Bravo, Renate Künast!

Foto: Nora Erdmann

Meinung

Bravo, Bundesverfassungsgericht! Nun ist rechtssicher, dass „Pädophilen Trulla“, „Drecksau“ und „gehirnamputiert“ keine zulässigen Meinungsäußerungen, sondern Schmähungen sind, die die Adressatin nicht klaglos aushalten muss. Klar ist auch, dass Plattformen, über die solche Hasstiraden verbreitet werden, mit in der Verantwortung stehen. Und dass es auch im digitalen öffentlichen Diskurs Grenzen gibt. Ende gut?

Da wurde überfällig etwas richtiggestellt, was seit 2019 Gerichte und Öffentlichkeit beschäftigte. Soweit, so gut. Doch dass es dafür des Ganges nach Karlsruhe überhaupt bedurfte, ist der eigentliche Skandal. Dass Vorinstanzen es – für eine in der Öffentlichkeit stehende Politikerin zumal – als „hinnehmbar“ sahen, Schmähungen und Hass aus dem Netz zu ertragen und dass der Aufschrei aus der Zivilgesellschaft relativ verhalten blieb.

Gleichgültigkeit und Fatalismus sprachen daraus ebenso wie unzureichendes Rechtsempfinden. Dabei sagt ja schon der gesunde Menschenverstand: Übelste Beschimpfungen werden nicht legitimer, wenn sie nicht Auge um Auge vorgebracht werden, sondern nur des berühmten Klicks bedürfen. Ein sogenannter „Sachbezug“ zu früheren eigenen Äußerungen setzt Gebote zu Sachlichkeit und den Anstand nicht außer Kraft. Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde von Politikerinnen sind nicht antastbarer ist als die von Monika Mustermann oder Otto Normalverbraucher. Beleidigung und Herabsetzung zählen nicht unterschiedlich nach den Medien, wo sie getan werden.

All das haben die Karlsruher Richter*innen jetzt auch juristisch wieder geradegerückt. Die Ohrfeige an die Kollegen der Instanzgerichte eingeschlossen, sie hätten nicht ausreichend abgewogen. Da sie die angegriffenen Facebook-Kommentare zwar als ehrenrührige Herabsetzungen einstuften, sich aber insgesamt nicht schützend vor die Klägerin gestellt hätten, sei die in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt.

Das Bundesverfassungsgericht setzt damit die, die Hass digital verbreiten, eindeutig ins Unrecht. Sie müssen mit Strafverfolgung rechnen. Das bleibt schwierig genug, doch es hilft ­ – nicht nur moralisch – vielleicht auch jenen Bürgermeistern und Lokalpolitikerinnen, die einen gegen sie gerichteten Shitstorm zuletzt kaum oder nicht mehr ertrugen. Schließlich: Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das hier von den Vorinstanzen weit über Gebühr strapaziert wurde, ist neuerlich geschärft. Der Spruch hat weitere Auswirkungen auf Facebook und Co. und dürfte bis in die EU ausstrahlen. Gegen Hate Speech ist noch längst nicht alles gesagt, geschweige getan.

Doch Renate Künasts Ziel, dass „das Recht im digitalen Zeitalter ankommt“, Hartnäckigkeit und Stehvermögen haben sich gerade ausgezahlt. Bravo, Renate Künast!

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Putins Geiseln

In Russland wurden Mitte Juli zwei westliche Journalist*innen aufgrund fingierter Anschuldigungen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Westliche Regierungen werden nun einen zynischen Deal mit dem Kreml eingehen müssen, um Evan Gershkovich und Alsu Kurmasheva freizubekommen. Doch gleichzeitig sollten sie klar machen, dass sie Putins „Verständnis“ von Journalismus nicht teilen.
mehr »

Tarifbindung statt Mehrwertsteuersenkung

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder möchte Verlagen, “Begleitschutz” geben. Das hat er bei einer Veranstaltung des Medienverbandes der freien Presse kürzlich angekündigt. Diejenigen unter ihnen, die Presseerzeugnisse herausgeben, sollen nach dem Willen Söders von einer - weiteren - Senkung der Mehrwertsteuer profitieren.
mehr »

Demokratie besser demokratisch schützen

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat das als rechtsextremistisch eingestufte Magazin “Compact” verboten. Es sei ein zentrales Sprachrohr der rechtsextremen Szene, heißt es in der Erklärung dazu. Das Verbot betrifft nicht nur das gedruckte Heft, sondern die gesamte Compact Magazin GmbH und die Conspect Film GmbH – und somit sämtliche Verbreitungskanäle.
mehr »

Für mehr Konfrontation

Die Wahlen zum EU-Parlament endeten – nicht unerwartet – in vielen Mitgliedsstaaten mit einem Rechtsruck. In Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, den Niederlanden und anderswo wurden eher euroskeptische, nationalistische, migrationsfeindliche Kräfte der extremen Rechten gestärkt. Auch in Deutschland haben 16 Prozent der Bürger*innen, mehr als sechs Millionen Menschen für die rechtsextreme, völkische AfD gestimmt – trotz NS-Verharmlosungen, China-Spionage und Schmiergeldern aus Russland.
mehr »