Leserbrief: Zu viel Glaubwürdigkeit

Rangliste zur Pressefreiheit“ in M 11 / 06

Mir ist es völlig unverständlich, warum M seit langem der Nichtregierungsorganisation (NRO) „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) so viel Platz und so viel Glaubwürdigkeit einräumt.

Zu ROG gilt es festzuhalten: 1. Diese Organisation ist alles andere als eine regierungsferne NRO. ROG hatte im Jahre 2003 (neuere Zahlen liegen m. W. nicht vor) ein Jahresbudget von rd. 3,5 Mio. Euro. Davon stammen 11 % von der frz. Regierung und 15 % von der EU. Lt. eigenen Angaben sollen weitere 48 % (!) durch den Verkauf von Publikationen erwirtschaftet worden sein. Das wären 250.000 Bücher à 8,00 Euro. Und genau das ist nicht glaubhaft.
2. ROG hat im Jahre 2003 viel Geld – eine genaue Summe hat ROG nie öffentlich genannt – von der National Endowment for Democracy (NED) aus den USA bekommen. NED wiederum kriegt sein Geld direkt vom US-Außenministerium und ist eine Kalte Kriegs-Institution der Reagan-Administration zur weltweiten Bekämpfung linker Kräfte.
3. ROG hat bislang noch nie seine Methoden und statistischen Indikatoren zur jährlichen Berechnung seiner Rangliste zur Pressefreiheit veröffentlicht. Bei einer statistischen Auswertung von 50 Fragen (die ROG an seine internationalen Partner geschickt hat) interessieren vor allem die mathematischen Gewichtungen der verschiedenen Fragen zueinander und die jeweiligen Skalierungen, denn nur so kann man zu einem quantitativen Ranking kommen. Auch wenn es bei diesem Thema zynisch klingt, ist es unabdingbar zu wissen, ob und wie das Faktum „Ermordung eines Journalisten“ im Vergleich z. B. zu den Tatbeständen „Schließung einer Redaktion“ oder „staatlicher Lieferstopp von Zeitungsdruckpapier“ gemessen wird. Die UNDP liefert bei ihren Jahresberichten über den menschlichen Entwicklungsindex genau ihre Berechnungsmethoden mit. Da ROG seit Jahren keinerlei Angaben für die Berechnung seines Freiheitsindex‘ gibt, kann man das gesamte Ranking vergessen. Fazit für mich: ROG ist eine Vorfront-Organisation solcher Regierungen, die da meinen, man könne eine sehr komplexe Staatenwelt auf einer simplen Gut-Böse-Achse einordnen.

Prof. Dr. Jörg Becker,
Solingen

Weitere aktuelle Beiträge

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »

Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?
mehr »

Beim Tatort selbst ermitteln

Ein Zocker sei er nicht. So sagte es Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), als er im August vorigen Jahres auf der Gamescom in Köln zu Gast war. Am ARD-Stand hat sich der damalige Vorsitzende des Senderverbunds dennoch zum Zocken eingefunden, zu sehen auch im Stream auf der Gaming-Plattform Twitch. Erstmals hatte die ARD einen eigenen Auftritt auf der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele – ein deutliches Signal, dass die ARD auch auf Games setzt. Und das hat maßgeblich mit dem SWR zu tun.
mehr »

Im Fokus: Justiz und Rechtspopulisten

Ein mildes Urteil ist es tatsächlich geworden: David Bendels, Chefredakteur des AfD-nahen „Deutschland-Kuriers“, ist am Montag vom Amtsgericht Bamberg zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er soll die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit einem Post auf dem Kanal des „Deutschland-Kuriers“ der Plattform X verunglimpft haben. Faeser war mit einem Schild vor dem Körper zu sehen, auf dem steht: „Ich hasse die Meinungsfreiheit.“
mehr »