Fünf Prozent aller Werbegelder deutscher Unternehmen landen auf Websites wie dem rechtsextremistischen „Breitbart“-Portal. Damit gefährden sie den guten Ruf der Marke – und die Demokratie, kritisierte der Werbeexperte Thomas Koch gestern auf der digitalen „Konferenz zur Medienzukunft“ am Dortmunder Journalistik-Institut. Neben Analysen standen Gegenstrategien zur Debatte.
Wie es dazu kommen konnte, dass bekannte Unternehmen systematisch auf Fake News Seiten werben und ob die Werbeindustrie nicht eine Mitverantwortung für die Finanzierung von qualitativ hochwertigem Journalismus trägt, fragten die Veranstalter. Es ging um Programmatic-Advertising und Algorithmen, aber auch um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, mit ihren Werbegeldern Qualitätsjournalismus zu finanzieren – statt sie auf Plattformen wie Google und Meta zu verbrennen.
Koch ist Mitgründer der Kampagne „StopFundingHateNow“, die sein Schweizer Marketingkollege Michael Maurantonio im Sommer 2020 startete, indem er den dortigen Werbemarkt nach fragwürdigen Anzeigen-Platzierungen analysierte. Koch brachte die Kampagne nach Deutschland. Seit fünf Monaten sind auch Werbekampagnen in Österreich in die Auswertung einbezogen. Man habe bislang etwa 200.000 Websites gescreent. Das Ergebnis: 600 Schweizer, 250 österreichische und 1.300 deutsche Unternehmen – von Opel über Rewe bis RTL– finanzieren mit ihren Werbegeldern demokratiefeindliche Portale, die etwa Verschwörungstheorien zu Holocaust, Klimawandel oder Corona verbreiten.
Werbung anders wichten
Koch wunderte sich, „dass kein Unternehmen prüft, wo sie eigentlich werben“ und erklärte das mit der „Programmatischen Werbeauslieferung“, bei der „blind Zielgruppen in Maschinen eingegeben“ werden. Das bringe nicht nur die Marke in Gefahr, sondern befördere auch Adfraud, d.h. den systematischen Betrug mit Online-Werbung durch Manipulationsprogramme, die Anzeigen nicht an reale Menschen ausspielen, sondern an Social Bots. Mit ihrem Website-Screening wollten die Initiatoren Unternehmen über die problematische Werbeausspielung aufklären und sie auffordern, anders an die Mediaplanung heranzugehen.
Nur 17 Prozent der informierten Unternehmen – so Koch – reagieren etwa mit dem Stopp der kritisierten Kampagne und das zumeist erst, wenn die auf Linkedin identifizierten CEOs darauf aufmerksam gemacht würden. Auf der Chefebene gebe es „sehr viel Bewusstsein“, während die zunächst auf Twitter angeschriebenen Maketingleute oft zu verschweigen versuchten, dass sie „Milliarden Euro verbrannt haben“.
Als Problemlösung empfahl Koch den Unternehmen eine „neue Balance zwischen digitaler und analoger Werbung“, denn als Werbemann habe er „das Geld immer dahin gesteckt, wo die Menschen sind. Mit Bots erreichen wir sie nicht!“ Beiersdorf und Uber hätten z.B. ihren Online-Werbeetat gekürzt und keine negativen Auswirkungen auf die Reichweite gemerkt.
Die Medienpolitik sei gefordert, die Macht der großen Plattformen Google und Meta – dem Mutterkonzern von Facebook und Instagram – zu regulieren. Beide sind in den USA wegen Kartellabsprachen für eine marktbeherrschende Stellung bei Online-Werbung angeklagt. „Wenn wir ihnen erlauben, Werbegelder zu steuern, dann erlauben wir ihnen, Menschen zu manipulieren“, so Koch.
Auf die Frage, ob denn eine Gegenplattform – öffentlich-rechtlich, mit Qualitätsjournalismus und datengeschützer Werbung – konkurrenzfähig sei, antwortete er mit „Ja“. Kein CEO wolle seinen Aktionär*innen erklären, warum Werbegelder in „falschen Kanälen“ bei Bots oder „Nazis als Zielgruppe“ landeten. Deshalb sollten Unternehmen ihre Anzeigen nicht auf den großen US-amerikanischen Plattformen, sondern lieber bei deutschen Anbietern wie Stroer platzieren. Journalistikprofessor Frank Lobigs gab zu bedenken, dass so zwar Google und Meta Gelder entzogen würden, aber das fragwürdige Modell personalisierter Werbung bleibe. Wenn etwa ein Rechtsradikaler Landrover-Werbung anschaue, werde diese auch auf „Breitbart“ ausgespielt. Man brauche andere Algorithmen!
Plattformen an den Schwachstellen packen
Koch bestätigte: „Auch in der digitalen Medienwelt ist die Zielgruppe ohne personalisierte Werbung erreichbar!“ Doch die Macht von Google und Co. sei schwer zu brechen. So habe Facebook von dem Boykott deutscher Werbetreibener 2020 bei seinem Umsatz nichts gemerkt. Google sei noch schwerer angreifbar, denn niemand wolle auf das „Search-Tool“, die Suchfunktion verzichten.
Internet-Recherche-Spezialist Albrecht Ude erläuterte, dass es außer Google auch andere Suchmaschinen gebe – etwa Bing aus China. Auch in Europa versuchten Initiativen wie OpenWebIndex, andere Modelle aufzubauen – „eine Datenbank, an der jeder Programmierer sich andocken kann“. Das Programmieren sei nicht schwierig, doch für den Aufbau der Datenbank suche man eine Stiftung, die das finanziert.
Zu den Möglichkeiten von Kund*innen und -Publishern, Einfluss auf die Ausspielung von Werbung zu nehmen, meinte Koch, bisherige Versuche seien gescheitert. Als Beispiel nannte er das Engagement der ehemaligen Gruner+Jahr-Verlagschefin Julia Jäkel. Sie hatte bereits 2017 kritisiert, dass Unternehmen einen Großteil ihrer Werbegelder auf Google, Facebook und Amazon investierten und Medien, die eigene journalistische Inhalte erstellten, nur der immer kleiner werdende Rest bleibe: „Wenn der gesamte Journalismus in Deutschland ausgezehrt wird, entsteht eine Armut des Geistes, der Informiertheit und des Widerspruchs. Allein die Lügen werden nicht weniger, sondern mehr.“ Sie schlug einen „Corporate Media Responsibility-Kodex“ für Unternehmen vor, mit dem Werbetreibende anerkennen, dass „zum Nutzen des eigenen Unternehmens und der gesamten Gesellschaft ein handlungsfähiger – und damit entsprechend finanzierter – Journalismus nötig ist“.
Koch sieht den Hebel für Veränderungen darin, die „Plattformen bei ihren Schwachstellen zu packen und bessere Alternativen zu bieten“. Den Nachweis dafür, dass Google und Meta Werbegelder verbrennen, liefere möglicherweise eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zur digitalen Werbekette auf dem dem US-amerikanischen Markt.