Von der Verlegeragentur zur Agentur der Kaufleute?

Die „Königin der Presseagenturen“ wird 50 und wird nicht nur vorbehaltlos geliebt

Laut Medienbericht der Bundesregierung erreicht dpa 89,7 Prozent der Tageszeitungen in der Republik. Fallen da vier Kündigungen ins Gewicht? Was die Hamburger „Nachrichtenschleuse“ über den Draht jagt – so sagte man früher, heute nutzt man Satellitentechnik – findet in Redaktionsstuben allemal Beachtung.

Die Geschäftsleitung plagt, daß heutzutage Nachrichten „fast umsonst“ zu haben sind, und die Beschäftigten spüren’s bei der Tarifrunde. 

Sechzig Seiten über Zeitungen. Viele ruhige Textseiten. Wunderbar! Dazwischen einige stimmungsvolle Fotos. Sinnlicher kann man eine Heftstrecke über Zeitungen, Zeitungsmachen und Zeitungslesen nicht gestalten. So geschehen in der Juni-Ausgabe der schweizer Kulturzeitschrift „du“. Da berichtet zum Beispiel Wolfgang Koydl über die „Stiefkinder des Gewerbes“: Nachrichtenagenturen. Liebevoll nennt er Agenturjournalisten „die stummen, starken Diener der großen Medienwelt“. So setzt der ehemalige Büroleiter der Deutschen Presseagentur (dpa) in Kairo den Kolleginnen und Kollegen, die „aus sprachlichen Schablonen, aus Versatzstücken, die sich nach Art eines Lego-Systems zusammenstecken lassen“ und daraus die Agenturmeldung „basteln“, ein kleines Denkmal. Und Koydl beleuchtet die Macht der Agenturen: „Was, wenn bei einer Pressekonferenz ein Korrespondent einen anderen Schwerpunkt, eine andere Hauptaussage entdeckt als das Agenturkartell? Wem wird sein Redakteur daheim mehr Glauben schenken? Dem eigenen Mann mit seiner einsamen Exklusivmeldung oder der Flut von Agenturmeldungen?“

„Darüber hat dpa aber noch nichts gebracht“ – Die freie Journalistin bietet der überregionalen Tageszeitung eine Geschichte an und hört nicht selten diesen Satz. Was die „Königin der Presseagenturen“ (Deutschlandfunk) nicht gebracht hat, fand auch nicht statt. Es komme schon mal vor, daß jemand anruft und bittet, diese oder jene Meldung abzusetzen, erzählt Wilm Herlyn, Chefredakteur der dpa, „damit er seine Geschichte loswird.“ Nicht aus allem, was einer dpa-Kollegin über den Schreibtisch wandert, wird auch eine Meldung. Herlyn: „Wir sichten, ordnen und gewichten. Wir sind die Nachrichtenschleuse.“

Gründung

Am 17. August 1949 saßen einige Verleger im Hotel „Achtermann“ in Goslar und dachten beim „Festessen zum Preis von 4,50 Mark“ über die Gründung einer Nachrichtenagentur nach. Ausgerüstet mit einem Startkapital von 350.000 Mark wurde dpa am nächsten Tag gegründet und nahm am Morgen des 1. September 1949 den „Sendebetrieb“ auf. Erster Chefredakteur war der sozialdemokratische Journalist Fritz Sänger. Nach eigenen Angaben ist der 50. Geburtstag für die Agentur „kein beschauliches Jubiläum, sondern eine wichtige Zwischenetappe im immer schwieriger werdenden Informationsgeschäft.“ Als größte unter den fünf führenden deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (siehe Kasten) behauptet dpa „am härtesten umkämpften Nachrichtenmarkt der Welt“ für sich eine Spitzenposition. Weil aber viele Nachrichten „fast kostenlos“ zu bekommen sind, wie die Agentur in eigener Sache in einem Themenpaket zum Jubiläum schreibt, muß sich auch dpa zukünftig marktgerechter präsentieren.

Alltag

„M“ schaute sich bei dpa um. Bei der täglichen Frühkonferenz kommen die Ressortleiter und die Chefredaktion zur Bewertung einer ersten Kurzanalyse über die Abdruckhäufigkeit der dpa-Meldungen vom Vortage zusammen. Am Tag des „M“-Besuches berichtet Klaus von Elmpt, Redakteur vom Dienst, daß dpa sowohl in den überregionalen wie auch regionalen Zeitungen mit Berichten über Scheinselbständigkeit, die Proteste im Iran, Frauen/Bundeswehr und Buchpreisbindung die Nase vorn hatte. Zum Thema neue Chefredaktion beim „stern“ war dpa die erste Agentur, die das Ereignis vermeldete. Die meisten Zeitungen brachten allerdings eigene Berichte. Doch ist sich von Elmpt sicher, daß bei den Redaktionen die Botschaft erst durch die Agenturmeldung ankam. „Nicht alles, was wir vermelden, muß auch abgedruckt werden. Oft dient es den Redaktionen als Material für eigene Recherchen“, so Chefredakteur Herlyn.

Für den 14. Juli stehen folgende Ereignisse auf der Prioritätenliste ganz oben: Das „Finale in Bonn“ – Bundeskanzler Gerhard Schröder gibt seine Abschiedsvorstellung und fährt ein paar Meter mit dem Rad. In Brüssel wird über die Buchpreisbindung entschieden und in Karlsruhe fällt die Entscheidung über das Abhören von Telefongesprächen ins Ausland. Die IG Metall lädt in Frankfurt zur Pressekonferenz über den Abbau von Überstunden ein. Für das Ressort Vermischtes ist von Bedeutung, daß Dieter Kunzelmann in der Nacht am Tor des Knastes von Berlin-Tegel gerüttelt und „Ich will hier rein“ gerufen hat. Die „sportlichen Sorgenkinder“ Michael Schumacher und Stefanie Graf sind für das Sportressort von Interesse. Weil Kanzler Schröder nach seinem Bonn-Abschied eine Stippvisite in Weimar macht und auch die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald besucht, bietet das Archiv hierzu Hintergrundmaterial an.

Die Zeiten, wo eine Agentur lediglich die „nackte“ Nachricht über den Draht schickte, sind laut Herlyn längst passé. Zu fast allen wichtigen Themen werden Hintergründe, Statistiken, Zusammenfassungen, ergänzende Interviews oder Infografiken angeboten. So sieht sich dpa als Dienstleisterin, die die Redaktionen über das tägliche Nachrichtengeschäft hinaus mit Serviceangeboten versorgt. Daß das Material von den Redaktionen oft als Grundstock für eigene Berichterstattung genutzt werden, findet der Chefredakteur nicht weiter tragisch. Was ihn ärgert ist, daß dies oft ohne Quellenangaben geschieht oder wenn zum Beispiel dpa-Meldungen in einer Zeitung als Autoren-Beitrag auftauchen.

Gerüchte und Fakten

Dennoch sind nicht alle im Gewerbe mit der „alten Dame“ zufrieden. Obwohl es Dementis hagelte, hält sich derzeit ein hartnäckiges Gerücht unter Medienbeobachtern: Die WAZ-Gruppe soll mit dem Gedanken spielen, dpa abzubestellen, wenn die Preise nicht gesenkt werden. Die WAZ-Gruppe, das ist vor allem die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, und die ist zusammen mit der ebenfalls zum WAZ-Konzern gehörenden „Neuen Ruhr Zeitung“ (NRZ), der „Westfälischen Rundschau“ (WR) und der „Westfalenpost“ (WP) die Monopolistin im Ruhrgebiet. Alle vier Zeitungen bringen mit insgesamt 95 Lokalausgaben täglich weit über eine Million Exemplare an die Menschen im Revier. Eine ganze Region mit Zeitungen ohne Meldungen der größten deutschen Presseagentur? So richtig mag sich das niemand vorstellen.

Als „absurd“ bezeichnet ein Mitglied der WAZ das Gerücht. Für Chefredakteur Herlyn wäre ein Treppenwitz, würde sich die WAZ von der Agentur trennen. Schließlich sitzt WAZ-Geschäftsführer Günther Grotkamp im Aufsichtsrat von dpa und hat erst unlängst die Preise mitgestaltet. „Herr Grotkamp kann doch nicht erst die Preise mit absegnen, um sie dann wieder kaputt zu machen“, so Herlyn. Abbestellungen sind bei dpa zwar nicht die Regel, doch es wird abbestellt. Die „Lausitzer Rundschau“ kündigte vor drei Jahren Basis- und Landesdienste und bezieht nur noch den Bilderdienst und die Spezialdienste der dpa-Tochter Global Media Service (gms). Wie die „Lausitzer“ ist auch die „Saarbrücker Zeitung“ ein Blatt der Holtzbrinck-Gruppe („Handelsblatt“ und „Die Zeit“). Seit Anfang des Jahres wird in Saarbrücken die Zeitung ohne dpa gemacht. „Wir kommen damit klar, aber ein Manko ist es“, berichtet eine Redakteurin. Hauptsächlich Vermischtes und Service-Themen werden vermißt.

Neue Berechnungsmodelle

Aus Kostengründen haben kürzlich sieben private Radiostationen – zum Teil handelt es sich um Sender mit Holtzbrinck-Beteiligungen – aus Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen dpa gekündigt. Bis auf einen Sender wurden alle wieder „ins Boot zurück“ geholt. Ein neues Berechnungsmodell sieht vor, daß der Preis für die Agenturleistung nicht mehr von der technisch möglichen Reichweite abhängt, sondern die tatsächlichen Hörerzahlen zugrunde gelegt werden. Zudem wurde ein Informationsaustausch vereinbart. Die Sender verkaufen Meldungen an dpa, die dann für die Dienste ausgewertet werden, wie dpa-Verkaufschef Michael Segbers epd sagte.

Die Welt und die Region

Zu Ende 2000 hat die Chemnitzer „Freie Presse“ und die „Rheinpfalz“ aus Ludwigshafen die Dienste von dpa gekündigt. „Zu teuer“ heißt es unisono aus den betroffenen Häusern. „Rheinpfalz“-Chefredakteur Michael Garthe sagte in der Deutschlandfunksendung „Markt und Medien“, die Abdruckrate der dpa-Meldungen sei in seinem Blatt um 30 Prozent zurückgegangen. Die 1,2 Million Mark, die jährlich nach Hamburg überwiesen werden, seien zuviel. Zudem lege man als Regionalblatt Wert darauf, daß „Nachrichten aus der Welt auf die Region runterdekliniert und Regionalnachrichten hochgezogen werden.“ Die Weiterentwicklung der „Rheinpfalz zur „Autorenzeitung“ gehe dann auch auf Kosten der Agenturen. Mit 1.200 freien Mitarbeitern im Verbreitungsgebiet sei das Informationsnetz dichter, als es je eine Agentur gewährleisten könne.

Das Preisproblem sieht auch Herlyn: „Wir wissen, daß wir teuer sind, doch ich gebe zu bedenken, daß andere Nachrichtenagenturen ihre Produkte zu extrem niedrigen Preisen anbieten.“ Weiter ärgert die Kunden, daß sie neben dem dpa-Basisdienst auch noch für die Landesdienste bezahlen müssen. Dieter Soika, Chefredakteur der „Freien Presse“, fragte bei dem diesjährigen „Medientreffpunkt Mitteldeutschland“, warum er in Chemnitz das kaufen soll, was auch in Passau oder Emden verkauft werde. Dieses Problem wurde inzwischen gelöst: Wer einen Landesdienst abonniert, bekommt den benachbarten zweiten und dritten Landesdienst gratis dazu. So hofft Herlyn, die „Freie Presse“ und die „Rheinpalz“ zurückzugewinnen. Weiter habe man das Ressort „Vermischtes“ ausgebaut, um zum einen das Bedürfnis nach Boulevard-Meldungen für die Privatfunker zu befriedigen und zum anderen die „bunten Seiten“ der Zeitungen zu beliefern. Auch der Service-Dienst für Hörfunknachrichten wurde Herlyn zufolge ausgebaut. Und mit einem Online-Angebot sowie dem Original-Text-Service (ots) der dpa-Tochter „News aktuell“ wurden weitere Angebote geschaffen.

Flexibilität gefragt

Bleibt ein weiterer Vorwurf, den die sächsische Direktorin des Mitteldeutschen Rundfunks (mdr), Ulrike Wolf beim Medientreff in Leipzig formulierte: Sie hält dpa für unverzichtbar, doch seien die Nachrichten in einer zu behäbigen Sprache verfaßt. „Das stimmt“, sagt Chefredakteur Herlyn, „Sprache wurde und wird von dpa ziemlich statisch behandelt.“ Nach seiner Ansicht ist das allerdings Genre-bedingt: Nachrichten gebieten es, daß sie zurückhaltend formuliert werden. Zumindest was die „harte Politik“ betrifft, denke man nicht daran, die Sprache zu „boulevardisieren“ – Herlyn: „Ansonsten lassen wir über fast alles mit uns reden.“ Schließlich sei bei gut 600 täglichen Meldungen für jeden Geschmack etwas dabei.

Daß sich dpa von seinen Kunden entfernt habe und zu unbeweglich sei – immer wieder ist im Gewerbe von den „Hamburger Nachrichtenbeamten“ die Rede – möchte Herlyn auch nicht auf sich sitzen lassen: „Wir stehen schon im Ruf, eine alte Dame zu sein, doch die Beispiele zeigen, daß wir durchaus beweglich sind.“ Und erst vor kurzem stimmte der Aufsichtsrat der Gründung eines neuen Unternehmens zu: Gemeinsam mit der französischen Nachrichtenagentur AFP und der Londoner „Financial Times“ wurde „AFX News“, eine Agentur für Wirtschaftsnachrichten im Internet gegründet. Damit erhofft man sich, Marktführer für private und professionelle Anleger zu sein.

Trotz dieser Positiv-Nachrichten berichten Beschäftigte, in der Hamburger dpa-Zentrale sei die Stimmung eher gedrückt, und man beobachte bei der Geschäftsführung eine „gewisse Nervosität“: die Gründung einer Redaktionsgemeinschaft der Gruner + Jahr-Blätter „Hamburger Morgenpost“ und „Berliner Kurier“ („M“ berichtete) beunruhige sowohl die Leitung des Hauses wie auch Kolleginnen und Kollegen. Sollte das Projekt erfolgreich sein, wird die Gründung weiterer Journalistenpools befürchtet.

Konkurrenz

Besonders die ehemalige DDR-Staatsagentur ADN (allgemeiner deutscher Nachrichtendienst) – die mit dem Deutschen Depeschen-Dienst (ddp) zu ddp verschmolz – macht zu schaffen. Vor wenigen Monaten vom Privatsender Pro7 als Grundstein für einen – neben n-tv – zweiten Nachrichtenkanal (N24) gekauft, kündigte Geschäftsführer Wolf Schneider „einen Angriff auf dpa“ an: Um das Image der „Ost-Agentur“ loszuwerden, werde man peu à peu westliche Landesdienste aufbauen und den Mitarbeiterstab ausweiten. „Aufmerksam“, aber keinesfalls „nervös“ werde diese Entwicklung beobachtet, sagt dpa-Geschäftsführer Walter Richtberg. Ziel der dpa sei es, so Richtberg im Gespräch mit „M“, weiterhin am Gründungskonsens der Agentur festzuhalten, indem man einen Beitrag zur positiven Entwicklung der Medienlandschaft leiste. Zur Preispolitik sagt Richtberg: „Wir haben die Preise für den Basisdienst sechs Jahre stabil gehalten. Und wir wollen weiterhin unseren Kunden preisgünstige Agenturleistungen bieten.“

Tarifrunde

Die diesjährige dpa-Tarifrunde (siehe „M“ 7/99) läßt nichts Gutes ahnen: Unabhängig von den tatsächlichen Einbußen durch Kündigungen der dpa-Dienste will die Geschäftsleitung nach Gewerkschaftsangaben gut drei Millionen Mark einsparen. Unter anderem soll die bereits für Anfang 2000 tarifierte 35-Stunden-Woche fallen. Um den Rücken für Investitionen freizuhaben, soll an den Personalkosten gespart werden, munkelt man in der dpa-Tarifkommission. Ärgerlich finden es die Kolleginnen und Kollegen, daß zum Beispiel der Ausbau des „Vermischten“-Ressorts nicht zu Neueinstellungen geführt hat. „Für wirklich guten Journalismus ist unsere Personaldecke eigentlich zu dünn“, ist aus der Redaktion zu hören. Mit Sorge wird auch die Gründung von dpa-Töchtern beobachtet; die zum großen Teil nicht der Tarifbindung unterliegen. „Oft leisten Angestellte die gleiche Arbeit, werden aber unterschiedlich entlohnt, weil der eine bei der Mutter und die andere bei der Tochter angestellt ist“, sagt ein Tarifkommissionsmitglied.

Für IG Medien-Tarifsekretär Manfred Moos ist es der „ganz normale Theaterdonner“, der da im Vorfeld einer jeden Tarifrunde inszeniert wird. So auch das Gerede um die auch so teuren Dienste der dpa. Noch eine andere Sorge treibt den Tarifpolitiker um: Die „Spezies des Verlegers mit Herzblut“ sei im Aussterben begriffen, an seine Stelle träten Kaufleute, die statt auf das journalistische Produkt nur noch auf die Rendite schauten. Was zur Folge habe, daß die Gehälter gedrückt werden. Davon sei auch das Gesellschaftermodell von dpa betroffen: Die Agentur ist eine GmbH mit rund 200 Gesellschaftern, die sich aus Verlegern, Intendanten, Verlags- und Rundfunkgesellschaften und anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Gewerkschaften zusammensetzt. Kein Gesellschafter darf mehr als 1,5 Prozent des Stammkapitals halten. Gedacht als „Verlegeragentur“, die am Markt als Dienstleister auftritt, sollte dpa kostenneutral arbeiten, beziehungsweise mit dem Gewinn Investitionen tätigen. Doch zunehmend drängen die Verleger nach Beobachtungen von Moos darauf, daß die Agentur Gewinn abwirft und Rendite auszahlt. Vor zwei Jahren wurden angeblich 2,5 Millionen Mark an Gewinn ausgeschüttet, was bei der Belegschaft „nicht so gut“ angekommen sein soll.

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