Klage gegen Datenspeicherung

Trotz massiver Proteste schärfere Überwachung aller Bürger beschlossen

Die Mehrheit der großen Koalition im Bundestag hat – entgegen massenhafter Proteste – ein Paket von Sicherheitsmaßnahmen beschlossen, zu dem auch die so genannte Vorratsdatenspeicherung gehört. Als „verpasste Chance für die Pressefreiheit“ wertete Ulrike Maercks-Franzen, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, diese Entscheidung.

Dank der neuen Telekommunikationsüberwachung sollen ab nächstem Jahr alle Verbindungsdaten in Deutschland bei Festnetz- und Mobiltelefon, E-Mail und Internet sechs Monate lang gespeichert werden. Bei Handynutzung ist sogar eine Ortung vorgesehen. Ausgenommen sind nur so genannte Berufsgeheimnisträger, wobei diese aber in erste und zweite Klasse unterteilt werden. Zur ersteren zählen natürlich Abgeordnete, in letztere fallen u.a. Journalisten und Ärzte. In letzter Minute wurden geringfügige Verbesserungen am Regierungsentwurf vorgenommen: So dürfen „Zufallsfunde“ bei der Überwachung von Journalisten von den Behörden nicht mehr verwendet werden. Das ändert aber nichts an der generellen Kritik der Opposition im Bundestag an der flächendeckenden Überwachung. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, in dem 45 Verbände und Vereine kooperieren, kritisierte scharf den „verfassungswidrigen Generalangriff auf Bürgerrechte und Datenschutz in Deutschland“. Am 6. November gab es erneut einen bundesweiten Aktionstag, bei dem zahlreiche Berufsverbände, Bürgerrechtler und Internetnutzer gegen die von der Bundesregierung geplanten Verschärfungen in über 40 Städten demonstrierten.
Die Medienverbände und Journalistengewerkschaften appellierten in ihrem Brief an die Bundestagsabgeordneten, bei aller Sorge um innere Sicherheit und Schutz vor Terrorismus nicht „unsere verfassungsrechtlichen Freiheiten“ aus dem Blick zu verlieren. Besonders gravierend, so Vertreter von Verlegerverbänden, Journalistengewerkschaften und Sendern wie ARD und ZDF in ihrem Brief, sei die Schwächung des gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrechts. Wulf Beleites vom dju-Bundesvorstand in verdi verwies bei einer Pressekonferenz des Arbeitskreises darauf, dass es seit der Novellierung des Zeugnisverweigerungsrechts 2002 etwa 30 Fälle staatlicher Verstöße gegen den Schutz von Informanten und Quellen gab. Auch wenn in den meisten Fällen wie zuletzt beim Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Cicero das staatliche Handeln gerügt wurde, bedrohen solche Eingriffe investigativen Journalismus. Christoph Fiedler vom Zeitschriftenverlegerverband VDZ fand es bedenklich, dass die Bundesregierung die Vorratsdatenspeicherung wie in der EU-Richtlinie nicht auf die Terrorismusbekämpfung begrenze. Dass die deutschen Vorratsdaten zur Aufklärung schwerer und „aller mittels Telekommunikation begangener Straftaten“ verwandt werden sollen, schieße klar übers Ziel hinaus.
Die Begründung der Bundesregierung für ihren Gesetzesentwurf, dass damit die innere Sicherheit erhöht werde und im übrigen nur eine entsprechende EU-Richtlinie von 2006 zur Terrorbekämpfung umgesetzt werde, lassen die Kritiker nicht gelten. So verwies Stefan König vom Deutschen Anwaltsverein bei der Pressekonferenz auf laufende Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EU-Richtlinie. Unter Hinweis darauf hätte die Bundesrepublik durchaus Aufschub bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie erwirken können, stattdessen geraten Bundesregierung und Bundestag nun in die Gefahr, sich zu blamieren. Laut Arbeitskreis-Koordinator Ricardo Cristof Remmert-Fontes von der Humanistischen Union werde ein breites Aktionsbündnis jetzt eine Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Vorratsdatenspeicherung in der von Bundesregierung und Bundestag verabschiedeten Form einreichen. Dies geschehe mit dem Mandat von über 7000 Bürgern, weitere 20.000 hätten als Unterstützer entsprechende Listen unterschrieben.

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