Mit ausgewählten Themen die Lese-Lust von Spitzenpolitikern wecken
Seit 2007 versorgt die Nachrichtenwebsite politico.com die Politelite in der amerikanischen Hauptstadt mit den wichtigsten Informationen aus Politik und Wirtschaft. Und zwar so erfolgreich, dass es jetzt einen Ableger in Brüssel gibt: Politico Europe.
Einst als Blog gestartet, erreicht politico.com heute über vier Millionen Leser. Das hat selbst Gründer John Harris überrascht. „Politico ist erfolgreicher geworden, als wir es uns je hatten vorstellen können“, sagt Harris und will diesen Erfolg nun in einem Joint Venture mit dem Springer-Verlag wiederholen. Rund vierzig Journalisten präsentieren seit dem 21. April eine Online-Ausgabe. Zwei Tage später startete der wöchentlich erscheinende Printableger. Die Ambitionen sind groß. „Im politischen Europa wollen wir die führende Newsorganisation aufbauen“, proklamiert John Harris in einem Werbevideo. Politico Europe startet aber nicht bei Null. Vor anderthalb Jahren hat das Unternehmen die Wochenzeitung European Voice gekauft, die bis dahin führende Publikation bei Europa-Themen. Deren Abonenntenstamm wurde übernommen, das Produkt quasi umbenannt. Vor allem die Polit-Elite will man als Leser gewinnen – ganz nach dem Vorbild in Washington. Springer-Manager Christoph Keese schwört denn auch auf das Konzept der Amerikaner, die sich mit politico.com ausschließlich an die wichtigsten Polit-Player richten würden – an den Stabschef des Weißen Hauses, den Mehrheitsführer im Kongress. „Wenn man für die unverzichtbar wird, dann lesen das natürlich auch alle anderen“, erklärt Keese. „Das bedeutet aber auch, dass man ganz tief in die Details gehen muss.“ Mit ausgewählten Themengebieten, so genannten „Worticals“, wie Energiewirtschaft, Gesundheit oder IT soll die Lese-Lust europäischer Spitzenpolitiker geweckt werden.
In der Brüsseler Polit-Szene wurde der Start von Politico Europe mit Spannung erwartet. Zwar gibt es Zweifel, ob sich das Geschäftsmodell einfach von Washington auf die EU übertragen lässt. Andreas Müllerleile, Blogger und Politikwissenschaftler am European Institute of Peace hofft aber, dass der Brüssel-Journalismus damit moderner wird und eine europäische Öffentlichkeit entsteht. Denn bislang gebe es kaum europäische Medien jenseits der Financial Times und Euronews.
Für Springer-Manager Christoph Keese steht Politico Europe aber auch dafür, dass Journalismus im Netz eine Perspektive hat. Mit Hilfe des kostenpflichtigen Zusatzangebotes „Politico Pro“ will man schnell profitabel werden. In den USA kostet das Abo 7.500 Dollar im Jahr. Über den Abo-Preis in Brüssel schweigt sich die Redaktion bislang aus. Für Keese ist klar: „Eigentlich ist da ein Stück weit eine Formel gefunden worden für das, was allerorten gesucht wird, nämlich die Möglichkeit, ausgezeichneten Journalismus im Internet zu finanzieren.“