Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ein Urteil zum „Recht auf Vergessenwerden“ im Internet gefällt. Er entschied am 22. Juni in Straßburg gegen den Chefredakteur der belgischen Zeitung „Le Soir“, Patrick Hurbain, der die Meinungsfreiheit gegen das „Recht auf Vergessenwerden“ ins Feld geführt hatte. Konkret ging es um einen Artikel im Online-Archiv der Zeitung über einen tödlichen Verkehrsunfall, der noch viele Jahre nach den Geschehnissen den vollen Namen des Fahrers enthielt.
Der Mann war laut Gerichtshof 1994 in den Unfall verwickelt, wurde verurteilt und verbüßte seine Strafe. 2011 forderte er und klagte später auf Löschung des Namens in dem 2008 eingerichteten frei zugänglichen Online-Archiv der französischsprachigen Tageszeitung. Belgiens Justiz gab der Klage weitgehend statt. Dagegen wehrte sich Chefredakteur Hurbain vor dem Gerichtshof für Menschenrechte unter Verweis auf die Meinungsfreiheit.
Der Gerichtshof urteilte nun (AZ: 57292/16), dass das belgische Urteil zwar tatsächlich in die Meinungsfreiheit eingegriffen habe. Dabei sei aber die Balance zwischen der Meinungsfreiheit und dem Recht des Betroffenen auf Privatleben gewahrt worden. Der Gerichtshof führte unter anderem an, dass 20 Jahre nach den Geschehnissen die Identität des Fahrers, der keine Person des öffentlichen Lebens sei, keinen Nachrichtenwert habe. Zudem könne der Artikel mit einfacher Anonymisierung online bleiben.
Der Gerichtshof für Menschenrechte wies ferner darauf hin, dass Online-Suchen von Personen heutzutage gängig seien. Das bloße Eintippen des Namens des Mannes bei Google habe laut belgischer Justiz schon zu dem Artikel hingeführt. Dieses „virtuelle Vorstrafenregister“ sei für ihn nicht zumutbar.
Medien müssen dem Menschenrechtsgerichtshof zufolge nun aber nicht von sich aus ihre Online-Archive nach ähnlichen Fällen durchforsten. Es genüge, wenn sie sich auf Anfrage jeweils mit einem speziellen Fall auseinandersetzen. Das Urteil fiel mit sechs zu eins Stimmen. Es ist noch nicht rechtskräftig.