Die „Diskreditierten“ stellen ihre Fotos aus

Sie mussten sich immer wieder zwischen den Fronten bewegen. Und sie wurden von den deutschen Sicherheitsbehörden diskreditiert: 32 für den G 20-Gipfel im Juli in Hamburg zugelassene Journalistinnen und Journalisten wurde vom Bundespresseamt im Nachhinein die Akkreditierung entzogen. Elf der betroffenen Fotografen haben jetzt in Berlin eine Ausstellung ihrer Fotos zusammengestellt.

Bis zum 10. Dezember ist die Ausstellung ¨Die Diskreditierten – Fotografen zwischen den Fronten¨ im Berliner Weinbistro La Marmite zu sehen. Zum Auftakt stellten sich zwei der Fotografen von der schwarzen Liste des Bundeskriminalamtes, die auf einem toxischen Gebräu aus falschen und rechtswidrig gespeicherten Daten basierte, der Diskussion. Die Fotojournalisten Björn Kietzmann und Frank Bründel sprachen mit Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio und taz-Journalist Martin Kaul über die Datensammelwut der Sicherheitsbehörden und die daraus resultierende Einschränkung der Pressefreiheit.

Dass das BKA und vermutlich auch verschiedene Verfassungsschutzbehörden ihn zu einem Sicherheitsrisiko und zum Linksextremisten abgestempelt haben, hörte der Hamburger Fotojournalist Frank Bründel bei einem Anruf von Kollegen des NDR. Die hatten Bründels Namen auf der schwarzen Liste des BKA entdeckt und wollten von dem Betroffenen selbst wissen, warum die Sicherheitsbehörden ihm offenbar extremistische Straftaten zutrauen. Bründel, der sich seit 28 Jahren als freier Journalist regelmäßig im ¨Rot- und Blaulichtmilieu¨ bewegt, das heißt über Feuerwehr- und Polizeieinsätze berichtet, fiel aus allen Wolken, pflegt er doch meist ein entspanntes und professionelles Verhältnis zu Sicherheitsbehörden und Rettungsdiensten. Aufklärung brachte erst eine Anfrage beim BKA. Nach mehreren vergeblichen Anläufen erfuhr Bründel, dass seine ¨Diskreditierung¨ auf einen Fehler Bremer Bereitschaftspolizisten zurückzuführen ist. Die hatten am Rande der Krawalle um den 1. Mai in Hamburg die Personalien des Fotografen überprüft. In den Datenbank der Sicherheitsbehörden wurde dieser Vorgang allerdings in den Zusammenhang mit angeblichen linksextremistischen Straftaten gestellt – eine Falschinformation, die in den kommenden Monaten von der Bremer Polizei offenbar an den Bremer Verfassungsschutz, die Hamburger Polizei und dann an den Hamburger Verfassungsschutz weitergegeben und nicht weiter überprüft wurde.

Datenmissbrauch aufgedeckt

Ein ähnliches Schicksal teilt der Fotograf Björn Kietzmann, der unter anderem über soziale und gesellschaftliche Themen, über Neofaschismus, über Flucht und Migration berichtet. Ihm wurde während des G 20-Gipfels im Internationalen Pressezentrum die Akkreditierung mit dem lapidaren Hinweis auf Sicherheitsbedenken entzogen, nachdem er sich kurz zuvor im Pressezentrum noch hatte frei bewegen können. Inzwischen scheint klar, dass auch Kietzmann „Erkenntnisse¨ der Sicherheitsbehörden zu Last gelegt wurden, die auf falschen und rechtswidrig gespeicherten Daten beruhen. So war er bei der Recherche über die menschenunwürdigen Bedingungen auf der Balkan-Flüchtlingsroute ins Visier der mazedonischen Behörden geraten, wurde als illegaler Grenzverletzer vorübergehend festgenommen. Auch beim Recherche-Einsatz im türkisch-kurdischen Grenzgebiet wurde er festgenommen, saß mehr als 30 Stunden im Gewahrsam – zwei Zwischenfälle, die später offenbar Eingang in die Datenbaken deutscher Sicherheitsbehörden fanden und im Juli zum Entzug der G 20-Akkreditierung führten.

Opfer der Datensammelwut der Behörden werden allerdings nicht nur Journalistinnen und Journalisten, schilderte bei der Ausstellungseröffnung Arnd Henze vom ARD-Hauptstadtstudio. Er hat in den vergangenen Monaten intensiv zu dem Thema recherchiert und maßgeblich zur Aufdeckung des Datenmissbrauchs beigetragen. Die Datensammelwut folgt, so Henze, oft dem gleichen Muster: Gegen Bürger wird aus unterschiedlichen Gründen ermittelt, deshalb erfolgt ein Eintrag in die Polizeidatenbanken. Werden die Ermittlungen in der Folge eingestellt, weil sich der zur Last gelegte Vorwurf nicht bestätigt, bleiben die Daten dennoch gespeichert. Henze appelliert deshalb nicht nur an Journalisten, bei den Sicherheitsbehörden Auskunft über die über die eigene Person gespeicherten Daten zu verlangen. Das geht vergleichsweise einfach, etwa mit Hilfe der Internetseite www.datenschmutz.de.

ver.di leistet Rechtsschutz

Aufklärung in der Datensammel-Affäre treibt auch die dju in ver.di weiter voran. Sie vertritt acht der vom Entzug der Akkreditierung betroffenen Kollegen und leistet Rechtsschutz. Ziel ist, dass das Berliner Verwaltungsgericht die Unrechtmäßigkeit des Vorgangs feststellt – eine Einschätzung, die inzwischen zumindest hinter vorgehaltener Hand auch Verantwortliche des Bundesinnenministeriums teilen. Sollten die Klagen erfolgreich sein, wird man auch über die Frage von Schadenersatz sprechen müssen. Denn gerade für freie Journalisten dürfte sich die Abqualifizierung als Sicherheitsrisiko wohl geschäftsschädigend auswirken. ¨Wir sind gebrandmarkt, wir 32¨ schreibt Elsa Koester zutreffend. Die Redakteurin des Neuen Deutschland gehört ebenfalls zu den Betroffenen.

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