Öffentlich-rechtlicher Rundfunk weiter unter Druck von Politik und Lobbyisten
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht zum 1. April dieses Jahres bei den meisten Anstalten die letzte Stufe der 2019 ausgehandelten Tariferhöhungen für Feste und Freie an. Nachdem jedoch Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland die Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 blockiert hat, geriet die Finanzierung der Sendeanstalten in schwieriges Fahrwasser. Begehrlichkeiten wurden geweckt. Der Blick richtete sich auf Klauseln zur Sonderkündigung in laufenden Tarifverträgen. Deutschlandradio griff zu und stieg aus dem Tarifvertrag aus. Im NDR kam es zu Sonderverhandlungen mit Kompromiss am Ende.
Die derzeit geltenden Tarifverträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind das Ergebnis einer heftigen Tarifauseinandersetzung im Jahr 2019. Erst nach einer breiten Streikbewegung und mehreren Verhandlungsrunden waren die Verträge unterschriftsreif. Sie gelten in den meisten Fällen noch mindestens dieses Jahr. Mit Ausnahme von Radio Bremen und dem WDR enthalten sie die Möglichkeit einer Sonderkündigung.
Tarifvertrag gekündigt
Deutschlandradio machte davon Gebrauch und kündigte den Tarifvertrag im Januar. Begründet wurde der Schritt mit den fehlenden Einnahmen für den laufenden Haushalt. Auch notwendige Investitionen würden erstmal zurückgestellt. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz bedauerte die Entscheidung. So würden Beschäftigte, Angestellte und Freie, nicht die bereits ausgehandelten Tariferhöhungen erhalten, die sie unzweifelhaft verdient hätten. ver.di forderte Deutschlandradio zu Tarifverhandlungen auf. Vor diesen Verhandlungen werde man genauen Einblick in die Haushaltssituation nehmen, betonte Schmitz. „Klar ist bereits jetzt, dass wir auf die Tariferhöhungen bestehen, aber mit dem Sender auch über Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Programmvielfalt und -volumen sprechen werden“, betonte Schmitz.
BR, MDR und ZDF bleiben tariftreu und nehmen ihre Sonderkündigungsrechte nicht wahr, ebenso der SWR und der SR mit jeweils einer Verlängerung des Tarifvertrages um drei Monate. RBB und HR haben sich noch nicht entschieden, die Frist dafür läuft noch.
Im Norden schlugen die Wellen hoch, nachdem auch der NDR zum 1. April nicht mehr Geld zahlen wollte. Dann kam der Vorschlag vom Sender, zunächst die Hälfte, d.h. 1,225 statt 2,45 Prozent, der Steigerung von Gehältern und Honoraren zu zahlen. Es kam zu Tarifverhandlungen, das Angebot wurde angenommen. Darüber hinaus konnte erreicht werden, dass wenigstens die Azubis und die Volontäre die vollen Erhöhungen erhalten. Als „Wermutstropfen“ bezeichnete der ver.di-Senderverband, dass der NDR die Forderung zurückgewiesen habe, zum jetzigen Zeitpunkt betriebsbedingte Kündigungen über 2024 hinaus tarifvertraglich auszuschließen: „Dies wäre eine immaterielle Kompensation für die zu erwartenden finanziellen Einbußen der Beschäftigten gewesen.“ Es hätte den NDR „nichts gekostet – wäre aber für die Belegschaft in Zeiten von großen Umstrukturierungen eine wichtige symbolische Geste gewesen und hätte Sicherheit gegeben“. Eine mögliche Zahlung der zweiten Hälfte der Erhöhung von Gehältern und Honoraren stehe in den Sternen. Diese wolle der NDR davon abhängig machen, wie und wann das Bundesverfassungsgericht über die Anhebung des Rundfunkbeitrags entscheidet, heißt es. ver.di plant jedoch im Herbst die Verhandlungen dazu aufzunehmen. Auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wolle man nicht warten.
Politikdebakel in Sachsen-Anhalt
Es ist ungewiss, wann und wie Karlsruhe über die von den Ministerpräsidenten der Länder zuvor beschlossene Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro aufgrund der Intervention der CDU-geführten Landesregierung in Sachsen-Anhalt entscheiden wird. Es ist die erste Erhöhung des Rundfunkbeitrages seit zehn Jahren.
Das sachsen-anhaltinische Politikdebakel, dominiert von der AfD, reiht sich ein in die seit Langem andauernden Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Debatten reichen von Forderungen nach einer Neudefinition des Auftrags über Kürzungen der Etats bis zum jüngsten Vorstoß der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) für eine Fusion von ARD und ZDF einhergehend mit massiven Einschnitten im Programmangebot. In Letzterem sieht ver.di-Vorsitzender Frank Werneke eine „geplante Einschränkung der Meinungsvielfalt“. „Wer unsere öffentlich-rechtlichen Fernsehsender fusionieren und klein halten, die Radiosender signifikant reduzieren, Kultur auf eine Basisversorgung beschränken und Übertragungen von Fußball-WM, -EM, Champions League sowie Olympischen Spielen privaten Anbietern überlassen will, betreibt nichts als Lobbyarbeit für die großen Medienhäuser“, sagte Werneke, der auch Mitglied des ZDF-Fernsehrates ist.
Unruhe in den Sendern
Derweil gibt es ohnehin viel Unruhe in den Rundfunkanstalten, Reformpläne liegen auf dem Tisch und es laufen Umstrukturierungen. Oft zu wenig transparent, nicht immer werden die Beschäftigten mitgenommen. Jüngstes Beispiel im Februar beim RBB, wo ohne Vorwarnung ein „neuer Anstrich“ des Vorabendprogramms angekündigt wurde und sich 75 freie Mitarbeitende schon mal auf die Beendigung ihrer Verträge einrichten sollen. M Online berichtet auch darüber wie gewohnt aktuell.
Was auf die Ohren gibt es mit einem „Special zur Rundfunkpolitik“ in sechs Folgen bis zum Sommer auf M Online: https://mmm.verdi.de/podcast/