Ausgewogenheit nur als Aushängeschild

Aktueller kann eine Sendung kaum sein. Nur einen Tag nach dem völkerrechtswidrigen, weil nicht mit UNO-Mandat ausgestatteten Luftangriff von USA, Großbritannien und Frankreich auf Syrien widmete „Anne Will“ sich der kriegerisch zugespitzten Situation im Nahen Osten. Doch blieben in der ARD-Talkrunde am vergangenen Sonntag (15.4.) die NATO-Apologeten weitgehend unter sich.

„Angriffe des Westens auf Syrien – wie gefährlich ist die Konfrontation mit Russland?“, ein brandaktuelles Thema, das eine differenzierte Debatte mit pluralistischer Komposition der Diskutanten verdient hätte. Nicht so geschehen bei „Anne Will“. Geladen waren: Wolfgang Ischinger, seit 2008 Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorf, Golineh Atai, ARD-Korrespondentin in Moskau, sowie der Linken-Politiker Jan van Aken.

Eine ausgewogen besetzte Runde, könnte der flüchtige Beobachter meinen. Von wegen. Ischinger war mal deutscher Botschafter in Washington und London. Als Chef der Sicherheitskonferenz organisiert er jährlich mit 350 Entscheidern aus NATO-Staaten Debatten, deren Hauptstoßrichtung die „russische Expansionspolitik“ ist. CDU-Mann Röttgen wettert seit Jahr und Tag gegen „Putins Kriegsverbrechen“ in Syrien, der Ukraine und sonstwo und fordert gebetsmühlenhaft neue Sanktionen gegen Russland. Lambsdorff wiederum geißelte soeben die Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, eine Beteiligung an einem Militäreinsatz gegen Assad kategorisch auszuschließen, als „Fehler“. Und Golineh Atai hat sich vor allem durch eine zuverlässige Anti-Putin-Linie in ihrer Berichterstattung über Russland und die Ukraine profiliert. Blieb als linkes Feigenblatt Jan van Aken, Ex-UN-Waffeninspektor und leider seit den letzten Wahlen aus eigenem Entschluss nicht mehr für die Linke im Bundestag.

Von Ausgewogenheit also keine Spur. Darüber hinaus kennen sich Ischinger, Röttgen und Lambsdorff aus der gemeinsamen Mitgliedschaft in einem exklusiven Klub: der „Atlantikbrücke“, einem Lobbyverein zur Förderung der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Alle drei sind sogar Vorstandsmitglieder dieses „think tanks“, in dem bundesdeutsche und US-Politiker sowie – leider auch Journalisten wie Stefan Kornelius, Außenpolitikchef der „Süddeutschen“ und „Heute-Journal“-Moderator Claus Kleber – sich in diskreter Atmosphäre auf ein gemeinsames Weltbild verständigen. Von der Zugehörigkeit des Trios zu diesem guten, alten NATO-old-boys-Netzwerk erfuhren die Zuschauer am Sonntag nichts.

Fast genau vor einem Jahr gab es übrigens schon mal eine Syrien-Debatte bei „Anne Will“. Auch damals ging es um einen US-Bombenangriff auf Syrien. Auch damals musste ein mutmaßlicher – bis heute nicht nachgewiesener – Giftgasangriff des „Monsters“ Assad als Vorwand für eine völkerrechtswidrige Militäraktion herhalten. Auch in der damaligen Talkrunde war der NATO-Freundeskreis in der Mehrheit, vertreten durch Ursula von der Leyen, den Ex-US-Botschafter John Kornblum und den Historiker Michael Wolffsohn. Auch damals vertrat der Linke van Aken die nicht-kriegerischen Argumente, allerdings unterstützt von Autor Michael Lüders, dem Syrien-Experten schlechthin.

Interessanterweise sorgte Anne Will bei dieser Gelegenheit für eine „Transparenz“ der besonderen Art, als sie Lüders zu Beginn der Debatte als im Nahen Osten tätigen „Geschäftsmann“ vorstellte. Will wörtlich: „Spielen Ihre wirtschaftlichen Interessen da ’ne Rolle, wenn Sie sagen oder behaupten, dass es der Westen sei, der Syrien ins Chaos gestürzt hat?“ Ein recht perfider Versuch, einen der wenigen Protagonisten zu diskreditieren, die eine von der üblichen Anti-Putin- und Monster-Assad-Rhetorik abweichende Position vertreten. „Anne Will“ – politisch denken, persönlich fragen? Das war einmal. Und doch wäre es schade, wenn ein gelegentlich durchaus anregendes TV-Format außenpolitisch zum ideologischen Brückenkopf der „Atlantiker“ verkäme.

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