Kritik am Digitale-Dienste-Gesetz

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Sie erhalten digital eine Morddrohung, ihr Facebook-Post wurde gelöscht oder sie haben plötzlich keinen Zugang mehr zum Account: Für viele regimekritische Exil-Journalist*innen auch in Deutschland gehört das zum Arbeitsalltag. Ein geplantes Gesetz soll ihnen nun helfen, sich effektiver dagegen zu wehren. Reporter ohne Grenzen (RSF)  macht in einer  Stellungnahme deutlich, wo die Rechte von Medienschaffenden noch gestärkt werden müssen. So fordert die Organisation etwa, die Datenweitergabe von Plattformen an das Bundeskriminalamt einzuschränken.

„In unserer Beratungsarbeit vergeht kaum ein Tag, an dem uns Journalistinnen und Journalisten nicht von vielfältigen digitalen Angriffen berichten. Werden Inhalte und Konten regelmäßig gesperrt, können Online-Medien ihr Publikum und ihre Finanzierungsquellen verlieren. Plattformen wie Facebook oder Youtube sollten nicht untätig bleiben, wenn ihnen wiederkehrende Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten durch staatsnahe Akteure bekannt sind“, sagt RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Informationsfreiheit ist ein hohes Gut – und zwar nicht nur, wenn es um die Geschäftsmodelle der Plattformen geht. Wird der Entwurf des DDG noch angepasst, dann haben betroffene Journalist*innen bald endlich eine Anlaufstelle.“

DSA muss umgesetzt werden

Mit dem DDG sollen die europäischen Vorgaben des Digital Services Act (DSA) umgesetzt werden. Der DSA ist eines der umfassendsten netzpolitischen Vorhaben zur Plattformregulierung in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten. Er soll ein sicheres und verantwortungsvolles digitales Umfeld schaffen. Grundrechte im Internet sollen umfassender geschützt und Online-Plattformen besser dabei beaufsichtigt werden, ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Dieses neue Regelwerk gilt mit allen Verpflichtungen ab dem 17. Februar 2024. Deutschland wird durch eigen verschuldete Verzögerungen im vergangenen Jahr diese Frist nicht mehr halten können.

Von digitalen Angriffen betroffene Journalist*innen  sollen sich künftig an neue Koordinierungsstellen in den jeweiligen EU-Ländern wenden können. Das ist besonders dann relevant, wenn Plattformen, auf denen diese Angriffe passieren, nicht auf Anfragen reagieren. Werden also etwa Beiträge zensiert, Konten gesperrt oder Medienschaffende online bedroht, sollen die Koordinierungsstellen die Beschwerden der Betroffenen zügig bearbeiten. Diese Stellen arbeiten eng mit der Europäischen Kommission zusammen, die große Plattformen wie Facebook, TikTok und X (ehemals Twitter) beaufsichtigt. In Deutschland wird die Bundesnetzagentur (BNetzA) die Rolle der nationalen Koordinierungsstelle für digitale Dienste übernehmen.

Der Gesetzentwurf greift viele wichtige Punkte auf, die RSF und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen eingebracht haben. Dazu zählt beispielsweise, dass die zentrale Beschwerdestelle im Interesse aller Internetnutzer*innen ausgestaltet wird. Dass das Bundesamt für Justiz nicht gesondert für soziale Netzwerke zuständig ist und Firmen im Beirat ausgeschlossen werden, um Interessenkonflikte bei der Regulierung von Plattformen zu meiden. RSF begrüßt die deutliche Stärkung zivilgesellschaftlicher Expertise im Beirat mit nun acht von insgesamt 16 Sitzen.

RSF hat sich bereits im europäischen Gesetzgebungsprozess mit zahlreichen Empfehlungen eingebracht und die nationale Umsetzung begleitet. Die Stellungnahme der Organisation zum Referentenentwurf des DDG vom August 2023 ist hier abrufbar.

Datenweiterleitungen an das BKA einschränken

Der DSA sieht vor, dass Plattformen proaktiv Daten an das Bundeskriminalamt (BKA) übermitteln können, wenn ein Verdacht auf Straftaten besteht, die das Leben oder die Sicherheit von Personen in Gefahr bringt. Welche Straftaten damit genau umfasst sind, bleibt vage und zu weit gefasst, denn auch die Erläuterung zum Gesetzestext (Erwägungsgrund 56) verweist beispielhaft und damit nicht abschließend auf Straftaten in drei EU-Richtlinien.

Die aktuelle Regelung ist diesbezüglich sogar noch weitreichender als die Vorgängerregelung im NetzDG, die sich auf soziale Netzwerke bezieht und nach aktueller Rechtsauffassung deutscher Gerichte angelehnt an ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln als verfassungswidrig gilt. Die Datenweiterleitungen an das BKA gelten nun sogar für alle Anbieter von Hostingdiensten in Deutschland. Das bedeutet praktisch, dass mehr Stellen umso mehr Daten ausleiten: So geht das BKA von einem Mehrbedarf von 404 Stellen und jährlichen Personalkosten von über 31 Millionen Euro aus.

Zudem findet keine strafrechtliche Prüfung statt, bevor die Daten weitergegeben werden. Es muss also nicht einmal ein hinreichender Verdacht auf eine Straftat vorliegen, bevor die Daten an das BKA gegeben werden. Somit können sehr viele Menschen und potenziell auch Journalist*innen von dieser Regel betroffen sein – ohne eine tatsächliche Straftat begangen zu haben. Erschwerend kommt hinzu, dass diese erweiterte Datensammlung und -verarbeitung aufseiten nationaler Strafverfolgungsbehörden nicht nur der nachgelagerten Verfolgung von Straftaten dienen soll, sondern zur präventiven Gefahrenabwehr.

RSF befürchtet, dass mit der Datenweiterleitung die Überwachung ausgeweitet werden könnte und Medienschaffende sowie Internetnutzer*innen mit weitreichenden Eingriffen in die Grundrechte rechnen müssen. Die Organisation fordert daher, dass die Straftatbestände abschließend definiert und auf das absolut Notwendigste eingeschränkt werden. So können illegitime Grundrechtseingriffe bei Betroffenen vermieden und Diensteanbietern eine Orientierung sowie Sicherheit für die Datenweiterleitungen gegeben werden. Werden ihre Daten weitergeleitet, müssen die Betroffenen darüber informiert und Löschfristen eingeführt werden.

Beschwerdebearbeitungen mittels Qualitätskriterien überprüfen

Der Erfolg der Koordinierungsstelle und nicht zuletzt des DSA wird sich daran messen lassen müssen, wie zielstrebig und effektiv sie den Beschwerden hilfesuchender Journalistinnen und Internetnutzern nachgeht. Für die Betroffenen ist ein niedrigschwelliger und unbürokratischer Kontakt essenziell. RSF begrüßt die Ziele im DDG-Entwurf, ein „bürgerfreundliches Beschwerdemanagement“ und eine „schlanke Beschwerdebearbeitung“ sicherzustellen, wird aber genau beobachten, ob das in der Praxis auch umgesetzt wird.

Um die Ziele zu erreichen, sollten messbare und einsehbare Qualitätskriterien aufgestellt werden. Diese helfen zu überprüfen, wie schnell Beschwerden bearbeitet werden und wie zugänglich die entsprechenden Stellen sind. Konkret gehören dazu Fristen für Rückmeldungen, einfach verständliche, technische Systeme mit Eingabemasken und Online-Formularen, direkte telefonische und formlose Anfragen per E-Mail und mehrsprachige Angebote.

RSF berät regelmäßig in Deutschland lebende Exil-Journalist*innen und weiß daher, dass häufig staatliche oder staatsnahe Akteure für Angriffe über digitale Dienste verantwortlich sind. Das vietnamesische Regime etwa beobachtet Medienschaffende auch im Ausland und versucht immer wieder, kritische Stimmen im Exil mundtot zu machen. Von diesen Angriffen sind nicht nur Einzelpersonen, sondern größere in Deutschland lebende (Sprach-)Gemeinschaften betroffen.

Transparenz schaffen und Umgang mit Empfehlungen des Beirats regeln

Zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Organisationen leisten schon lange wichtige Beiträge zur Plattformaufsicht in Deutschland. Sie informieren über Diskriminierung und Desinformation im Netz, forschen dazu, wie Grund- und Menschenrechte verletzt werden, legen undurchsichtige Werbepraktiken offen und begleiten Betroffene. Für die Umsetzung des Digital Services Act ist diese Expertise unersetzlich. RSF begrüßt, dass der Beirat um diese Erfahrungen durch die Erweiterung der verfügbaren Sitze gestärkt wird.

RSF empfiehlt, die Auswahl der Mitglieder nach transparenten und für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Verfahren zu gestalten. Das ist derzeit gesetzlich nicht berücksichtigt. In der Regel operieren Beiräte gerade im Behördenkontext intransparent. Wer sind die Mitglieder, wie wurden sie ausgewählt und wie arbeiten sie genau? Das zeigt eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Sitzungsprotokolle und Empfehlungen an die Koordinierungsstelle sollten öffentlich einsehbar sein.

Im aktuellen Gesetzentwurf ist zudem noch unklar, wie die Koordinierungsstelle mit Empfehlungen und Vorschlägen des Beirats umgeht. Folgt sie den Empfehlungen nicht, sollte sie eine einsehbare Begründung ablegen. Sollte es mehrere Empfehlungen geben, ist es umso wichtiger, ihre Entscheidungen öffentlich nachvollziehbar zu machen.

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