Recht auf Vergessen

Rüge für Umgang mit Personendaten bei Aufarbeitung historischer Kriminalfälle

Der Beschwerdeausschuss zum Redaktionsdatenschutz des Deutschen Presserats hat Ende November 2002 eine öffentliche Rüge gegen die „Volksstimme Magdeburg“ ausgesprochen. Die Zeitung berichtete unter der Überschrift „Der LPG-Hof-Mörder von Lindau“ über einen 38 Jahre zurückliegenden Kriminalfall. Sie bezeichnet den damaligen Täter als Mörder, obwohl die zugrunde liegende rechtskräftige Verurteilung nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlages erfolgte.

Der damalige Täter, der nach Ableistung einer langjährigen Freiheitsstrafe inzwischen seit geraumer Zeit ein resozialisiertes Leben führt, fühlt sich durch diese Veröffentlichung in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Der Ausschuss rügt die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen sowie den allgemeinen Sorgfaltspflichten nach den Ziffern 2, 3 und 8 des Pressekodex. Besonders betroffen ist dabei das in Ziffer 8 des Pressekodex enthaltene allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Eine besondere Facette dabei ist das so genannte „Recht auf Vergessen“.

Zwar sieht der Ausschuss die öffentliche Aufarbeitung historischer Kriminalfälle weder grundsätzlich noch in den Fällen generell als unzulässig an, in denen damalige Täter oder Opfer noch leben. Es ist jedoch in jedem Einzelfall zu gewährleisten, dass die Persönlichkeitsrechte und insbesondere der Schutz personenbezogener Daten von Beteiligten durch die Berichterstattung nicht verletzt werden. Ein sensibles personenbezogenes Datum ist dabei auch die Angabe von Vorstrafen. Deshalb werden bei deren Verwendung besondere Anforderungen an die Einhaltung von Sorgfaltspflichten gestellt. Die sachlich unzutreffende Bezeichnung als Mörder in dem vorliegenden Fall stellt daher für den Ausschuss einen schwerwiegenden Verstoß gegen den Grundsatz des sorgfältigen und ordnungsgemäßen Umgangs mit personenbezogenen Daten dar. Eine Richtigstellung dieser auch nach Kenntnis der Redaktion nicht zutreffenden Bezeichnung erfolgte jedoch nicht.

Darüber hinaus hält der Ausschuss den damaligen Täter in der Berichterstattung für identifizierbar. Die Namensnennung war jedoch sowohl zum Schutz der Resozialisierung des Betroffenen als auch zur Wahrung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung unzulässig. Dieser Schutz der persönlichen Daten kann ein um so stärkeres Gewicht in der Abwägung mit dem öffentlichen Informationsinteresse erlangen, je länger der zugrunde liegende Sachverhalt zurückliegt.

Da es sich hier um einen mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Fall handelt, sah der Beschwerdeausschuss den Schutz des Betroffenen hier als vorrangig an. Wichtig war dem Beschwerdeausschuss, dass die in der Veröffentlichung enthaltene Rechtsverletzung nicht fortbestehen darf, z.B. durch die Vorhaltung des Artikels in einem für jedermann abrufbaren Archiv. Er forderte er die Zeitung daher auf, alle erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um eine Wiederholung der Regelverletzung auch durch Dritte zu vermeiden. Insbesondere sei eine Richtigstellung vorzunehmen und diese – ebenso wie die Entscheidung des Presserats – zu den gespeicherten Daten zu nehmen. Richtlinie 3.2 führt dazu aus:

Führt die journalistisch-redaktionelle Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten durch die Presse zur Veröffentlichung von Richtigstellungen, Widerrufen, Gegendarstellungen oder zu Rügen des Deutschen Presserats, so sind diese Veröffentlichungen von dem betreffenden Publikationsorgan zu den gespeicherten Daten zu nehmen und für dieselbe Zeitdauer zu dokumentieren wie die Daten selbst.

Deutscher Presserat / red.

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