Sozialwahlen 1999

Worum es geht, warum und wer gewählt werden sollte

Alle sechs Jahre haben die Versicherten und RentnerInnen der Bundesrepublik Deutschland das Recht, ihre VertreterInnen für die Selbstverwaltungsgremien der Kranken- und Pflegekassen, der Renten- und Unfallversicherungen zu wählen. Aus diesem Grund haben mehr als 29 Millionen Renten- und Krankenversicherte kürzlich mit der Post eine Vorabinformation zu den diesjährigen Sozialwahlen erhalten. Bis zum 26. Mai 1999 können dann die Wahlberechtigten ihre ausgefüllten Briefwahlunterlagen, die sie mittlerweile alle erhalten haben müßten, an die jeweiligen Versicherungsträger weiterleiten.

Viel zu wenig machten in den letzten Jahrzehnten die wahlberechtigten BundesbürgerInnen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Das lag und liegt vor allem mit daran, daß die vielfältigen Aktivitäten der ehrenamtlichen VertreterInnen der Versicherten innerhalb der verschiedenen Zweige der Sozialversicherung kaum in den Massenmedien berücksichtigt werden.

Die Gremien der Selbstverwaltung

  • nehmen als Ratgeber schon in frühen Phasen Einfluß auf den Gesetzgeber,
  • überwachen die Arbeit der hauptamtlichen Vorstände und GeschäftsführerInnen und
  • überprüfen in den Widerspruchausschüssen der Sozialversicherungsträger Leistungsbescheide und können sie korrigieren.

Alle Sozialversicherungsträger sind Körperschaften des Öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Das bedeutet: Sie werden durch die Beitragszahler, bzw. durch deren gewählten VertreterInnen selbst verwaltet. (Um sich z.B. ein konkretes Bild über die Dimension der zu verwaltenden Gelder zu machen: alle Haushalte der Sozialversicherungsträger zusammen umfassen pro Jahr mehr als 800 Milliarden DM!).

Die Vertreterversammlungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestelle (BfA), die bei den Sozialwahlen bestimmt werden, und die Vorstände, die durch diese Vertreterversammlung gewählt werden, setzen sich je zur Hälfte aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen. Bei den Angestellten-Ersatzkassen (z.B. BEK, DAK, TK, KKH) werden die Vertreterversammlungen sogar nur aus Vertretern der Versicherten gebildet.

Zu den Aufgaben der Vertreterversammlung der BfA gehören z.B. Entscheidungen über die Verwendung der Finanzmittel und die Kontrolle von Vorstand und Geschäftsführung. Zu Beginn der sechsjährigen Amtsperiode wählt die Vertreterversammlung den Vorstand, die Mitglieder der Widerspruchsstellen und die Versichertenältesten.

Der Vorstand verwaltet die BfA im Rahmen der Gesetze, hat sie gerichtlich und außergerichtlich nach außen zu vertreten und entscheidet z.B. über die Anlage des Vermögens der BfA.

Die Mitglieder der Widerspruchsstellen der BfA versuchen bei einer Ablehnung eines Renten- oder Rehabilitationsantrages, sofern es genügend neue Gesichtspunkte gibt, diese negative Entscheidung im Sinne der jeweiligen Versicherten zu korrigieren.

Die Versichertenältesten der BfA sind ehrenamtlich tätige Frauen und Männer, die für die Versicherten die Rentenanträge stellen und in allen Rentenfragen kostenlos beraten. Die Versichertenältesten bilden ein weitgespanntes ehrenamtliches Beratungsnetz für die BfA und stellen eine ortsnahe, unbürokratische Verbindung zwischen der BfA und den Versicherten her. Bei den diesjährigen Sozialwahlen stellen sich 22 verschiedene Organisationen, Vereine, Verbände und Gewerkschaften zur Wahl. Eine Reihe von diesen Vereinen und Verbänden haben sich nur für die Sozialwahlen konstituiert. Sie treten ansonsten nicht ins Licht der Öffentlichkeit, sie sind nach den Wahlen für die Versicherten anonym, nicht erreichbar. Bei vielen von ihnen ist nicht zu erwarten, daß sie die sozialpolitische Kraft und das Fachwissen mit sich bringen, das für die unermüdliche Arbeit im Sozialversicherungsbereich unbedingt erforderlich ist.

Stimmen für die Gewerkschaftslisten

Es gibt eine Reihe von Gesichtspunkten, warum bei den Sozialwahlen die Stimme einer Gewerkschaftsliste gegeben werden sollte:

  • Gewerkschaftliche VertreterInnen in der Selbstverwaltung arbeiten in einem großen Verbund. Ein großes Netz von ExpertInnen und Institutionen sorgt für Betreuung, Beratung und Unterstützung.
  • Gewerkschaftliche VertreterInnen in der Selbstverwaltung kennen die Probleme der Versicherten – und sie arbeiten für deren Wohl. Als Betriebs- und Personalräte, Vertrauensleute, SchwerbehindertenvertreterInnen, in der Seniorenarbeit usw. haben GewerkschaftsvertreterInnen ständig Kontakt zu den Menschen, die auf die Leistungen der Sozialversicherungen angewiesen sind.
  • Gewerkschaftliche VertreterInnen in der Selbstverwaltung sehen grundsätzlich erst einmal das Sozialversicherungssystem als Ganzes. Ihr oberstes Ziel ist es, das Solidarsystem zu stärken und zu verbessern.
  • Für die zahlreichen Aufgaben, die die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wahrnimmt, sind vielfältige Kompetenzen erforderlich, z.B. Fachwissen im Arbeitsschutz, in der Gesundheitsförderung, der Krankenversorgung, der Rehabilitation, der Pflege oder in Rentenfragen.
  • Gewerkschaftliche VertreterInnen nutzen das umfangreiche Schulungsangebot ihrer Gewerkschaften, um sich sozialpolitisch weiterzubilden. Sie werden von den Fachkräften ihrer Gewerkschaft betreut.
  • In vielen Selbstverwaltungsgremien (z.B. der Angestelltenversicherung) sitzen zur Hälfte ArbeitgeberverteterInnen. VersichertenvertreterInnen können also gegen sie keine Beschlüsse fassen. Dabei sind die Interessen von Arbeitgebern und Versicherten nur zum Teil identisch – teilweise sind sie sogar entgegengesetzt. Die Erfahrungen der GewerkschaftsvertreterInnen als InteressenvertreterInnen in Betrieben und in der Tarifpolitik bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern können sehr hilfreich sein, arbeitnehmerInnen- und versichertenfreundliche Positionen auch bei anfänglich gegensätzlichen Standpunkten durchzusetzen. Im Interesse aller Versicherten ist es dringend geboten, an den Sozialwahlen 1999 teilzunehmen:
  • Mit der Teilnahme an den Wahlen wird insgesamt die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger gestärkt.
  • Mit der Abgabe der Stimme für eine Einzelgewerkschaft oder für den DGB als Dachorganisation werden VertreterInnen gewählt, die den sozialen Interessen aller Versicherten und RentnerInnen verpflichtet sind.
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »

Für mehr Konfrontation

Die Wahlen zum EU-Parlament endeten – nicht unerwartet – in vielen Mitgliedsstaaten mit einem Rechtsruck. In Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, den Niederlanden und anderswo wurden eher euroskeptische, nationalistische, migrationsfeindliche Kräfte der extremen Rechten gestärkt. Auch in Deutschland haben 16 Prozent der Bürger*innen, mehr als sechs Millionen Menschen für die rechtsextreme, völkische AfD gestimmt – trotz NS-Verharmlosungen, China-Spionage und Schmiergeldern aus Russland. Immerhin sorgte die große Protestwelle der letzten Monate, die vielen Demonstrationen für Demokratie dafür, dass die AfD-Ausbeute an den Wahlurnen nicht noch üppiger ausfiel. Noch Anfang…
mehr »