Leserbrief: Gewalt verharmlost

„Mediale Gipfelstürmer” in M 06 – 07 / 2007

Der Autor schreibt: „Weil sich ein paar Dutzend Jungmachos nicht an die Verabredungen hielten, wurden Wolfgang Schäuble die Bilder geliefert, die er sich offenbar wünschte: steinewerfende Chaoten. Tagelang flimmerte das gleiche Bild über die Mattscheibe: vor dem Steinhagel wegrennende Polizisten …“

Diese Darstellung empfinde ich als unerträgliche Verharmlosung und Legitimierung von personengerichteter Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung. Wer sich mit Wurfgeschossen gerüstet auf den Weg macht, will gegebenenfalls auch Gebrauch von den Waffen machen. Er nimmt damit in Kauf, dass andere schwer verletzt werden. Körperverletzung – im schlimmsten Fall mit Todesfolge – ist aber weder gewerkschaftlich noch insgesamt zivilgesellschaftlich als politisches Argument legitimiert.
Der Hinweis auf „Jungmachos“ legt nahe, die Bewaffnung als entwicklungsbedingtes und damit entschuldbares Fehlverhalten Jugendlicher zu charakterisieren. Es kommt tatsächlich vor, dass junge wie auch alte Machos die politischen Folgen ihres Handelns nicht einschätzen können; dass sie ohne Absicht eine friedliche Oppositionsbewegung in Misskredit bringen und Menschen mit gleicher Überzeugung abhalten, sich offen zu engagieren. So debil oder weltfremd sind aber auch Jugendliche nicht, dass sie das Verletzungspotential von Gleisschottersteinen nicht erkennen.
Der Hinweis auf „Jungmachos“ sowie auf eine angeblich gebrochene Verabredung provoziert allerdings auch Fragen zur Professionalität journalistischer Darstellung. Woher weiß der Autor, dass hinter den Masken der Täter ausschließlich „Jungmachos“ steckten? Kann er ausschließen, dass unter den Steinewerfern vermummte agents provocateurs waren, deren Auftrag und Ziel es war, eine friedliche Demonstration ihrer Wirkung zu berauben? Gegebenenfalls auch unter Missbrauch unreifer junger Leute? (Bekanntermaßen kann man heute sogar Demonstranten als Dienstleister für die jeweils eigenen Ziele mieten.)
Versteckte Provokateure gab es zu allen Zeiten. Und: Wer hat da angeblich Verabredungen mit wem getroffen? Was war Gegenstand dieser Verabredungen? Wenn der Autor Kenntnisse dazu hat – und dass behauptet er immanent – dann sollte er die auch an seine Leser weitergeben.

Manfred Protze,
Mitglied des dju-Bundesvorstandes 

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