Kein Vertrauen mehr

Gericht bestätigte Kündigung von Tagespiegel-Redakteur

Eine Exklusivmeldung des Berliner Tagesspiegel über Susanne Osthoffs Nominierung für den Grimme-Preis kam einen Redakteur des Blattes teuer zu stehen – er hatte die Archäologin selbst vorgeschlagen. Das Berliner Arbeitsgericht erklärte Ende Mai seine Kündigung für rechtens.

Im Januar dieses Jahres hatte Politikredakteur Jost Müller-Neuhof die Medienredaktion seines Blattes über die Nominierung der ehemaligen Irak-Geisel Susanne Osthoff für einen Grimme-Preis informiert. In der Mail an die Kollegen fehlte jedoch ein entscheidender Hinweis: Urheber des vermeintlichen scoops war kein geringerer als Müller-Neuhof selbst. Zwar fand der damalige Medienressortleiter Joachim Huber bei der Gegenrecherche heraus, wer hinter der Sache steckte. Gleichwohl berichtete er „exklusiv“ über den Vorschlag, allerdings ohne den Urheber zu nennen.
Als die Sache aufflog, setzte es Kritik und Vorwürfe – vor allem von Seiten der Wettbewerber des Tagesspiegel. Der Focus brandmarkte das Blatt als „Zeitung, die Aufmerksamkeit ertrickste“. Andere Publikationen verspotteten den Tagesspiegel (Slogan: „rerum causas cognoscere“ = den Dingen auf den Grund gehen) als Organ, das seine Mediengeschichten selbst inszeniert. Die Konsequenzen: Medienressortchef Huber gab die Ressortleitung ab, wurde aus dem Impressum gestrichen, durfte aber nach der Rückkehr aus dem Urlaub weiter schreiben – „zur Bewährung“, wie es aus seinem Umfeld heißt. Müller-Neuhof dagegen wurde entlassen.
Eine Güteverhandlung Mitte April scheiterte. Der Tagesspiegel begründete sein hartes Vorgehen mit dem Vorwurf, der Redakteur habe versucht, die Zeitung für seine eigenen medienpolitischen Ziele zu instrumentalisieren. Dabei sei die Wahrheit eher zufällig ans Licht getreten. Müller-Neuhof, der sich schriftlich für sein Verhalten entschuldigt hatte, verwies darauf, dass der Leiter der Medienredaktion um seine Urheberschaft gewusst und dennoch den inkriminierten Artikel verfasst habe. Angesichts dieser Umstände sei seine Kündigung unverhältnismäßig. Die Anregung des Gerichts, als mildere Strafe eine Abmahnung Müller-Neuhofs in Erwägung zu ziehen, wurde vom Tagesspiegel jedoch verworfen.
Bei der Verhandlung vor dem Berliner Arbeitsgericht erklärte Müller-Neuhof, er habe „im Binnenverhältnis der Redaktion“ kein Problem damit gehabt, sich zu seiner Urheberschaft zu bekennen. Mit der Geheimhaltung habe er lediglich verhindern wollen, dass andere Medien die Sache in für den Tagesspiegel ungünstiger Weise aufgriffen. Die Chefredaktion sei von ihm bewusst nicht informiert worden, um sie nicht zu Mitwissern der Aktion zu machen. Müller-Neuhofs Verteidiger Johannes Eisenberg argumentierte, es sei von Anfang an „völlig klar“ gewesen, dass die Urheberschaft bekannt werden würde. Sein Mandant habe es der Medienredaktion vollständig selbst überlassen, ob sie die inkriminierte Meldung veröffentlicht oder nicht. Zudem habe er sich für sein Fehlverhalten schriftlich entschuldigt.
Demgegenüber erneuerte der Rechtsvertreter des Tagesspiegel den Vorwurf, der entlassene Redakteur habe seine Urheberschaft „bewusst verschwiegen“, in der Hoffnung, seine „medienpolitische Offensive“ zum Erfolg zu führen. Gerade diese „versuchte Manipulation“ habe die kritischen Reaktionen anderer Medien ausgelöst. Zudem habe der Redakteur seine Entschuldigung nachträglich entwertet. So habe er dem Tagesspiegel im Gegenzug vorgeworfen, sich ihm gegenüber „aktiv rufschädigend“ verhalten zu haben, weil die Zeitung den „verleumderischen Presseberichten“ über seine vermeintlichen „Manipulationsversuche“ nicht entschieden entgegen getreten sei. Das für eine weitere Zusammenarbeit erforderliche gegenseitige Vertrauen sei aufgrund dieser Entwicklung nicht mehr gegeben.
Das Berliner Arbeitsgericht wertete das Vorgehen des Redakteurs als „erhebliche Pflichtverletzung“ und erklärte die Kündigung für wirksam. Der Journalist habe trotz seiner Vertrauensstellung als Mitglied der Politik-Redaktion die Chefredaktion des Tagesspiegel über seine Urheberschaft im Unklaren gelassen. „Wegen dieser Illoyalität und des absichtsvollen Verhaltens des Redakteurs sei eine Abmahnung nicht ausreichend gewesen“, so das Gericht. Ob Müller-Neuhof gegen die Entscheidung (AZ 78 Ca 4112/06) Berufung einlegt, war bei Redaktionsschluss nicht bekannt.

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