Schon entdeckt? Here in Bochum

Redakteur_innen von "Here in Bochum" im Gespräch mit Journalistin und Moderatorin Dunja Hayali auf dem Campfire-Medienfestival 2017 in Dortmund
Foto: Robert Fishman

Angekommen – Geflüchtete erzählen ihr Leben in eigenem Magazin

Schon entdeckt?

Engagierte Medien abseits des Mainstreams gibt es zunehmend mehr. Sie sind hoch­interessant, aber oft wenig bekannt. Deshalb stellt M in jeder gedruckten Ausgabe und monatlich auf M Online eines davon vor.

In Bochum machen Flüchtlinge mit dem Team des Dreisatz-Verlages ein eigenes Magazin. Weil es so gut läuft, soll es bald Lokalausgaben in anderen Städten geben. Unter dem Motto „Mit geflüchteten Menschen reden – nicht nur über sie“ produziert Redakteurin Vicki Marschall mit Flüchtlingen das Magazin „Here in Bochum“. Herausgeber ist der Verein „Angekommen“, der in Bochum etwa ein Sprachcafé, „Speed-Talking“-Treffen und einiges mehr anbietet.

Momen zum Beispiel, ein junger Syrer, erzählt auf Deutsch und Arabisch, warum er aus seinem Dorf geflohen ist: „Ich fühlte, dass ich keine Chance zum Erwachsenwerden, zum Lernen und zum Erreichen meiner Ziele hatte – ohne dass ich mich immer verstecken muss.“ Der 18jährige beschreibt, wie seine Mutter nach Deutschland kam. Seinen elfjährigen Bruder musste sie im Krieg zurücklassen, weil ihm die deutsche Botschaft die Einreise verweigerte. Momen geht zur Schule, lernt Deutsch und will Architekt werden. Nours aus Damaskus berichtet von den Schikanen und Bedrohungen, die sie mit ihren beiden Kindern in einem ostdeutschen Dorf ertragen musste und von ihrer zweiten Flucht – diesmal ins Ruhrgebiet.

Das Heft gibt Tipps für den Alltag in Bochum, informiert über Veranstaltungen, veröffentlicht Gedichte von Geflüchteten und erklärt deutsche Eigenarten. Das Besondere: Die Flüchtlinge recherchieren und schreiben selbst. Wer noch nicht gut genug Deutsch spricht, schreibt in seiner oder ihrer Muttersprache. Andere übersetzen ins Deutsche. So erscheinen Beiträge auf Deutsch, Französisch, Englisch und Arabisch.

Geld bekommt „Here“ für Druckkosten und eine halbe Sachbearbeiter-Stelle vom BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. „Das verdanken wir der kommunalen Integrationsbeauftragten der Stadt“, erzählt Vicki Marschall, die ohne diese Hilfe die Publikation nicht organisieren könnte. Bis 2019 hat das BAMF 150.000 Euro für „Here in Bochum“ bewilligt.

„Die Autorenschaft helfe den Geflüchteten, hier anzukommen. „Alle haben inzwischen eine Ausbildungsstelle oder einen Platz in Qualifizierungskursen gefunden.“ Das große Interesse an dem Magazin mit einer Auflage von 7.500 Stück hat Vicki Marschall überrascht. Die Publikation liegt in der Stadtbibliothek und der städtischen Bürgerberatung aus. Viele Hefte gehen an Schulen und andere öffentliche Einrichtungen. „Wie mussten nie Werbung machen“, freut sich die Redakteurin. Auch ehrenamtliche Autorinnen und Autoren finden sich genug.

Im Februar 2017 gewann das Team beim Ideenwettbewerb der NRW-Bank den zweiten Platz: „Entscheidend war, dass wir eine funktionierende Idee hatten, die auf andere Städte übertragbar ist.“

Jetzt sucht „Here“ Nachahmer in ganz Deutschland: Vicki Marschall will ihr Konzept inklusive dem professionellen Layout an Initiativen in ganz Deutschland verkaufen. Mit dem Geld soll die Infrastruktur des daraus entstehenden bundesweiten Netzwerks finanziert werden. Dazu hat Marschall ein Handbuch erstellt. Wer mitmacht, bekommt eine laufende Beratung und wird in ein überregionales Netzwerk aufgenommen. Alle regionalen Ausgaben präsentieren sich gemeinsam auf einer Internetseite. Wer in seiner oder ihrer Stadt mit Geflüchteten ein „Here“-Magazin machen möchte, kann sich bei „Here in Bochum“ melden.

 

 

 

 

.

Weitere aktuelle Beiträge

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte Musk vor der Übernahme erklärt.
mehr »

Neue Nachrichten für Russland

Reporter ohne Grenzen (RSF) hat in Paris gemeinsam mit der Witwe von Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, den neuen Fernsehsender Russia’s Future  vorgestellt. Der Sender soll das Vermächtnis des in russischer Haft ermordeten Oppositionsführers bewahren und die Pressefreiheit in Russland stärken. Ausgestrahlt wird er über das von RSF initiierte Svoboda Satellite Package, das unabhängigen, russischsprachigen Journalismus sendet.
mehr »

Mit föderaler Förderung

In Niedersachsen gibt es erstmals eine Förderung von Qualitätsjournalismus aus Steuergeldern des Bundeslandes. In einer ersten Förderrunde hat die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) jüngst Gelder vergeben. 19 Medienunternehmen erhielten insgesamt rund 53.000 Euro, wie die NLM mitteilte. Damit werden nun Projekte zur Aus- und Fortbildung finanziell unterstützt. Doch wie sieht es in den anderen Ländern aus?
mehr »

Digitalabgabe könnte Schieflage ausgleichen

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die vom Staatsminister Wolfram Weimer geäußerten Pläne für eine Digitalabgabe, die Big-Tech-Unternehmen mit digitalen Plattformdiensten in Deutschland zu entrichten hätten. Wie unter anderem der Spiegel berichtet, überlegt die Bundesregierung, eine Digitalabgabe einzuführen. Diese könnte Unternehmen wie Google und Meta dazu verpflichten, einen festen Prozentsatz ihrer Werbeeinnahmen abzuführen.
mehr »