umstrukturierungen bei Madsack könnten auch bald die Redaktion und die Druckerei treffen. Dann ständen Hunderte Jobs auf dem Spiel.
Mit solchen Ängsten ist man in Potsdam nicht allein: Unter dem Motto „Rote Karte für Sozial-Foul“ protestierten am 25. Juli gut 400 Beschäftigte des Madsack-Konzerns an zahlreichen Standorten für ihre Arbeitsplätze. Kundgebungen und Mahnwachen gab es unter anderem am Stammsitz in Hannover, wo die Hannoversche Allgemeine und die Neue Presse herausgegeben werden, in Leipzig bei der Leipziger Volkszeitung, bei der Ostsee Zeitung in Rostock und der Oberhessischen Presse in Marburg. Aufgerufen hatten ver.di und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV).

Fünftgrößte Zeitungsgruppe Deutschlands

Madsack hat sich in den letzten sechs Jahren von einem mittelgroßen Verlag für Regionalpresse und Anzeigenblätter zu einem der führenden Mediengruppen in Deutschland gemausert. 2009 übernahm das Hannoveraner Traditionshaus die Beteiligungen der Axel Springer AG an der Leipziger Volkszeitung, den Lübecker und den Kieler Nachrichten. Hinzu kommen Anteile an einer Reihe von regionalen Hörfunksendern, Pressevertrieben, Druckereien und Internetdienstleistern. 2011 kaufte Madsack die Märkische Verlags- und Druckgesellschaft von der FAZ Gruppe. Mit über 4.000 Beschäftigten, 18 Tageszeitungen und einer täglichen Auflage von fast einer Million Exemplaren ist der Verlag mittlerweile die fünftgrößte Zeitungsgruppe Deutschlands. Zu den Anteilseignern gehört mit 23,1 Prozent unter anderem die ddvg, die Medienholding der SPD. Nun stehen offenbar Rationalisierungen an.
„Nach Madsacks Expansionskurs kam es an allen neuen Standorten zu massiver Tarifflucht“, sagt ver.di-Sekretär Siegfried Heim. „Aufgaben werden gebündelt, Tarifverträge gekündigt, Verlagsarbeiten ausgegliedert und fremdvergeben.“ In Druckereien sollen Leiharbeiter eingesetzt werden. „Wir sehen mit großer Sorge, dass der Konzern eine radikale Politik der Kostensenkung betreibt und dabei sein wichtigstes Kapital, die Mitarbeiter, nachhaltig beschädigt“, so Heim weiter. Bei der MAZ-Redaktion steht die Einführung eines zentralen Newsdesks an. Welche Auswirkungen das auf die 15 Lokalredaktionen haben wird, weiß keiner. Ohnehin mangele es schon jetzt an Personal. Für Sonntagsdienste müssten freie Journalisten herangezogen werden, weil die Redakteure nicht ausreichen.
Die MAZ ist die erste Madsack-Zeitung, bei der Entlassungen angekündigt wurden. Heim befürchtet, dass das Beispiel Potsdam Schule machen könnte. Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Detlef Schütz, fordert daher einheitliche Regelungen und Schutzstandards für die Beschäftigten. Doch die Forderung wird seit Jahren ignoriert. „Von der Geschäftsführung gibt es keinerlei Informationen“, beschwert sich auch Betriebsratsvorsitzende Wagner. „Entscheidungen werden uns mitgeteilt, aber nicht mit uns diskutiert.“ Nach der Protestveranstaltung am Mittag gab es in Potsdam Verhandlungen mit der Geschäftsleitung über die Kündigungen. Der Betriebsrat wollte einen Interessenausgleich, um die Kündigungen etwa durch Altersteilzeit oder konzerninterne Besetzungen zu vermeiden.
Eine Altersteilzeitlösung wäre kein Problem gewesen, sagt Wagner. „Ein Fünftel der Belegschaft ist über 57 Jahre alt“. Doch Madsack lehnt das ab. Stattdessen soll es einen Sozialplan geben, mit Abfindungszahlungen. Auch die Sorgen um die Zukunft der Druckerei bestehen nach den Verhandlungen weiter. Es muss zwingend in neue Technik investiert werden, damit die Weiterproduktion der fast 140.000 MAZ-Exemplare gewährleistet bleibt, heißt es. Doch ob das gemacht wird, weiß bisher niemand. Die Belegschaft, so Wagner, will jedenfalls weiter Druck auf die Konzernführung ausüben, notfalls auch mit einem Streik. Zunächst aber machten die MAZ-Beschäftigten die Gäste des Sommerfestes der Zeitung am 8. August mit einer Plakataktion auf die Entlassungen aufmerksam. Wie jedes Jahr hatte MAZ-Geschäftsführer Claas Schmedtje Prominenz aus Kultur, Politik und Sport auf das Potsdamer Schloss Lindstedt eingeladen. Für Publikum war also gesorgt: Die MAZ freute sich in der Ausgabe vom nächsten Tag über einen Besucherrekord unter „MAZ-blauem Himmel“, sogar Ministerpräsident Matthias Platzeck wurde gesichtet. Nur der Protest der Kollegen fand keine Erwähnung!


 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Komplett-Verweigerung der Rundfunkpolitik

Nachdem die Ministerpräsident*innen am heutigen Donnerstag zur Rundfunkpolitik beraten haben, zeichnet sich ein düsteres Bild für die öffentlich-rechtlichen Medien, ihre Angebote und die dort Beschäftigten ab. Beschlossen haben die Ministerpräsident*innen eine Auftrags- und Strukturreform und einen ab 2027 geltenden neuer Mechanismus zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags. Nicht verabschiedet wurde jedoch der fällige Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende

Eine erneut alarmierende Bilanz zieht die internationale Organisation Reporters Sans Frontiers (RSF), die weltweit Angriffe und Gewalttaten gegen Journalist*innen und damit gegen die Pressefreiheit dokumentiert: 55 getötete, 550 inhaftierte, 55 in Geiselhaft genommene und 95 unter unklaren Umständen vermisste Medienschaffende sind bis Anfang Dezember für dieses Jahr zu beklagen.
mehr »