Datenklau per Keylogger – eine Debatte über gute und böse Whistleblower
Die linksalternative Tageszeitung taz wurde Opfer einer Ausspähung durch einen Redakteur des eigenen Blatts. Es soll sich um denselben Mann handeln, der heimlich Dienstgespräche in der Süddeutschen Zeitung mitschnitt, um einen angeblichen Skandal zu belegen. Der Redakteur wurde entlassen, die taz hat Strafanzeige gestellt.
Der Vorgang schockierte die Branche. Einige Medien reagierten mit Häme: Ausgerechnet die taz, die sonst jeden Geheimnisverrat eines Whistleblowers als Dienst an der Demokratie zelebriere, reagiere nun, nachdem sie selbst betroffen sei, mit strafrechtlichen Maßnahmen. Der „Kult“ um den Geheimnisverräter, der Informationen aus der eigenen Organisation stehle, so der Vorwurf, habe Maßstäbe erodieren lassen. Investigative Recherchen würden – aus vermeintlich höherer Moral – per se über das Recht gestellt.
Wer so argumentiert, wirft Unvereinbares in einen Topf. Eine differenzierte Betrachtung kann nicht daran vorbei gehen, die Motive der jeweiligen Geheimnisverräter zu prüfen. Ob Julian Assange mit seinen Wiki-Leaks, ob Chelsea Manning, die US-Folter im Irak offengelegt hat, selbstverständlich auch Edward Snowden mit seinen Enthüllungen über die Überwachungspraxis der NSA – alle drei sind zweifelsohne Personen, die unter hohem persönlichen Einsatz und Risiko gesellschaftliche Missstände aufgedeckt haben. Vor diesem Hintergrund haben sie der Demokratie einen Dienst erwiesen.
Welche Absichten verfolgte demgegenüber der taz-Redakteur, der in flagranti beim Ausspähen seiner Kollegen ertappt wurde? Mit eben den Methoden, die das Bundeskriminalamt unter dem Schlagwort „Onlinedurchsuchung“ schon seit Jahr und Tag gern gegen Redaktionen einsetzen würde. Was aber bislang am Widerstand der Betroffenen und der Mediengewerkschaften scheiterte. Lässt sich unterscheiden zwischen gutem und bösem Geheimnisverrat? Für taz-Chefredakteurin Ines Pohl gibt es ein entscheidendes Kriterium, an dem sich Undercover-Recherchen messen lassen müssen: die gesellschaftliche Relevanz der so erlangten Informationen. Eine Relevanz, die allemal über einen persönlichen Rachefeldzug oder ähnlich gelagerte Motive hinaus gehen müsse.
Ähnlich sieht es auch der Deutsche Presserat. Grundsätzlich, so heißt es in Ziffer 4 des Pressekodex, dürften bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern „keine unlauteren Methoden“ angewandt werden. Wer von dieser Regel abweichend verdeckt und mit rechtlich fragwürdigen Methoden recherchiert, für den gibt es laut Presserat-Geschäftsführer Lutz Tillmanns eine hohe Hürde: das Vorhandensein eines „überragenden öffentlichen Interesses“ an den so erlangten Informationen. Gleichzeitig gelte aber auch: „Wenn Kollegen Kollegen bespitzeln, dann ist das ein No Go.“
Ein No Go? Sollen ausgerechnet Journalisten, die sich viel darauf zugutehalten, gesellschaftliche Missstände aufzudecken, vor Nachforschungen über ihr eigenes Tun abgeschottet werden? Darum gehe es gar nicht, findet Medienwissenschaftler Volker Lilienthal. Auch Journalisten stünden nicht als „Unberührbare“ unter Naturschutz. Natürlich müssten auch Journalisten ihre Arbeit einer kritischen Prüfung aussetzen. Aber um ihrer Arbeit nachgehen zu können, sei neben dem Informantenschutz auch der Schutz des Redaktionsgeheimnisses unerlässlich. Ohne diesen Schutzraum sei die Funktionstüchtigkeit einer freien Presse gefährdet.
Klingt überzeugend, hat aber auch den einen oder anderen Widerhaken. Wie lässt sich denn dann das Wirken von Enthüllungsreporter Günter Wallraff beurteilen, des Mannes, der 1977 „bei Bild Hans Esser war“? Klar dürfte sein: Mit der Unterscheidung zwischen „guten“ und „bösen“ Zeitungen kommt man hier medienrechtlich kaum weiter. Das Redaktionsgeheimnis von Bild sollte zunächst mal nicht weniger wert sein als das der taz. In diesem Sinne urteilte im Wallraff-Beschluss von 1984 grundsätzlich auch das Bundesverfassungsgericht. Zu den Methoden Wallraffs hieß es: „Weder das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung noch die Pressefreiheit schützen die rechtswidrige Beschaffung von Informationen.“ Als solche werteten die Richter seinerzeit auch das „Einschleichen“ Wallraffs. Dann aber kommt’s: „Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für die Betroffenen und für die Rechtsordnung nach sich zieht.“
Bislang ist nicht erkennbar, welche überragende öffentliche Bedeutung die Spähaktion des einstigen taz-Mitarbeiters hätte haben können. Mit einer Enthüllungsreportage, die schwere Menschenrechtsverletzungen im Redaktionsgebäude an der Rudi-Dutschke-Straße nachweist, dürfte kaum zu rechnen sein. Das Abfischen persönlicher Daten in Redaktionen per Keylogger ist eindeutig eine kriminelle Handlung. Das Aufdecken millionenfacher Grundrechtsverletzung wie im Fall Snowden dagegen ein Dienst an der Demokratie.
In der taz-Redaktion jedenfalls hat der Datendiebstahl Wirkung hinterlassen. Der Schaden wird als beträchtlich angesehen. Wer bislang vertrauensvoll mit einem Redaktionsmitglied zusammenarbeitete, wird sich nun fragen, wie vertraulich diese Kommunikation noch ist. Gefährdet ist damit auch die bislang in der taz gelebte offene und lebendige Diskussionskultur. Eine Kultur, die nicht zuletzt auch den Charme dieser Zeitung ausmacht. Es wäre ein unangenehmer Folgeeffekt, wenn eine Redaktion bei ihrer Arbeit aus Furcht vor Ausspähung von Paranoia ergriffen würde. Zwecks besserer Absicherung der Informanten betreibt die taz jetzt verschärft digitales Sicherheitstraining samt Datenverschlüsselung zum Schutz des Redaktionsgeheimnisses. Im Zweifelsfall gilt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.