Zensur und kein Ende (48)

Wer wirtschaftliche Macht gegen die Pressefreiheit einsetzt, missbraucht seine Machtstellung – Die Lufthansa hatte einen Kranich. Zur Zeit hat sie einen Vogel.

Peter Boenisch, am 29.5.01 in der „Süddeutschen Zeitung“, über die Lufthansa, der vorgeworfen wird, diesmal die SZ – nach der „Financial Times Deutschland“ – wegen missliebiger Berichterstattung nur noch in sehr reduzierter Anzahl an die Fluggäste auszugeben.


 Kommerz-Diktatur global?

Ende April veröffentlichte Jeremy Rifkin, Präsident der „Foundation of Economic Trends“ in Washington, eine ernste Warnung vor dem „Geschäft des Jahrhunderts“. „Neuerdings“, so schrieb er, „versuchen einflussreiche kommerzielle Medien die Ätherwellen in ihre Gewalt zu bringen“ (Süddeutsche Zeitung, 25.4.01). Kaum war der neue US-Präsident George W. Bush im Amt, hatten im Februar 37 führende Wirtschaftswissenschaftler die „Federal Communications Commission“ (FCC) dazu aufgefordert, „den Sendern die Weitervermarktung von Frequenzen zu gestatten, die sie derzeit von der Regierung pachten“. Endziel sei es, dass global agierende Medienkonzerne sämtliche Ätherwellen zum „privaten elektronischen Grundbesitz“ machen und damit nicht nur das Grundrecht auf freie Kommunikation aushebeln, sondern alle Informationen und Meinungsäußerungen, „die ihren Geschäftsinteressen zuwiderlaufen“ unterbinden und selbst personenbezogene Daten ungestraft benutzen könnten. Rifkin: „Kann es dann überhaupt noch grundlegende Freiheiten und wirkliche Demokratie geben?“


Würgendes Gelöbnis

Beim feierlichen Gelöbnis von 151 jungen Gebirgsjägern im Kurpark von Bad Tölz protestierten am 5. April Demonstranten der Friedensinitiative Bad Tölz – Wolfratshausen mit einem Transparent „gegen den Umbau der Bundeswehr in eine Interventionsarmee“. Brave Scharpingisten reagierten mit Buhrufen, Pfiffen; einer der Unbotmäßigen wurde von ihnen gewürgt. Militär-Polizei führte die Störer ab, doch der Würger blieb unbehelligt.


Piper Verlag abgestraft

Für seine beispiellose Strafaktion gegen eine Übersetzerin wurde der zum schwedischen Bonnier Konzern gehörende Piper Verlag Anfang März vom Oberlandesgericht München zur Rechenschaft gezogen. Karin Krieger, Übersetzerin von fünf Büchern des Turiner Autors Alessandro Baricco, hatte für dessen ersten Roman ,Seide‘ ganze 3.234 Mark Honorar erhalten. Als das Buch dann eine Auflage von knapp 100.000 Exemplaren erreicht hatte, bat sie den Verlag um eine „angemessene Erfolgsbeteiligung“, wie sie das Urheberrechtsgesetz vorsieht und handelte mit ihrem Anwalt ein mageres Zusatzhonorar aus. Offenbar ließ diese Unbotmäßigkeit den Verleger jedoch nicht ruhen. Im April 1999 teilte man ihr mit, alle fünf Bücher Bariccos würden „neu übersetzt und im Laufe des Jahres umgestellt“; Verlagschef Viktor Niemann sprach selbst von einer „zugegeben kapriziösen Maßnahme“.

Dieser „kulturelle Vandalismus“ des Piper Verlags – so die ,Fédération‘ – wurde nun gestoppt. Das OLG verbot dem Verlag, die Taschenbuchausgabe von ,Seide‘ in einer anderen Übersetzung als der Kriegers herauszugeben und ordnete an, dass auch die vier anderen Bücher in ihrer Übersetzung weiter zu erscheinen haben. Außerdem muss Piper für die Neuübersetzungen Schadensersatz an Karin Krieger zahlen. Wolfgang Schimmel, Urheberrechtsexperte der IG Medien, geißelte die „einmalig skandalöse Brutalität“ im Vorgehen der Verlagsherren und begrüßte die „richtungweisende Entscheidung“. Der Piper Verlag blieb stumm. Merke: Was auch immer deine Gründe sind – Habgier macht dich menschenblind.


Bayerische Akte

In der Gemeinde Planegg südwestlich von München verbot die Bürgermeisterin Ulrike Höfer (CSU) am 3. Mai die Ausstellung von neun weiblichen Akten der jungen Fotografin Susanne Hölzel – Bestandteil einer Ausstellung von vier Fotografen, die am folgenden Tag im Rathaus unter dem Motto ,Alt und Jung‘ hätte eröffnet werden sollen. Grund: sie wolle „als Hausherrin Nacktfotos von oben bis unten niemandem zumuten“. Aus Solidarität mit ihrer Kollegin zogen die anderen Aussteller ihre Fotos zurück. Asyl fanden sie prompt in der Nachbargemeinde Gräfelfing, wo die Leiterin des Bürgerhauses nun die Fotos zeigt – mit Rückendeckung ihres Bürgermeisters.


Urteile

Eine Tat – drei Urteile

Vor bald zwei Jahren störten zwanzig junge Leute – teils bekleidet, teils nackt bis auf Unterhose und Schuhe und mit Regenschirm – ein Bundeswehrgelöbnis im Berliner Bendlerblock. Am 20. Juli 1999, dem Jahrestag des Attentats auf Hitler, waren 432 Rekruten angetreten – umgeben von 1.200 Polizisten und 300 Feldjägern zum Schutz von Kanzler und Verteidigungsminister. Die Demonstranten hatten sich jedoch unter die Festgäste gemischt, stürmten über den Platz und wurden von Feldjägern prügelnd abgeführt. Im ersten Prozess (Januar) wurde der Beklagten nur „grober Unfug“ vorgeworfen und das Verfahren von der Richterin eingestellt. Die Richterin im zweiten Prozess entschied anders: Verstoß gegen das Versammlungsrecht – 600 Mark Strafe. Am 27. März folgte das dritte Urteil: wegen versuchter Nötigung die gleiche Strafe. Natürlich legte die Staatsanwaltschaft gegen das erste Urteil Rechtsmittel ein und verklagte nicht etwa die prügelnden Feldjäger, sondern den Kommentator in der „taz“, der sie „Kettenhunde“ und „Waschbrettköpfe“ genannt hatte (Zensur 46 und 47).

Kadavergehorsam rechtswidrig

Die Beschlagnahme eines Transparents der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), die im Juli 2000 den bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) auf den Arm zu nehmen suchte („Die ÖDP grüßt den Möchtegern-Bayern-Kini Edi S., den Freund der Ölscheichs, Genmultis und Atombarone“), hat das Amtsgericht Weißenburg als „rechtswidrig“ erklärt. Der vorauseilende Gehorsam der Ansbacher Staatsanwaltschaft (Zensur 47) habe das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung missachtet, konstatierte der Richter im April.


 

Kunst-Sitte(n)

Anfang April stellte zum erstenmal seit der Wende der einstige DDR-Kunstpapst und Maler Willi Sitte in Berlin aus. Zwar waren es nur zwanzig Gemälde und Grafiken, welche die ,Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde‘ in ihren Räumen zeigte – sie wurden aber ergänzt von einer Dokumentation mit dem Titel ,Katalog (k)einer Ausstellung – Das Sitte-Verbot‘. Darin geht es um die große Retrospektive des Sitte-Werks, die das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg für dies Jahr geplant, dann abgesagt und schließlich für 2003 in Aussicht gestellt hat. Die Vorbereitungen laufen bereits seit 1993; seither befinden sich ein Großteil der Werke, Schriften und Briefe in Nürnberg, wo man – nach nunmehr bald acht Jahren – angeblich noch immer „dringenden Bedarf“ bei der Aufarbeitung von Sittes Vergangenheit sieht (er stand von 1974 bis 1988 dem DDR-Künstlerverband vor). Vielleicht geht dort eben alles zeitgemäß mit rechten Dingen zu.

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