Die üblichen Verdächtigen

Immer wieder verfassungswidrige Ermittlungen gegen Journalisten

Im Februar gab es klare und deutliche Worte der Bundesverfassungsrichter in Karlruhe. Im Cicero-Urteil hieß es: Durchsuchungen von Redaktionen und Beschlagnahmungen seien unzulässig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienten, den Informanten zu ermitteln. Dies sei eine „schwerwiegende Beeinträchtigung der Pressefreiheit“ und damit nicht verfassungskonform.

Nur zwei Monate nach dem höchstrichterlichen Urteil wurden bei den Staatsanwaltschaften Berlin, Hamburg, Frankfurt und München Ermittlungsverfahren gegen 17 Journalisten von Stern bis Spiegel, von Süddeutsche bis taz wegen des Verdachts der Beihilfe zum Geheimnisverrat eingeleitet.

Über Bande gespielt

Im Zusammenhang mit dem BND-Untersuchungsausschuss zitierten Journalisten aus den vom Bundeskanzleramt als „geheim“ deklarierten Akten. Woher die Informationen kamen, war und ist nicht bekannt. Politiker aller Parteien, so wird spekuliert, ließen aus jeweils unterschiedlichen, parteibezogenen Gründen, den Medien „geeignete“ Unterlagen zukommen. So wurde politisch über Bande gespielt. Prompt begann die Suche nach dem Leck im BND-Ausschuss, der so „löchrig wie ein Schweizer Käse“ sei, so der Ausschuss-Vorsitzende und Ermittlungs-Initiator Siegfried Kauder (CDU). Da die Informanten aber nicht ohne weiteres zu benennen waren, konzentrierten sich die Staatsanwaltschaften auf die üblichen Verdächtigen, die Journalisten.
Nun ist die Wiedergabe geheimer Akten in der Presse erlaubt und fällt nicht unter den Straftatbestand des Geheimnisverrates oder lässt sich schon gar nicht, wie zur Zeit der Spiegel-Affäre, als ein „Abgrund von Landesverrat“ (Konrad Adenauer, 1962) anprangern. „Geheimnisverräter“ sind also lediglich Politiker oder Amtspersonen, die das „Vertrauliche“ weitergeben, nicht aber die Medien, die die Öffentlichkeit in ihrer Wächterfunktion aufklären. Journalisten können allerhöchstens nach (noch) geltendem Recht belangt werden, wenn sie Anstiftung oder Beihilfe leisten. Und hier nun wurde ein erneutes Mal, diesmal juristisch, „über Bande gespielt“. Über das fragwürdige, durch nichts belegte Vehikel „Anstiftung oder Beihilfe“ wurde versucht, den eigentlichen „Verrätern“ auf die Schliche zu kommen. Eine Missachtung der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts! Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union (dju) spricht von einem „groben Rechtsbruch“! Aber Staatsanwälte dürfen das offenbar? Dennoch eines gilt: Journalisten können sich auf ihr, wenn auch verbesserungsbedürftiges, Zeugnisverweigerungsrecht berufen.
Daher nimmt es nicht Wunder, dass der Hamburger Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger nach dem Bekanntwerden der Ermittlungsverfahren es schlicht und eindeutig formuliert: „Nach dem Cicero-Urteil ist ein solches Verfahren Quatsch.“ Ganz anders hingegen seine Berliner Kollegin Vera Junker, die Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, die sofort einen „Presse-Aufreger in der diesjährigen Sommerpause“ ausmacht und von einer „groß angelegten Empörungskampagne“ spricht, bei der „eilfertige Abgeordnete … den von staatlicher Willkür bedrohten Journalisten“ beispringen und „pflichtschuldig Abscheu und Empörung gegen die Einleitung der Ermittlungen“ äußern. Und hier sieht die Berliner „Ober“-Staatsanwältin den eigentlichen Skandal: „Es drängt sich der Verdacht auf, dass die aktuellen Ermittlungen eher ein willkommener Anlass sind, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen, nämlich die Straffreiheit für Journalisten zu erreichen, die Geheimnisträger zum Geheimnisverrat anstiften bzw. ihnen Hilfe leisten.“

Gesetzesänderungen notwendig

Eine abstruse Argumentationskette, Ursache und Wirkung werden verdreht. Nicht die Abgeordneten sind die „Schuldigen“. Nein, sie wurden von den Medienleuten angestiftet und konnten offenbar nicht widerstehen! Und willkommen kann man diesen Anlass wohl kaum nennen. Denn Journalisten würden lieber unbehelligt von der Staatsmacht ihr im Grundgesetz garantiertes Recht der Pressefreiheit wahrnehmen und ihrer öffentlichen Berichterstatter-Aufgabe nachgehen. Jedoch liefert das Vorgehen der eifrigen Ermittler erneuten Anlass, nachdrücklich auf notwendige Veränderungen einiger Gesetze in Deutschland hinzuweisen. Seit Langem fordern Journalisten- und Verlegerverbände eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts und eine Änderung des § 353 b StGB (Verrat von Dienstgeheimnissen) zum Schutz der Journalisten und zur Sicherung der Pressefreiheit.
Und gerade nach der gescheiterten Gesetzesnovellierung vom Mai diesen Jahres ist jetzt erneut Handlungsbedarf gefragt. Die Grünen wollten mit einem „Gesetz zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht“ einen Passus festschreiben, dass Journalisten nicht für eine Anstiftung zum „Verrat von Dienstgeheimnissen oder für Beihilfe“ bestraft werden können. Diesen Entwurf lehnte die Große Koalition ab. Und auch den ähnlichen, noch zu behandelnden Entwürfen der FDP und der Linken wird möglicherweise das gleiche Schicksal widerfahren. Dennoch: Die Oppositionsparteien wollen nicht locker lassen und auch die Grünen werden nach den jüngsten Ereignissen erneut einen parlamentarischen Versuch starten. Die Unterstützung der dju ist ihnen dabei gewiss.

 

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