Youtuber Rezo – zerstörend hilfreich

Tina Groll
Foto: Murat Türemis

Rezo hat mal wieder ein Video veröffentlicht. Und diesmal bleibt die große Empörungswelle aus. Knapp ein Jahr nach seinem Video “Die Zerstörung der CDU” und nur wenige Wochen, nachdem er mit dem renommierten Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet worden ist, kritisiert der YouTuber – sehr gelungen – die klassischen Medien.

In „Die Zerstörung der Presse“ finden Journalistinnen und Journalisten allerdings keine Zerstörung und auch nichts wirklich Neues, stattdessen vieles, dem sie sich anschließen können. Denn Rezo liefert in dem einstündigen Video eine sehr zutreffende Zustandsbeschreibung der Branche. Es ist eine zwar langatmige, aber sehr fundierte Medienkritik, mit der der Youtuber endgültig im seriösen Journalismus angekommen ist.

Rezos Vorwurf, der Journalismus arbeite viel zu häufig mit zu undifferenziert-starker Zuspitzung, Verdichtung und Selektion von Informationen, ist ein Problem, das schon viele Kolleginnen und Kollegen thematisiert haben. Doch vielleicht wird in den Redaktionen noch zu selten angemahnt, dass diese Arbeitsweise überprüft gehört, weil sie professionellen Journalismus mitunter in die Nähe von Personen und deren Methoden rückt, die abstrusen Verschwörungsglauben verbreiten wollen. Ein Akteur wie Rezo – den viele nicht ohne die Absicht der Distinguierung als Youtuber und Influencer bezeichnen und der damit ein Branchenfremder ist – hat die Freiheit, diese Wahrheit unverblümt auszusprechen.

Und er tut noch viel mehr. Gerade weil er nicht mitten im Journalismus steht – obgleich er schon regelmäßig als Kolumnist für ZEIT ONLINE tätig ist – kann er Dinge in den Blick nehmen, für die die meisten Journalistinnen und Journalisten betriebsblind geworden sind. Freilich hat man sich daran gewöhnt, dass viele Boulevardmedien und insbesondere die Klatschpresse die ethische Selbstverpflichtung unter wirtschaftlichem Gewinnkalkül regelmäßig überschreiten. Dass dies immer neue Opfer schafft, deren Verletzungen mit einer Rüge oder Missbilligung durch den Presserat nicht gesühnt werden, ist vielen Kolleginnen und Kollegen kaum mehr als ein Achselzucken wert.

Rezo legt in seinem Video über einen langen Abschnitt dar, wie Boulevardmedien, aber auch sogenannte Qualitätsmedien arbeiten. Er seziert am eigenen Beispiel – immerhin ist er selbst immer wieder Gegenstand der Berichterstattung – Fehler und Vertuschung von Fehlern und arbeitet heraus, mit welcher Hybris manche Entscheiderinnen und Entscheider sich für fehlerfrei und über jeglichen Zweifel erhaben halten. Er erklärt genau, wie die dunklen Seiten des Journalismus aussehen: Da, wo die schnelle Meinung wichtiger ist als gründliche Analyse, wo die überspitzte, aufgebauschte Story wegen Quoten, Klicks und Kohle über Sorgfaltspflicht und ethischer Verantwortung steht. Er zeigt auch auf, dass es manchen in der Branche eher um die Verbreitung der eigenen herablassenden Weltsicht geht als um unabhängige, neutrale und nüchterne Berichterstattung.

Damit schafft der, so Wikipedia, nach eigenen Angaben 1992 geborene Influencer ein gutes Stück Medienbildung. Und da er viele junge Menschen erreicht, von denen es heißt, sie würden kaum noch klassische Medien nutzen, dürfte das Video für mehr Medienkompetenz bei manchen sorgen. Das ist gut so.

Gut ist auch, dass Rezo einen konstruktiven Vorschlag macht: Journalistinnen und Journalisten sollen noch transparenter arbeiten. Das ist ein sinnvoller Rat. Denn er kann dazu beitragen, dass der Journalismus verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnt und dass sich die Qualität der öffentlichen Debatte verändert. Rezo fordert, Journalistinnen und Journalisten müssten Fehler einräumen und wenigstens offenlegen, wie sie gearbeitet haben. Er selbst tut dies mit einem Google-Doc, das mehr als 250 Quellen ausweist.

Das ist ein sinnvoller Vorschlag, der für lange und sorgfältig produzierte journalistische Formate im Arbeitsalltag taugt. Rechercheprotokolle wie diese werden seit dem Fall Relotius ohnehin in vielen Redaktionen praktiziert. Für das schnelle Arbeiten in der Newsredaktion, in der vor allem privilegierte Quellen – sprich: Agenturen, Behörden, Pressestellen – verwendet werden, dürfte diese Forderung aber übertrieben sein.

Es sollte sowieso Standard sein, dass alle Quellen, auch die privilegierten, offengelegt werden. Aber es muss auch als berechtigt gelten, dass Journalistinnen und Journalisten von ihren Rezipientinnen und Rezipienten erwarten können, wie sie Quellenangaben zu verstehen haben. Das erfordert Medienbildung und Medienkompetenz. Projekte wie „Journalismus macht Schule“, an dem sich auch die dju in ver.di beteiligt, oder „Zeitung in der Schule“ sind gute Ansätze, die weiter ausgebaut werden müssen. Je mehr Menschen sich daran beteiligen, die wie Rezo eine große Reichweite haben und denen guter Journalismus wichtig ist, desto besser ist das für die Demokratie..

Und so ist die einzige Kritik, die sich an Rezos “Zerstörung der Presse” erheben lässt: Es fehlt der kritische Blick auf die Produktions- und Arbeitsbedingungen in den Redaktionen und vor allem auf die Situation der unzähligen freien Journalistinnen und Journalisten. Seit dem Fall Relotius ist zwar der Produktionsaufwand größer geworden, weil nun häufig umfangreiche Rechercheprotokolle erstellt werden müssen. Zusätzlich vergütet wird das aber nicht. Bezahlt wird auch nicht der Aufwand, den es kostet, umfangreiche Quellenlisten für Verschwörungsgläubige anzulegen, die am Ende ohnehin die klassischen Medien als Lügenpresse bezeichnen.

Rezo thematisiert auch kaum, dass Redaktionen seit Jahren und Jahrzehnten kaputtgespart werden oder dass in Hochzeiten der Nachfrage nach seriösem Journalismus, wie in der aktuellen Corona-Pandemie, ganze Redaktionen in Kurzarbeit geschickt werden, dass Stellen abgebaut statt aufgebaut werden. Insider wissen, dass auch bei den Qualitätsmedien viele gute, junge Talente, die den Anspruch haben, hochwertigen, wahrhaftigen Journalismus zu machen, nach einigen Jahren entnervt, erschöpft und am Rand des Burnout die Branche wechseln, weil der Idealismus, der nötig wäre, um in diesem Metier bis zur Rente durchzuhalten, dann eben doch schon auf den ersten Metern aufgezehrt worden ist. Die Arbeitsbedingungen im Journalismus – sie sind auch in den besten Häusern auf Totalverschleiß des Personals getrimmt.

Hinzu kommt, dass die Redaktionen nach wie vor wenig weiblich, zu wenig von Menschen mit Migrationshintergrund geprägt, zu bildungsbürgerlich und auch sonst nicht divers genug sind. Das hat viel mit den Machtstrukturen zu tun, die sich über Generationen eher reproduzieren, statt sich zu ändern. Aber genau aus diesem Grund sind die klassischen Medien nach wie vor wenig vielfältig, vor allem an der Spitze.

Doch um das zu erkennen und zu erklären, wäre wohl der Blick von innen nötig. Dafür müsste sich auch Rezo dann entscheiden, was er denn sein will: Youtuber, Influencer, Unternehmer – oder eben doch ein Journalist? Mit der Auszeichnung durch den Henri-Nannen-Preis wurde er von den Branchen-Elite bereits umgarnt. Es ist an der Zeit, dass das Spiel von “Wasch mich, aber mach mich nicht nass” aufhört. Wer Haltung hat, sollte diese auch zeigen. Zerstörungsvideos oder die ZEIT ONLINE-Kolumne sind guter Journalismus, der Ausspielkanal ist dafür letztlich egal.

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