„Vor allem von Forschern erwarten wir, dass es Teil ihrer Jobbeschreibung sein sollte, in die (Fach-)Öffentlichkeit hineinzuwirken“, betont Journalismus-Professor Stephan Russ-Mohl, der das Europäische Journalisten-Observatorium EJO 2004 gründete, um „die Kluft zwischen der Medien-, Kommunikations- und Journalismusforschung und der Medienpraxis zu verringern“. Durch Beobachtung aktueller Trends in der Medienbranche in Europa und den USA sollte das Observatorium einen Beitrag zur Qualitätssicherung im Journalismus leisten. Die vielsprachige Website bietet differenziert-informative, aktuelle journalistische Beiträge wie etwa eine Analyse von Brexit-Kommentaren.
Als Russ-Mohl seine Berufung nach Lugano erhielt, wollte er ausprobieren, ob sich „an der kleinen, aber ambitionierten Università della Svizzera italiana“ (USI) in der mehrsprachigen Schweiz ein europäisches Projekt „mit Erfolgsaussichten lancieren lässt“. Aus dem USI-Zentrum hat sich inzwischen ein Netzwerk von Forschungsinstituten in 13 Ländern entwickelt. Sie entscheiden unabhängig voneinander, in welcher der mittlerweile 12 Sprachen die Beiträge publiziert werden und welche Themen für das jeweilige Publikum relevant sind.
So wird die Liste „aktueller Beiträge“ von unterschiedlichen Artikeln angeführt: Auf der deutschsprachige Website erscheint am 7. Juli eine Kolumne zum Schweizer Rundfunk SRG , auf der englischsprachigen am 4. Juli eine Information in eigener Sache: A New Journalism Observatory For The Arab World, die in Übersetzung auch auf der portugiesischen Website publiziert ist. Die italienischsprachige Liste aktueller Beiträge wird am 8. Juli von einem Artikel zu Brexit und Medien von Stephan Russ-Mohl angeführt. Auch die Rubriken zur Einteilung der Texte variieren leicht. Ethik und Qualität, Digitalisierung, Medienökonomie und -politik gibt es auf allen Websites, nicht aber Pressefreiheit, Ausbildung und Public Relations. Dem Anspruch folgend, eine Brücke zwischen Medienwissenschaft und -praxis zu schlagen, werden interessante Studien von EJO-Macher_innen redaktionell aufbereitet – etwa übersetzt und ergänzt wie die Forschungsergebnisse zu Wege zum Datenjournalisten in Europa.
Bei vielen Beiträgen handelt es sich um Nachdrucke. Gibt es kein Honorar? „In aller Regel“ nicht, antwortet Russ-Mohl und erläutert: „Die Nachdrucke sind allerdings ein Teil des EJO-Konzepts: Wir möchten mit angesehenen Medien kooperieren statt zu konkurrieren und sind zum Beispiel stolz darauf, mit dem „Tagesspiegel“, mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ und mit der größten seriösen Newssite „standard.at“ eng zusammenzuarbeiten sowie mit Fachzeitschriften wie „Schweizer Journalist“ oder „Der österreichische Journalist“.“
Finanziell wird das EJO vor allem von der Stiftung Pressehaus NRZ, der Robert Bosch Stiftung und der Fondazione per il Corriere del Ticino gefördert. Die deutsche Redaktion befindet sich im Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus an der TU Dortmund. Redaktionsleiterin ist die Diplom-Online-Journalistin Tina Bettels-Schwabbauer. „Kernstück unseres Netzwerks sind gemeinsame Analysen“ sagt sie und nennt als Beispiele eine vergleichende Studie über die Ukraine-Berichterstattung in 13 europäischen Ländern und eine gemeinsansame Untersuchung über die Presse in West- und Osteuropa zur Flüchtlingskrise. Für Ende des Monats sei eine Analyse über die Brexit-Berichterstattung geplant.