der lichtblick

Die Gefangenenzeitung der lichtblick erschien erstmals vor 40 Jahren. „Es war Ende 1968, der Vollzug im Aufbruch, Resozialisierung noch ein Wort, das alle – die Justiz, die Gesellschaft und vor allem die straffällig Gewordenen – mit Hoffnung verbanden“, heißt es in der 60seitigen Jubiläumsausgabe.

Die Hoffnung trog, aber die Zeitung hielt durch. 337 Ausgaben kamen bis heute heraus, obwohl das Redaktionsteam häufig wechselte. Es besteht aus vier Insassen der JVA Tegel, alle fachfremd. Sie schreiben, gestalten und drucken das Blatt, verteilen es an ihre 1.700 Mitgefangenen und verschicken es an 100 andere Gefängnisse, aber auch an viele Abonnenten in Freiheit. Jede Ausgabe mit ihren 5.500 Exemplaren ist nach wenigen Wochen vergriffen.
Auch noch nach 40 Jahren ist der lichtblick anspruchsvoll und kritisch, sein umfangreicher Text exzellent geschrieben und aufgemacht. Wie ein Wunder mutet an, dass er in der überwachten Anderwelt hinter Mauern bis heute autonom von den „Insassen der JVA Berlin-Tegel“ herausgegeben wird und nicht vom Anstaltsleiter wie viele der etwa 50 anderen, von der Dokumentationsstelle Gefangenenliteratur der Uni Münster aufgelisteten Gefangenenzeitungen. In Tegel sieht die Anstaltsleitung den lichtblick erst nach dem Druck, seine Redaktion kann direkt kontaktiert werden (Tel. 030/90147-2329), was im Impressum hervorgehoben wird: „Eine Zensur findet nicht statt!!“ Debatten im Blatt sollen die Gefahr der Selbstzensur bei diesem Eiertanz zwischen gewährender Obrigkeit und Mitgefangenen bannen.
Im Ton verbindlich, aber klipp und klar wird aufgezeigt, dass der Gefängnisalltag allzu oft das gesetzliche Resozialisierungsgebot konterkariert: Der Offene Vollzug wird immer stärker zurückgedrängt, es fehlt an Gruppenleitern, sogar an gutem Willen, an Ausbildungsplätzen, an Arbeitsplätzen oder einer sinnvollen Vorbereitung auf die Entlassung. Alle Vorschläge, ironischen Kommentare oder Leserbriefe haben bisher nicht verhindern können, dass die Kluft zwischen Resozialisierungsgebot und Vollzugspraxis sogar größer wird. Die Redakteure feiern daher das 40jährige Jubiläum der größten und ältesten Gefangenenzeitung mit gemischten Gefühlen. Obwohl sie sich manchmal als Hofnarren fühlen, wissen sie, wie wichtig der lichtblick für die Inhaftierten ist. Er stärkt ihr Selbstvertrauen und informiert über ihre Rechte. Auf Dauer bewirkt die öffentliche Kritik sogar manche Verbesserung.
Uns, die wir gedankenlos an vergitterten Fenstern und Natodraht vorbeifahren, geben Gefangenenzeitungen wie der lichtblick Einblicke in das Leben hinter den Mauern und bauen vielleicht Vorurteile ab. Ihre literarischen Beiträge auf hohem Niveau sensibilisieren für die seelischen Nöte durch das ohnmächtige Ausgeliefertsein und für die Würde jedes Menschen. Die engagierte lichtblick-Redaktion hat seit kurzem noch ein zusätzliches Problem am Hals. Sie muss um Spenden betteln, weil die Druckmaschine ihren Geist aufgab. www.lichtblick-zeitung.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »