Die Medienmeldungen am 22. Februar waren ein Knaller: Der Medienriese Funke habe seiner Mediengruppe Thüringen (MGT) ein „Zukunftsprogramm“ verordnet. Das lokale Profil der drei Titel Thüringer Allgemeine (TA), Ostthüringer Zeitung (OTZ) und Thüringische Landeszeitung (TLZ) solle geschärft werden und deshalb wolle man die Lokalredaktionen personell verstärken. Unterm Strich werden jedoch rund 150 Stellen gestrichen – 65 in den Redaktionen, 37 in den Sekretariaten sowie knapp 50 im Anzeigenbereich und im Verkauf.
Die MGT hat eigenen Angaben zufolge aktuell 1.500 Beschäftigte, dazu sind ungefähr 7.200 Zusteller (mehrheitlich auf Minijob-Basis) für die Mediengruppe unterwegs. Viele dieser Beschäftigten sind jetzt frustriert und enttäuscht. Auch unter den Betriebsräten sorgte die Nachricht für Wut und Entrüstung: „Wir haben zeitgleich mit der Belegschaft und den Medien von den geplanten Umstrukturierungen erfahren“, sagt Britt Mandler. Die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats (GBR) von TA und TLZ hält die Vorgehensweise des Funke-Managements für unseriös: „Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt, anstatt einbezogen zu werden. Das ist dieselbe Masche, wie wir sie schon bei der WAZ in Essen erleben konnten.“ Die OTZ hat andere Gesellschafterbeteiligungen und läuft als eigenständiger Betrieb im Portfolio der Funke-Mediengruppe. Dennoch kann das „Zukunftsprogramm“ allen drei MGT-Zeitungen übergestülpt werden, weil an den einzelnen Titeln nicht gerüttelt wird. Allerdings soll die Struktur bald ganz anders als bisher aussehen: Personell werden bei den Titeln nur die jeweilige Chefredaktion und ein kleiner Mitarbeiterstab übrig bleiben. Die Redakteur_innen und das übrige Personal landen in drei kleinen Servicegesellschaften.
Drei neue Gesellschaften
Die Thüringen Content und Services GmbH (TCS) existiert seit Dezember 2015. In ihr steckt die Thüringer Zentralredaktion mit Online- und Lokalsportredakteuren. Dazu sollen jetzt die Mantelreporter Landespolitik, -sport und -kultur sowie die Redakteure vom Dienst am aktuellen Tisch kommen. Insgesamt soll die TCS dann 45 Mitarbeiter haben.
In der neuen Thüringen Redaktion GmbH (TRR) werden alle Lokalredaktionen der drei Titel und das zugehörige Tischpersonal angestellt sein. Aus dieser Gesellschaft kommt auch der Slogan „Stärkung des Lokalen“, denn sie wird elf Beschäftigte mehr haben als bisher die Lokalredaktionen. Was allerdings unterschlagen wurde: In den Städten mit zwei Lokalredaktionen werden die bisherigen Konkurrenzredaktionen zu so genannten Gemeinschaftsredaktionen zusammengelegt. „Nur ein Teil der bisher am Thüringentisch arbeitenden Redakteure – sie sind strukturell derzeit dem Mantel zugeordnet – wird in die TRR wechseln“, vermutet Britt Mandler, selbst Lokalredakteurin bei der TA in Arnstadt.
Die bereits bestehende Mediengruppe Thüringen Service GmbH (MGT) wird zum zentralen Dreh- und Angelpunkt fürs Organisatorische: Von Erfurt aus sollen für alle Lokalredaktionen Terminmanagement und Telefonate abgefangen und lokale Datenbanken gefüttert werden. Alle Sekretärinnen aus den Lokalredaktionen (ehemals 37) werden aus den einzelnen Lokalredaktionen abgezogen. Sie dürfen sich in der neuen Zentrale in Erfurt vermutlich zu Mindestlohn-Bedingungen bewerben. Zehn bis zwölf werden voraussichtlich eingestellt. Im Gegenzug wird es keine Stellen für Sekretärinnen mehr in den Lokalredaktionen geben. „Das können nur Menschen entschieden haben, die keine Ahnung haben, was Sekretärinnen in einer Lokalredaktion alles abfangen. Ganz abgesehen davon, dass die lokalen Terminpläne nicht aus der Ferne zu organisieren sind“, meint die Betriebsrätin.
Zentralredaktionen in Berlin und Essen
Die Funke-Zentralredaktion in Berlin arbeitet schon seit September 2015 – sie ist laut Eigendarstellung des Konzerns der „Brückenkopf der Regionalmedien in die Hauptstadt und die Republik“. Sie versorgt die Berliner Morgenpost, das Hamburger Abendblatt sowie die NRW-Titel Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung, Westfalenpost und Westfälische Rundschau – demnächst dann auch die drei Thüringer Titel sowie die Braunschweiger Zeitung – mit Brückenkopf-Content. Auch die Panorama- und Wissen-Seiten für alle Titel werden in Berlin erstellt. Die im Land verstreuten Redaktionen der einzelnen Titel müssen für diese „Versorgung“ wie für einen Dienstleister bezahlen und entsprechenden Kostendruck erzeugen.
Umgekehrt bedient sich die Zentrale „der regionalen und lokalen Expertise aus den Funke-Titeln und stellt national relevante Inhalte aus den Regionen allen Medien zur Verfügung“ (Eigendarstellung Funke). Der überregionale Sport soll zukünftig für alle Titel in Essen produziert werden. Für Bundesliga und Co. ginge das ja in Ordnung. Aber wie soll die Berichterstattung z.B. über national/international relevante Wintersportereignisse in Thüringen laufen?
Umsetzung sofort – Titel sollen vorerst bleiben
Die Umsetzung dieser „Rosskur“ ist bis Juni 2016 geplant. Bisher wurden keine Kündigungen ausgesprochen – die Kriegskasse von Funke ist gut gefüllt und am Geld soll die Umstrukturierung a la WAZ nicht scheitern. Schließlich hat die Funke-Mediengruppe (ehemals WAZ-Gruppe) im letzten Jahr über zehn Prozent Rendite erwirtschaftet. Bei einem Umsatz von 929 Millionen Euro machte der Konzern 105 Millionen Euro operativen Gewinn – auch dank der Wirtschaftlichkeit der drei Thüringer Zeitungen im Portfolio. Durch die redaktionelle Verknüpfung von TA, TLZ und OTZ wird eine Gesamtauflage von täglich über 260.000 Exemplaren verbreitet und damit rund 80 Prozent der Zeitungsleserschaft eines ganzen Bundeslandes gleichermaßen bedient. Fragen nach der Vielfalt in der Presselandschaft sind damit beantwortet.
Und wie werden die drei bislang so verschiedenen Zeitungen nach Realisation des „Zukunftsprogramms“ aussehen? Man wolle die Titel nicht in Frage stellen, so die Botschaft aus der Funke-Chefetage. Medienexperte Horst Röper vom Formatt-Institut schätzt ein: „Der Konzern selbst hat in NRW sein Prinzip bereits vorgeführt: Erst wird in kleinere Einheiten zerstückelt, dann werden Redaktionen zusammengelegt – das ist die Blaupause für die aktuellen Pläne in Thüringen.“ Die alten Titel, so ist sich Röper sicher, werden als reine (Marken-)Hüllen weiter betrieben, um die Leserschaft nicht zu verschrecken. „Perspektivisch wird der Inhalt aber bei allen gleich sein“, so Röper. Und das sei nur der Anfang, denn andere große Verlagshäuser wie Madsack, DuMont seien auf dem gleichen Weg wie Funke. „Und viele kleinere lassen schon längst anderswo drucken und sich redaktionelle Inhalte von externen Dienstleistern zuliefern.“ Röper ist sicher: Der Arbeitsplatzabbau in den Medienhäusern wird weiter gehen.
Betriebsräte und Gewerkschaften verhandeln gemeinsam
Für die neuen Gesellschaften hat der GBR der alten MGT keine Mitbestimmungsrechte. Aber die Betriebsräte der drei Zeitungen sind sich einig: „Wir sprechen mit einer Stimme.“ Sie wollen alles tun, um die Folgen der Strukturumstellungen für die Beschäftigten abzufedern. Betriebsbedingte Kündigungen sollen vermieden und sozialverträgliche Lösungen gefunden werden. Bei Belegschaftsversammlungen am 1. März stimmten die Beschäftigten mit überwältigender Mehrheit dafür, die Gewerkschaften (ver.di/dju und DJV) gemeinsam mit ihren Betriebsräten über einen Sozialtarifvertrag verhandeln zu lassen.
Für diejenigen, die im neuen Funke-Konstrukt weiter arbeiten, sind dringend Regelungen notwendig: „Unsere Verträge sind nur noch ein Jahr geschützt. Wir wollen verhindern, dass wir anschließend ins Bodenlose fallen“, sagt Britt Mandler. Schon lange sind die MGT-Zeitungen nicht mehr im Verlegerverband. Bei der TA und OTZ hatte man seit Mitte der 1990er Jahre wenigstens eine tarifliche Nachwirkung und Anlehnung an den Tarif erreichen können, bei TLZ verdient ein Teil der Kolleg_innen deutlich unter dem aktuellen Tageszeitungstarif.
Erste Sondierungsgespräche mit Gewerkschaftsvertretern fanden am 2. März statt. Michael Kopp, Verhandlungsführer für die dju/ver.di: „Es standen ohnehin Tarifverhandlungen an. Wir haben den Termin genutzt, um unseren erweiterten Forderungskatalog vorzustellen.“ Das habe für Erstaunen bei Klaus Lange (ehemals Magdeburger Volksstimme) und Michael Tallei gesorgt: „Sie hatten wohl nicht vermutet, dass wir so schnell sein würden.“ Die beiden MGT-Geschäftsführer waren gemeinsam mit Funke-Konzernpersonalchef Gerrit Hempelmann aus Essen gekommen. Der hatte schon das Rotstiftprogramm in NRW geleitet und im Gespräch ausdrücklich betont, dass man die Umstrukturierungen in Thüringen „sauber“ und „sozialverträglich“ realisieren wolle. Der nächste Termin mit den Betriebsräten wurde für den 10. März vereinbart.