So will die ARD sich reformieren

ARD

Foto: ver.di

Am 1. Juli trat der 3. Medienänderungsstaatsvertrag (MÄStV) in Kraft. Damit könnte nach sechsjähriger kontroverser Debatte nun endlich eine „Reform des Auftrags und der Struktur“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) angegangen werden. Die ARD macht den Anfang mit Plänen für eine verstärkte Kooperation und „Pool-Lösungen“ der einzelnen Landessender. Der gesamte Reformprozess steht im Zeichen des von der Politik ausgeübten Spardrucks und ihrer umstrittenen Forderung nach Beitragsstabilität.

Nach dem neuen Staatsvertrag erhalten ARD, ZDF und Deutschlandradio wesentlich mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Programmangebote. Im Fernsehen wird der Auftrag reduziert auf das Erste, das ZDF, die Dritten sowie 3sat und Arte. Die übrigen bisher linear ausgestrahlten digitalen Zusatzprogramme – tagesschau24, One, ARD-alpha, ZDFneo, ZDFinfo, Phoenix und Kinderkanal – fallen künftig unter den sogenannten Flexibilisierungsmechanismus. Sie können nach Ermessen der Anstalten weiter betrieben, komplett in den Online-Bereich verlagert (linearer Switch Off) oder auch ganz eingestellt werden.

Bislang haben die Verantwortlichen von ARD und ZDF noch nicht erkennen lassen, wie sie diese neue Freiheit zu nutzen gedenken. Nach den Skandalen im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und einigen anderen ARD-Sendern ist zuletzt der gesellschaftliche Druck auf den ÖRR gewachsen. Vor dem Hintergrund der bereits voll entbrannten Debatte um die künftige Höhe des Rundfunkbeitrags steht jede Reform zugleich unter dem Finanzierungsvorbehalt.

Kompetenzcentren für die ARD

Am 22. Juni gab die ARD nach einer Konferenz der Intendant*innen in Stuttgart erste Umrisse des anvisierten Umbaus der Arbeitsgemeinschaft bekannt. Kern der Reform ist demnach der Aufbau eines regional verankerten Inhalte-Netzwerks auf Grundlage gemeinsamer Programmstrecken und verstärkten Kooperationen den neun Landesrundfunkanstalten. Wie schon im Februar dieses Jahres angedeutet, sollen die ARD-Anstalten drei „Kompetenzcenter“ aufbauen, zunächst in den Themenfeldern Klima, Verbraucher und Gesundheit. Diese produzieren zentralisiert lineare und digitale Angebote, die von den einzelnen ARD-Anstalten übernommen werden können. Der Fokus soll dabei auf der überregionalen Berichterstattung liegen. Offen bleibt einstweilen, welche Medienhäuser sich wie stark in den einzelnen Kompetenzcentern einbringen sollen. Die Entscheidung darüber fällt voraussichtlich noch in diesem Jahr, damit die neuen journalistischen Einheiten 2024 ihre Arbeit aufnehmen können.

Auch in den Dritten Programmen der ARD will man verstärkt auf inhaltliche Kooperation und Pool-Lösungen setzen. Im ersten Schritt sollen Beiträge für Gesundheits- und Verbrauchermagazine künftig vorrangig im jeweiligen Kompetenzcenter produziert und anschließend den ARD-Medienhäusern zur Verfügung gestellt. Eine Zusammenarbeit allerdings unterhalb der vom ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke seit einiger Zeit ventilierten Idee eines „Mantelprogramms“ für alle neun Landessender. Davon ist nun keine Rede mehr.

Ein Thema, ein Beitrag

Ähnlich wie bei den Dritten sollen auch im Radio Beträge zu einem bestimmten Thema nur noch einmal erstellt werden und dann von allen Landesrundfunkanstalten abgerufen werden können. Den Anfang machen die Kultur- und Infowellen. Gedacht wird speziell an gemeinsame Abendprogramme ab 20 Uhr sowie am Wochenende. Schon jetzt gibt es bekanntlich von mehreren Häusern übernommene Programmstrecken wie die ARD Infonacht oder die ARD Popnacht. Diese Kooperationsform soll ausgebaut werden. Vorgesehen ist auch eine Gemeinschaftsredaktion für das genuin öffentlich-rechtliche Genre „Hörspiel“. Auch sie soll im ersten Halbjahr 2024 starten.

Unter dem Stichwort „digitale Erneuerung“ kündigen die ARD-Oberen überdies umfangreiche Entwicklungsarbeit bei der digitalen Infrastruktur an. Das gilt etwa für den Aufbau von Empfehlungs- und Personalisierungsdiensten oder dem Management der unterschiedlichen Inhalte. An die Stelle hauseigener Systeme jeder Anstalt soll eine Infrastruktur treten, die perspektivisch auch mit dem ZDF verzahnbar sein soll. Das Gesamtprojekt besteht demnach aus 18 Bausteinen bzw. Modulen und soll in den nächsten Jahren abgearbeitet werden. Details des anspruchsvollen Projekts will die ARD Ende dieses Jahres bekannt geben.

Zweifel am Reformplan

In der Öffentlichkeit traf der Reformplan der ARD auf ein verhaltenes bis kritisches Echo. Angesichts des Problemdrucks hätten sich einige Akteure radikalere Schritte gewünscht. Der Branchendienst „Meedia“ erinnerte an die „viel grundlegendere Reform“, die der frühere ARD-Vorsitzende Tom Buhrow vor einem Jahr geforderte hatte. Einige der Gedankenspiele des amtierenden WDR-Intendanten: eine mögliche Fusion von ARD und ZDF, eine Reduzierung der Landesrundfunkanstalten, ein Eindampfen der 64 ARD-Hörfunkwellen. Ein Schrumpfprogramm, wie Kritiker seinerzeit moniert hatten.

Ein Zusammenschluss von Rundfunk- und Verwaltungsräten aus dem Kulturbereich meldete indes Zweifel an, ob im Falle einer Bündelung von Kulturthemen in Kompetenzcentern der Kulturauftrag noch erfüllt werden könne. Es seien „Tendenzen erkennbar, die Kernaufträge und so auch den Kulturauftrag einzuschränken“. Die Bedeutung dieses Auftrags sei aber durch den 3. MÄStv gerade erst bekräftigt worden. Zentralisierungen, wie sie von der ARD zum Beispiel beim Hörspiel geplant seien, gefährdeten die kulturelle Vielfalt. Nötig sei stattdessen eine „Qualitätsoffensive“ des ÖRR. Laut Zukunftsdialog der ARD von 2021 wünsche das Publik „mehr Information, mehr Hintergrundberichte und Dokumentationen, inhaltliche Tiefe und Erklärformate und auch mehr Kultur – und alles zu besseren Sendezeiten“.

Auch die Konzentration bei den Radio-Infowellen stößt auf Kritik. Dort soll das kooperierte Abendprogramm ab 20 Uhr je nach Wochentag thematisch wechselnd – etwa mit Schwerpunkt Dialog, Information und Sport unter Federführung des NDR laufen, „unterstützt“ von RBB, BR und MDR. „Es droht Verarmung“, fürchtet der Tagesspiegel. Noch drastischer fällt das Urteil von Teilen der Kulturszene aus. Die von der ARD-Spitze anvisierten Pool-Lösungen im Hörfunk laufen nach Auffassung der Neuen Musikzeitung gar auf „die Gleichschaltung der Kulturwellen der ARD und die Selbstdestruktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Kulturakteur“ hinaus.

Konservativen Politiker*innen wiederum gehen die Reform- und Einsparpläne der Öffentlich-Rechtlichen längst nicht weit genug. Fast zeitgleich mit der ARD-Intendantenkonferenz präsentierten die Vorsitzenden der 16 Landtagsfraktionen von CDU/CSU „Eckpunkte“ für die künftige Ausrichtung des ÖRR. Neben diversen Gemeinplätzen („Berichterstattung und Kommentierung sorgfältig trennen“) und dem kulturkämpferischen Dauerbrenner „Gendersprache vermeiden“ appellieren die Unionspolitiker*innen an ARD und ZDF, bei allen Reformschritten den „Fokus auf den Kernauftrag mit qualitativ hochwertiger Grundversorgung in der Bereichen Information, Bildung und Kultur“ zu legen. Das zentrale – wenig überraschende – Anliegen wird erst im letzten Punkt enthüllt: „Ziel muss ein stabiler Rundfunkbeitrag über die aktuelle Beitragsperiode hinaus sein.“

Populistische Debatte um Finanzierung

Es zeichnet sich ab, dass vorerst jede Erörterung konkreter Reformen des öffentlich-rechtlichen Systems im Schatten der ungeklärten Finanzierungsfrage stehen dürfte. Die ganze Debatte erscheine ihm „ein bisschen scheinheilig“, konstatierte Thomas Kleist, der frühere Intendant des Saarländischen Rundfunks, unlängst bei einem medienpolitischen Werkstattgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung, in Berlin. Die Politik sei aus populistischen Gründen nicht bereit, für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags einzustehen. Es gebe allerdings klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die Erfüllung des Rundfunkauftrags finanziell ausreichend abzusichern. „Wenn die Politik keinen höheren Beitrag will, muss sie den Auftrag verändern, und zwar in Form einer Reduzierung“, so Kleist. Und davor schrecke sie – „wahrscheinlich auch aus Standortinteressen“ – zurück. „Kein Ministerpräsident möchte, dass gerade in seinem Bundesland eine bekannte Hörfunkwelle eingestellt wird oder ein Orchester dichtgemacht.“

Tatsächlich haben sich bislang sechs Ministerpräsident*innen unterschiedlicher parteipolitischer Couleur gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ausgesprochen. Damit wird das bewährte Verfahren zur Ermittlung und Festlegung des Beitrags (Bedarfsanmeldung der Anstalten, Prüfung und Empfehlung durch die unabhängige KEF-Kommission, Beschlussfassung durch die Landtage) unterlaufen. Gerhard Baum, Ex-FDP-Bundesinnenminister und Mitglied im WDR Rundfunkrat, hält es sogar für „verfassungswidrig“, wenn Politiker dem Rundfunk Einsparziele vorgeben. „Die Finanzierung darf nicht dem Verfahren vorangehen, die Finanzierung folgt der Programmgestaltung“, erklärte Baum, der auch Mitautor des oben genannten Grundsatzpapiers einer Gruppe von Kultur-Rundfunkräten ist, Im Interview mit der „Süddeutschen“. Er habe „langsam Zweifel, ob die Staatsferne noch funktioniert“.

Wie lässt sich der gordische Knoten einer Länder- und Sender-Medienpolitik, die von Standort- und Eigeninteressen dominiert wird und die sich gegenseitig paralysiert, lösen? Dass die Rundfunkkommission der Länder mit ihren eingespielten Ritualen dazu imstande sein könnte, erscheint eher zweifelhaft. WDR-Intendant Buhrow hatte –bei aller Kritik an seinem vorjährigen Auftritt als „Privatmann“ im Hamburger Übersee-Klub –die zumindest erwägenswerte Idee eines Runden Tischs unterbreitet, eine Art verfassungsgebende Versammlung für einen erneuerten gemeinnützigen Rundfunk.

Bürgergremium vs. Zukunftsrat

Daran anknüpfend schwebt Karl-Eberhard Hain, Medienrechtler an der Universität Köln, eine stärkere gesellschaftliche Verankerung des nötigen Reformprozesses vor. Beim erwähnten Gespräch in der Böll-Stiftung erneuerte er seinen (gemeinsam mit Medien- und Netzpolitikerin Tabea Rößner von den Bündnisgrünen entwickelten) Vorschlag einer Kombi-Lösung: der „Kombination aus einem Expertengremium und einem Publikumsrat, der nach der Art der Bürgerräte zusammengesetzt werden sollte“. Die Aufgabe der Sachverständigen bestünde darin, „den Stoff zu liefern, auf dessen Basis ein Bürgerrat rational diskutieren können sollte“. Der Sachverständigenrat liefert die Expertise, der Publikumsrat erarbeitet die Reform. Über die Ergebnisse müsse dann die demokratisch legitimierte Politik, also wie bisher die Landtage, entscheiden.

Die Politik mochte bekanntlich diesem eher basisorientieren Modell nicht folgen. Stattdessen entschied sich die Rundfunkkommission bereits im März für ein reines Expertengremium, den achtköpfigen Zukunftsrat. Der soll nach den Vorstellungen der Kommission „Impulse für die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks setzen“. Bis zum Herbst soll der Zukunftsrat seine Empfehlungen vorlegen.


Mehr zum Thema Rundfunkräte und Reformen finden sie im M-Themenheft

 

 

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