Aus’m Maschinenraum der Kulturarbeit

Yogi Jokusch Foto: Fontaine Burnett

Meinung

Ich bin Percussionist. (Hä?) Ok, ich bin Musiker. Und seit 2005 ver.di-Mitglied im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie in Hamburg. Seit über dreißig Jahren professioneller Musiker, war ich 16 Jahre sogenannter Principal in Musical Orchestern, etwa bei Disneys „Tarzan“. Genauso lange war ich Freischaffender, hab etwa 250 CD-Produktionen gemacht, drei davon mit Ulrich Tukur.

Gerade bin ich pleite, ohne jede Aussicht auf Bundeshilfen oder die Chance auf Hartz 4, weil Immobilienkredite nicht übernommen werden und Streams, Online-Musik-Unterricht und Privatkredite doch ein wenig zu viel eingebracht haben. Kurz: Alles dufte und jetzt alles kaputt.

Seit Mai 2020 engagiere ich mich in einem Projekt des Hamburger ver.di-Bezirks, das darauf zielt, die Gewerkschaft bei meinen soloselbständigen Künstler-Kolleg*innen bekannt zu machen und sie im besten Fall zu organisieren. Achtzig habe ich bisher als Mitglieder gewonnen, bundesweit, hab Aktionen gemacht und Interviews gegeben. Tja, ich war damit sogar in den „Tagesthemen“…

Ich habe mich ein Jahr lang nahezu täglich intensiv auf Social Media Plattformen, per Messenger Diensten, E-Mail und Telefon dafür abgerackert. Und das nicht nur in meinem Bereich der “Komparserie” um den Ausdruck des Kollegen Herkel zu zitieren. Ich hab auch bei den Top Acts, der “Elite”, den Prominenten ganz regelmäßig angeklingelt. No reaction. Na klar, dachte ich mir. Gewerkschaft? Nicht sexy genug.

Also habe ich gehofft, dass jemand aus der Elite irgendwann von alleine anfangen würde, für eine Organisation von Künstlern zu werben. Dass einer mit gutem Beispiel vorangeht. Vielleicht Jan Josef Liefers? Der hat ja eine Band und eine Crew, die jetzt auch ziemlich am Ende ist.

Über ein Jahr lang blieb einzig Till Brönner das Highlight. Der hatte ja beklagt: Wir haben keine Lobby. Unsere Gewerkschaftssekretärin hat ihm geschrieben, eine Antwort kam nicht. War auch nicht Daimler – Autoindustrie: systemrelevant und mit viel Geld im Vorgarten.

Doch habe ich weiter auf Unterstützung von den Großen der Branche gehofft. Über ein Jahr habe ich davon geträumt, dass wirklich prominente Zugpferde uns helfen, für unseren Organisation werben: Leute, kommt zu ver.di, organisiert Euch! Das ist was für Selbstständige…

Stattdessen kamen der Winter und die unsäglichen Bundeshilfen, die immer noch nicht ganz ausgezahlt sind, obwohl draußen die Kirschen blühen. Ich trommle inzwischen für das ver.di-Jahr der Kulturschaffenden 2021. Von der Elite weiter keine Spur. Die hat „Tatort“ und anderes gedreht mit Tests und Hygienemaßnahmen, die war wohl beschäftigt.

Für #allesdichtmachen haben bekannte Schauspieler*innen dann Zeit gefunden. Die Aktion war für mich und für viele andere aus der ”Komparsarie” ein Schock. Die Videobotschaften haben meiner Ansicht nach nichts, aber auch gar nichts Positives gebracht. Ich halte sie für eitel, elitär und unbedacht.

Die Auswirkungen waren direkt spürbar: Einen Tag nach der Aktion konnten wir einen gesprächsbereiten, jovial lächelnden Minister Spahn bewundern, der natürlich deutlich vermittelte, dass der Diskurs immer funktioniere in Deutschland; und eine aufgebrachte Frau Grütters, die Ihr Kultur-Ressort lobte, das (trotz dieser Unartigkeit) einen DOPPELTEN Jahresetat hat, als einziges Ressort überhaupt. Wieder war die Regierung in die Lage versetzt worden, ihre Hymne von den schnellen, unbürokratischen, umfassenden und sozialen Hilfen für die Kultur zu singen.

Instrumentalisiert wurden der Applaus von der falschen Seite und die vermeintlich mangelnde Empathie für Corona-Opfer und Pflegekräfte. Diese Vorwürfe sind in Günter Herkels Meinungsbeitrag hervorragend demontiert worden. Doch, und dies ist meine Kritik an seinem Kommentar, die dort gepriesene Reichweite von 1,2 Millionen Klicks allein für Jan Josef Liefers ist verpufft.

Die Video-Aktion der Schauspieler*innen-Elite hat den Diskurs weiter davon entfernt, etwas mehr Lastenausgleich, gesellschaftliche Wahrnehmung, Toleranz und Solidarität zu schaffen.

Dabei hätte auch Eigentum in Form von Reichweite verpflichtet. Die Prominenz – bei der sicher keiner rechts ist, keiner AfD, keiner Querdenker – hätte mit ihren fraglos guten Absichten viel erreichen können für uns alle.

Debattiert wird nun, was auch mich betrübt, über das Moralverhalten der Beteiligten, über eine Spaltung der Gesellschaft in Befürworter*innen und die „Anderen“. Ich sehe sogar die Kultur beschädigt, sehe sichtlich belastete Ikonen des deutschen Films, die schlecht geschlafen haben. Wie ich das ganze Jahr.

Wir alle, die sich seit Monaten abgearbeitet und gemüht haben für mehr Aufmerksamkeit durch die Bundesregierung und bessere gesellschaftlichen Wahrnehmung, wir schlagen uns nun auch noch mit der Hypothek dieser Aktion herum.

Und ich glaube nicht, dass es mir gelingt, eine Tatortkommissarin oder irgendeinen anderen Big Name in nächster Zeit für ver.di zu begeistern: zu beschäftigt mit Dementis und Erklärungen. Andere werden sicher sehr vorsichtig werden. Sehr schade, denn wir haben doch das ver.di-Jahr der Kulturschaffenden.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die unangemessene Provokation

Sie haben es wieder getan. Zum zweiten Mal nach 2020 verweigern die Ministerpräsidenten den öffentlich-rechtlichen Anstalten die von der KEF empfohlene Anpassung des Rundfunkbeitrags. Gegen diesen abermaligen Verfassungsbruch ziehen ARD und ZDF erneut vor das Bundesverfassungsgericht. Gut so! Denn nach Lage der Dinge dürfte auch dieses Verfahren mit einer Klatsche für die Medienpolitik enden.
mehr »

Mit Perspektiven gegen soziale Spaltung

Die Berichterstattung über den Nahostkrieg zwischen Staatsräson und Menschenrechten ist heikel, denn die Verengung des Diskurses begünstigt einen Vertrauensverlust der Medien und die soziale Spaltung in Deutschland. Beides wird durch den politischen Rechtsruck befeuert. Grund genug, den medialen Diskurs genauer unter die Lupe zu nehmen.
mehr »

Das „Compact“-Verbot wurde ausgesetzt

Das rechte Magazin „Compact“ darf vorerst weiter erscheinen. Nachdem das Bundesinnenministerium im Juni ein Verbot verfügt hatte, gab das Bundesverwaltungsgericht zwei Monate später einem Eilantrag des Unternehmens statt, das das Magazin herausgibt (BVerwG, Beschluss vom 14. August 2024 – BVerwG 6 VR 1.24). Dennoch ist der Beschluss kein Freifahrschein, denn das Gericht hat einem Verbot rechter Medien nicht grundsätzlich eine Absage erteilt.
mehr »

Pressefreiheit gegen rechts verteidigen

Die Wahlergebnisse der AfD in Brandenburg, Sachsen und vor allem in Thüringen sind für unsere offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft eine Katastrophe. Noch ist unklar, wie sich das parlamentarische Erstarken der Rechtsextremisten und Faschisten konkret auf unser Zusammenleben auswirken wird. Absehbar ist aber schon jetzt, dass Medienschaffende und das Mediensystem insgesamt noch stärker unter Druck geraten werden.
mehr »