Vollbremsung mit Aufschlag

Der traurige Niedergang der dapd durch verantwortungslose Finanzhasardeure

Die Insolvenz der Nachrichtenagentur dapd markiert eine der skandalösesten Pleiten in der jüngeren deutschen Mediengeschichte. Ein Großteil der 300 betroffenen Mitarbeiter steht vor einer ungewissen Zukunft. 98 erhielten Ende November ihre Kündigung.

Die Nachricht erreichte die dapd-Belegschaft am Vorabend des Tags der deutschen Einheit. Auf einer kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung in Berlin teilte die Geschäftsleitung der zweitgrößten deutschen Nachrichtenagentur den schockierten Beschäftigten mit, man habe beim Amtsgericht Charlottenburg einen Insolvenzantrag gestellt, zunächst für acht der insgesamt 18 verschiedenen GmbHs des verschachtelten Agenturkonstrukts. Betroffen ist vor allem der harte Kern des Unternehmens, die Nachrichtenproduktion. Der Schritt kam umso überraschender, als die Agentur sich in der Öffentlichkeit als gesundes, extrem expansives Unternehmen dargestellt hatte. Hat sich dapd beim Versuch, Marktführer dpa anzugreifen, überhoben?
Der Vorgang erscheine „wie eine Vollbremsung zum Zeitpunkt der maximalen Beschleunigung“, konstatiert resigniert ein Betriebsrat. Die Unternehmenskommunikation hatte zuvor eine Erfolgsmeldung nach der anderen an die staunende Öffentlichkeit gegeben. Als letzte Innovation war erst unlängst die Gründung einer Tochteragentur für Promi-News verkündet worden. Noch wenige Tage vor dem Konkursantrag hatte die Geschäftsleitung Stellenangebote ausgeschrieben, neue Arbeitsverträge abgesegnet. Nichts deutete auf ein derart dramatisches Szenario hin. Noch während die Eigentümer lauthals Expansionspläne verkündeten, schossen sie nach eigenen Bekundungen bereits eine Million Euro monatlich zu, um die Illusion vom erfolgreichen Projekt zu erhalten. Dem Vernehmen nach sah ein langfristiger Businessplan vor, dass erst ab 2020 mit Gewinnen zu rechnen sein würde. Diesen langen Atem wollten sich die Investoren zuletzt offenbar nicht mehr leisten.
„Es erweckt tatsächlich den Eindruck, dass sich da jemand ein Spielzeug eingekauft hat, um damit nach Jahren im Graubereich der Finanzinvestorentätigkeit in den Glanz von Politik und Wirtschaft zu treten. Dieses Spielzeug gefällt jetzt offenbar nicht mehr und soll einfach weggeworfen werden“, sagt Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di. Sie sei von der Insolvenz ebenso überrascht worden wie die Belegschaft. Jetzt stehen die Jobs von 300 der insgesamt rund 515 Mitarbeiter auf der Kippe. Wie konnte es dazu kommen? Nach außen machte die dapd den Eindruck einer aggressiv expandierenden Agentur. Entstanden war sie Ende 2009 aus der Fusion des Deutschen Depeschendienstes (ddp) mit der deutschen Tochter der US-amerikanischen Associated Press (AP).

Peter Löw und Martin Vorderwülbecke Foto: Stephanie Pilick dpa
Peter Löw und Martin Vorderwülbecke
Foto: Stephanie Pilick dpa

Just zu diesem Zeitpunkt durchlebte Marktführer dpa – die Deutsche Presseagentur – eine mittelschwere Krise, als einige Großkunden wie die Essener WAZ-Gruppe ihr Basis-Dienst-Abo kündigten. Peter Löw, einer der beiden dapd-Investoren, hatte der dpa seinerzeit mit markigen Worten den Kampf angesagt. Man habe es mit einem „angeschlagenen Monopolisten“ zu tun. „Wir versuchen nun so’n bisschen wie Francis Drake gegen die Armada durch Mobilität, durch Innovation, durch gute qualitätsvolle Arbeit Marktanteile zu erobern.“ So tönte es noch Ende 2009.
Es folgten Investitionen und Zukäufe en masse in Deutschland und Frankreich: unter anderem Picture Presse von Gruner + Jahr, der Aufbau eines eigenen Sportdienstes, die Promi-News-Agentur. Erst Mitte Juli hatte dapd über ihre französische Tochterfirma Sipa News den französischen Dienst von AP übernommen, nach Sipa Press und Diora News bereits der dritte Zukauf in Frankreich.

Methode Dumping

Mit Kampfpreisen versuchte dapd, dem Konkurrenten dpa das Wasser abzugraben. Eine Zeitlang funktionierte diese Methode. Zum Beispiel im Dezember 2011, als man nach öffentlicher Ausschreibung einen Millionenauftrag des Auswärtigen Amts ergatterte – zulasten der dpa. Diese focht die Entscheidung erfolglos an. In Bezug auf die Preispolitik sprach die Konkurrenz von Dumping, das nur möglich sei, weil dapd sich nicht aus dem laufenden Betrieb finanzieren müsse, was schon damals vermutet wurde. Jetzt, wo die Blase geplatzt ist, drehen die für die Pleite Verantwortlichen den Spieß um, klagen über Ungleichbehandlung, beschweren sich, dass etwa Bundestag, Bundespresseamt und ZDF für die dapd-Dienste weniger bezahlt hätten als für dpa. Dabei hatte zum Beispiel das Bundespresseamt seine Zahlungen an die Agentur erst in diesem Geschäftsjahr um eine Million bzw. 150 Prozent erhöht.
Auch das ZDF wies die Vorwürfe von dapd zurück. Nach Meinung des Senders versuchten die Investoren, „die Schuld für das Scheitern ihrer Unternehmensstrategie auf andere zu schieben“. Ironie der Geschichte: Schon beim Neustart der aus ddp und AP fusionierten Agentur dapd hatten Kritiker davor gewarnt, die neuen Besitzer könnten nach Heuschreckenart die neue Großagentur bei ausreichender Profitabilität bald wieder abstoßen. Schließlich stammen Peter Löw und sein Partner Martin Vorderwülbecke aus Finanzinvestorenkreisen. Doch Löw hatte seinerzeit geradezu idealistische Motive für das Engagement bei der Agentur angeführt. Man betrachte die Agentur „nicht so sehr als eine wirtschaftliche Einheit mit dem Zweck, hohe Gewinne zu erzielen“, Vielmehr sei beabsichtigt, „die erzielten Gewinne in das Unternehmen zu reinvestieren“. Leere Versprechungen.
Mitte November verkündete Insolvenz-Geschäftsführer Wolf von der Fecht dann einen provisorischen Sanierungsplan. Die vermeintlich gute Nachricht: Fecht sah die Voraussetzungen für eine „profitable Fortführung“ der Agentur „aus eigener Kraft gegeben“. Die schlechte: Mindestens ein Drittel der insgesamt 300 Jobs in den acht konkursbetroffenen Gesellschaften fallen weg. Betriebsratsvorsitzende Angelika Piller damals: „ Der Betriebsrat und die Belegschaft sind stark interessiert, an einer Neustrukturierung des Unternehmens mitzuwirken, ihr Know-how einzubringen, allerdings ohne die bisherigen Verantwortlichen, das Vertrauen ist weg.“ Ansonsten arbeite die Belegschaft „weiter mit hohem Engagement“.
Betriebsräte und Gewerkschaften versuchen seitdem, bei den Sozialplanverhandlungen eine möglichst sozialverträgliche Lösung für die betroffenen Kollegen zu erreichen. Schon bisher wurde bei dapd nicht gerade zu üppigen Konditionen gearbeitet. Für die überwiegende Mehrheit galt ein tarifloser Zustand. Nur einstige AP-Mitarbeiter hatten vor drei Jahren ihre besseren tarifvertraglichen Regelungen im Rahmen von Bestandsschutzverhandlungen in die Fusion hinüberretten können. Anders als einige gezielt von anderen Agenturen abgeworbene Spitzenkräfte wurden viele Mitarbeiter mit kümmerlichen Dumpinglöhnen abgespeist. Das gilt erst recht für die freien Mitarbeiter, denen im Konkursverfahren der Status von „Gläubigern“ zukommt. Um den laufenden Agenturbetrieb abzusichern, wurden ihnen vom Konkursverwalter immerhin Honorargarantien gegeben. Dennoch trifft gerade sie die dapd-Pleite mit voller Härte. Unter den Freien gebe es einige „Krisenopfer-Karrieren“, heißt es aus dem Betriebsrat. Einige hätten schon das Aus der Ende 2009 von M. DuMont Schauberg (u.a. Berliner Zeitung, Berliner Kurier) eingestellten „Netzeitung“ miterlebt: „Die fühlen sich jetzt wie im falschen Film“.

„Blaue Briefe“ verschickt

Ende November bekamen 98 Beschäftigte die Kündigung. Das Sportressort ist am stärksten betroffen. 35 Redakteure müssen gehen, nur einer bleibt. Das Videoressort wird verkleinert. Im Politikressort verlieren 4 von 14 Leuten ihren Job. Die regionale Berichterstattung wird umstrukturiert. Ein schlüssiges Konzept scheint es nicht zu geben. Jedenfalls werden Details, etwa zu Schließungen von Landesbüros, nicht offengelegt. Auch über den Sozialplan ist nichts genaues zu erfahren. Stattdessen wird von Interimsgeschäftsführer von der Fecht verkündet, dass mit der Restrukturierung eine Basis für die langfristige Stabilisierung der Nachrichtenagentur geschaffen werden soll. Ab dem 1. Dezember wolle man wieder profitabel arbeiten!
Im Lichte der aktuellen Entwicklung erscheinen diese Absichtserklärungen wenig glaubhaft und immer unrealistischer. Auch die Suche nach einem neuen Investor gestaltet sich offenbar sehr zäh. Angeblich würden „konstruktive Gespräche mit Interessenten“ geführt. Wer das ist, wird nicht gesagt. Einzig der private Nachrichtenkanal N 24 schien Brancheninformationen zufolge schon mal dabei gewesen zu sein.
Derweil wenden sich wichtige Kunden wie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung ab, eine Reihe leitender Mitarbeiter gehen von Bord. Mitte November kündigte Associated Press (AP) an, die bisherige Zusammenarbeit mit der dapd zum Jahresende einzustellen. Stattdessen soll ab 2013 Hauptwettbewerber dpa, wie die Hamburger stolz vermelden, im Rahmen einer „Exklusivpartnerschaft“ in Deutschland AP-Texte und Fotos vermarkten. „Das ist ein herber Schlag ins Kontor für die dapd, die dadurch weiter geschwächt werden wird“, bedauert dju-Bundesgeschäftsführerin Haß. Auch andere Kunden würden nun versuchen, Verträge neu zu verhandeln, um die Preise zu drücken.
dapd will sich jedoch mit dem Verlust der AP-Lizenz nicht abfinden und klagt dagegen. Im Wettbewerb um Kunden auf dem deutschen Markt wie auch bei der Suche nach potentiellen deutschen Investoren ist diese Kooperation – vor allem der internationale Fotodienst – ein zentrales Argument. Man halte sie „sowohl aus insolvenzrechtlicher Sicht als auch aufgrund der konkreten vertraglichen Kündigungsregelungen für unwirksam“. Hier konnte offenbar ein Teilsieg oder auch nur eine Zeitaufschiebung errungen werden: Nach Darstellung der dapd hat der District Court of Southern New York am 26. November eine einstweilige Verfügung erlassen, wonach AP verpflichtet wird, den Vertrag mit der dapd in vollem Umfang weiter zu erfüllen.

Nachfolgergespräche

Unbestätigten Pressemeldungen zufolge führt dapd parallel Gespräche mit Dow Jones als möglichem Nachfolger für die internationale Berichterstattung. Ein Dow-Jones-Manager hatte dem Mediendienst „Newsroom“ gegenüber geäußert, man habe kein Interesse an einem Aus von dapd. „Es wäre nicht gut, wenn ein großer Player verschwindet und es ein Quasi-Monopol geben würde.“
dpa-Geschäftsführer Michael Segbers verwahrte sich in einer Intranet-Mitteilung an die eigene Belegschaft gegen den Monopolisierungsvorwurf. Schließlich sei es nicht die dpa gewesen, „die die Anzahl der Nachrichtenagenturen in Deutschland und der Schweiz um jeweils eine reduziert“ habe. Segbers bezog sich offenbar auf die Fusion von ddp und AP Deutschland bzw. AP Schweiz 2010. Bei dieser Gelegenheit holte der dpa-Geschäftsführer zur Retourkutsche aus. „Wir feiern angesichts der drohenden Arbeitsplatzverluste ganz sicher nicht den Niedergang eines Mitbewerbers“, schrieb Segbers an die dpa-Mitarbeiter. „Aber wir lassen uns auch nicht die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass ein hochmütiges Geschäftsmodell gescheitert ist, welches uns ‚verzichtbar’ machen sollte“.
Brancheninsider raten inzwischen, das Konzept einer Vollagentur aufzugeben und dapd stattdessen komplementär, also ergänzend zur dpa zu positionieren. Selbst dieser Plan dürfte ohne einen potenten Investor nicht aufgehen. Ein trauriges Ende für die einst so ehrgeizigen Visionen zweier verantwortungsloser Finanzhasardeure.

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