Bremen: ARD-Freie bohren dicke Bretter

Der ARD-Freienkongress 2018 bei Radio Bremen im Weser-Haus
Foto: Jan-Markus Holz

Lediglich „Sparpuffer“ zu sein, dagegen sträuben sich die freien Mitarbeiter_innen angesichts des Drucks, der gegenwärtig auf dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk lastet. Sie erwarten für ihre Arbeit eine ordentliche Bezahlung und soziale Absicherung. Denn „ohne Freie läuft kein Programm“ – hieß es auch in diesem Jahr auf dem Kongress der Freien von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle am 20./21. April bei Radio Bremen. Zum ersten Mal vergab der ARD-Freienrat den Medienpreis „Das dicke Brett“. Er ging an den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) für die Legalize-it-Kampagne der dort beschäftigten Freien. 

Mit der Kampagne wurde der erfolgreiche Einsatz für rund 500 Freie im RBB gewürdigt. Innerhalb eines Jahres hatten die RBB-Freien einen vorbildlichen Bestandsschutz-Tarifvertrag erstritten, der Kameraleuten, Cuttern und vielen anderen sogenannten nicht programmgestaltenden Freien ihre Beschäftigung bis zur Rente garantiert. „Diese Kampagne hat Symbolcharakter, ist nachhaltig und stärkt den Zusammenhalt der Freien“, sagte Stephanie Funk-Hajdamowicz vom Vorstand des ARD-Freienrats. Lobend erwähnt wurde das erfolgreiche Engagement der Freien beim WDR, bei der Deutschen Welle, bei Radio Bremen und beim Deutschlandradio. Besonders hervorgehoben wurde der MDR. Dort hatten die Freien durchgesetzt, dass sie ab dem ersten Tag Krankengeld erhalten, so wie das für Angestellte überall längst gilt. „Das wünschen wir uns für alle Freien in allen Sendern“, so Funk-Hajdamowicz.

Die sehr unterschiedlichen Regelungen für arbeitnehmerähnliche Freie spielten auch beim dritten Freienkongress eine zentrale Rolle, sei es bei der Mitbestimmung, der Bezahlung oder der sozialen Sicherung. Vor dem Hintergrund des bereits seit einigen Jahren andauernden Sparprozesses, der mit der gegenwärtigen Debatte um künftige Beitragshöhen eine neue Dimension erreicht hat, geraten erneut die Freien ins Hintertreffen. Die Sender beschäftigen bundesweit viele Freie, 18 000 mit arbeitnehmerähnlichem Status. Sie müssen immer mehr Programm auf immer mehr Plattformen liefern. Dabei bleibt das Honorar gleich oder verringert sich gar, durch veränderte Abrechnungsmodelle und anderes mehr. Das heißt konkret: Sparen an der Qualität. Das muss aufhören!“, heißt es in einer Resolution, die auf dem Kongress verabschiedet wurde.

„Ohne Freie Funkstille – Wie austauschbar sind wir wirklich?“ Darüber diskutierten: Olaf Joachim, Jan Metzger, Hanna Möllers (Moderatorin), Cornelia Haß, David Schraven und Doris Achelwilm (v.l.n.r.)
Foto: Jan-Markus Holz

Sparangebote der ARD – ein Paradigmenwechsel

In der ersten Diskussionsrunde stand dann auch die Qualität im Fokus – im direkten Kontext des derzeit wirkenden Drucks auf die Rundfunkanstalten. Radio Bremen-Intendant Jan Metzger verwies eingangs darauf, dass das vorliegende Sparangebot einen Paradigmenwechsel bedeute in Bezug auf Sekundärprozesse wie Verwaltung, Technik, IT bis hin zu den Archiven. Bislang habe die ARD in ihre DNA eingeprägt, dass jeder machen könne, was er wolle. Es sei ein Angebot an die Medienpolitik und ein Beitrag zur Dämpfung künftiger Anstiege des Rundfunkbeitrags.

Jan Metzger, Intendant Radio Bremen
Foto: Jan-Markus Holz

Damit würde die ARD das Programm schützen. Denn, so Metzger, was diese ausmache, ihr Wert für die Gesellschaft, das sei das Programm. „Es ist vielfältig, weit verzweigt, föderal fein gegliedert, in allen Gegenden präsent“. Es wäre fatal, diese Stärke über Einsparungen zu vergeben. Olaf Joachim, Chef der Staatkanzlei der Freien Hansestadt Bremen und Mitglied im ZDF-Fernsehrat, kritisierte in diesem Zusammenhang, dass es neben der Struktur- und Kostendebatte zu wenig um die Inhalte gehe.

Nach den Ursachen für den politischen Gegenwind befragt, verwies Conny Haß, Bereichsleiterin Medien bei ver.di, auf das europäische Ausland. Dort sei die No-Billag Initiative in der Schweiz nur ein deutlicher Ausdruck der Entwicklung, die wir schon seit Jahren beobachten, etwa in Ungarn und Polen, aber auch bei Auseinandersetzungen in der BBC, der Finanzierungsumstellung vom Beitrag auf Steuern in Dänemark oder ähnlichen Kürzungen in Finnland. Bei alledem gehe es nicht um die Qualität des Programms, sondern ganz gezielt darum, bestimmte Werte in der Demokratie anzugreifen, die wir als Medien hochhalten. Damit müsse man sich auseinandersetzen.

Cornelia Haß, dju-Bundesgeschäftsführerin und Leiterin des Bereichs Medien bei ver.di
Foto: Jan-Markus Holz

Mehr als Lückenbüßer und Verschiebemasse

Haß stellte klar, dass ver.di für eine Beitragserhöhung eintrete. Denn die Tendenz von Arbeitsverdichtung und gleichzeitiger Honorarkürzung, bei der Freie als Lückenbüßer und Verschiebemasse fungieren, dürfe man nicht dulden. Aber auch das Publikum gelte es, im Blick zu haben. Die Politik müsse den Auftrag definieren und mit dem Publikum diskutieren, welches Programm gewollt sei. David Schraven sah die Diskussion um eine Beitragserhöhung dagegen als „gefährlich“ an, da das Geld häufig den Falschen – wie der FIFA – in den Rachen geworfen werde. Dem widersprach Metzger, denn von derartigen „Einsparungen“ würden Freie logischerweise nicht profitieren. Im Gegenteil: Tariferhöhungen müssten ja irgendwo herkommen, für Feste und Freie. Doris Achelwilm, Bundestagsabgeordnete der Linken und RB-Rundfunkratsmitglied, plädierte für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der um seine Akzeptanz weiter durch Transparenz und offene Diskussionen, nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit den Verlagen, ringen sollte. Sie sehe schon noch „einige Luft nach oben“, was das Sparen angehe, etwa bei den Moderatorengehältern und anderem mehr. Zudem könne man auch von Seiten der Politik neue Wege gehen, zum Beispiel durch staatliche Kofinanzierung des Rundfunkbeitrags etwa bei sozial Schwachen!

Perspektiven eingefordert

Die rege Diskussion lebte vor allem auch von den Berichten aus dem Auditorium. Bei Radio Bremen schüre die zunehmende „Verschlankung“ Ängste. Man sei nicht mehr beim „nackten Mann“, sondern schon beim Skelett angekommen. So gebe es fast nur noch freie Reporter_innen, denen jedoch aufgrund ihres Status die Perspektive fehle, berichtete ein Freier von Radio Bremen. Beim WDR verzeichnet die Freienvertretung in ihren Sprechstunden immer mehr Kolleg_innen, die – obwohl viele Jahre beim Sender – inzwischen von dieser Arbeit nicht mehr leben könnten, da sie immer weniger Aufträge erhalten würden. Tariferhöhungen nur auf die Mindesthonorare ließen auch beim WDR viele Freie außen vor, einige hätten seit acht Jahren keine Honorarerhöhung mehr erhalten. Von schleichenden Honorarkürzungen auch beim SWR wurde berichtet. Denn es werde immer mehr an Inhaltelieferung verlangt, ohne dass dafür die Honorare stiegen. Feste und Freie gegeneinander auszuspielen, dagegen argumentierte Manfred Kloiber vom Deutschlandradio. „Kürzungen der Altersvorsorge von Festen kommen nicht bei den Freien an“, sagte er. Zudem seien Freie in vielen Bereichen sehr kreativ, brächten gute Geschichten rein. Feste – zunehmend auf die Leitungseben reduziert, würden selbst dort inzwischen häufig durch „freie Soldaten“ ersetzt. Das müsse aufhören. Zwei interessante Fragen wurden aufgeworfen: „Warum werden Freie nicht öfter direkt vom Empfehlungsgremium KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) oder der Politik nach ihren Arbeitsverhältnissen befragt? Warum sagen Intendant_innen in den unzähligen Medien-Interviews nicht, wie die Situation in den Rundfunkanstalten wirklich ist, und warum gehen sie nicht mehr in die Offensive?“

Berichte aus der Praxis
Foto: Jan-Markus Holz

Freie gehören in alle Personalräte

Die Mitbestimmung der Freien in den Arbeitnehmervertretungen der Sender war auch in Bremen ein sehr wichtiges Thema. Sie ist in den Rundfunkanstalten völlig unterschiedlich geregelt. Von umfassender Mitbestimmung bis zu Null-Rechten der Freien reicht das Spektrum. Nur in der Hälfte aller Rundfunkanstalten gibt es bisher das aktive und passive Wahlrecht für Freie in Personalräten. Es müsse aber in allen Anstalten gelten, forderten die Kongressteilnehmer_innen. Ein Grund für die völlig ungerechtfertigten Unterschiede: Bisher unterliegen einige Anstalten den jeweiligen (unterschiedlichen) Personalvertretungsgesetzen der Länder und andere dem des Bundes. „Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht vor, das Bundespersonalvertretungsgesetz zu modernisieren. Wir fordern, dass das Gesetz auch für arbeitnehmerähnlich Beschäftigte gilt“, heißt es dazu in der eingangs erwähnten Resolution. Auch hier sei ein dickes Brett zu bohren: Beide Gewerkschaften, ver.di und der DJV, seien gemeinsam an dem Thema dran und zurzeit auf der Suche nach Verbündeten, versicherte Benno Pöppelmann, Justiziar des DJV, im von ihm geleiteten Panel.

Besonderer Schutz auch mit Blick auf #MeToo

In insgesamt acht Panels konnten die Freien in Bremen ihre Erfahrungen austauschen und sich auch Rat holen – sei es, in Fragen des Status, der Honorierung, der Altersvorsorge, sozialer Sicherung und anderem mehr. So ist beispielsweise die Honorarfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag, wie sie bei Festen gilt, für Freie noch längst nicht überall Usus. Positives Beispiel neben dem MDR: der SWR! Oder die Weiterbildung für Freie – wie wird sie vergütet? Auch hier ist der MDR beispielhaft: Er zahlt einen vollen Tagessatz. Für die Programmleute ist noch alles offen. „Freie müssen sich darauf verlassen können, dass ihr Arbeitsplatz sicher ist. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen #MeToo-Debatte ist es besonders wichtig: Freie brauchen besonderen Schutz vor Machtmissbrauch und Übergriffen jeglicher Form“, heißt es dazu in der verabschiedeten Resolution. Im Panel mit Dorothea Hartz, Frauenbeauftragte bei Radio Bremen, „Freie Frauen: Alles fair oder Frust?“ wurde konstatiert, wie schwer es für freie Frauen sei, den Fuß in der Tür zu behalten. So ist für sie zum Beispiel der Wiedereinstieg nach der Mutterschaft schwieriger als für Feste. Bei Belästigung haben sie es wegen ihrer Auftragsabhängigkeit besonders schwer, sich zu wehren. Die Sender tun insgesamt noch zu wenig, so ein Fazit. Sofern sich etwas ändert, seien es immer engagierte Frauen, die das einforderten. So gibt es im RBB eine #MeToo-Arbeitsgruppe, in der Frauen der Arbeitsnehmervertretungen und der Intendanz mitwirken. Ausgangpunkt war eine Umfrage im RBB, die die Möglichkeit anonymer Beteiligung bot. Zwei Signale waren das Ergebnis: Ja, die AG soll sich mit dem Thema befassen. Und: Etwa ein Drittel der Frauen hat bereits etwas von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz mitbekommen. Die AG, die sich alle zwei Wochen trifft, hat sich daraufhin zum Ziel gesetzt, insgesamt das Bewusstsein für sexuelle Belästigung – Wo beginnt sie? –  zu schärfen sowie Möglichkeiten zum Schutz von Whistleblowern zu installieren. Das Thema soll Einzug in Führungskräfteschulungen und auch in die Volontärsausbildung halten. Die Einrichtung einer Ombudsstelle ist ebenso angedacht wie öffentliche Diskussionsveranstaltungen.

„Qualität hat ihren Preis – Perspektiven für Freie bei den Öffentlich-Rechtlichen“
Auf dem Podium: Jan Weyrauch, Silke Burmester, Stefan Pulß (Moderator), Christiane Krogmann udn Benno Pöppelmann
Foto: Jan-Markus Holz

Unterschiedliche Erfahrungen mit Crossmedia

Über die Perspektiven von Freien im Ringen um die Qualität der Rundfunkprogramme wurden am zweiten Kongresstag diskutiert. Ein Knackpunkt: die „eierlegende Wollmilchsau“ – mit Einzug der Crossmedialität wird diese Spezies von vielen Sendern erwartet. Für Christiane Krogmann, Leiterin von Tagesschau.de, keine Option. Die Hälfte ihrer Mitarbeiter_innen seien Freie, berichtete sie. Sie plädiere für eine gute Verzahnung, bei der zunächst alle crossmedial aufgestellt sein sollten. Aber man stoße an Grenzen. Deshalb sollte jeder vom anderen wissen, aber auch Zeit bekommen, seinen Ausspielweg vertiefend zu bedienen.

Christiane Krogmann. Leiterin Tagesschau.de
Foto: Jan-Markus Holz

Dem stimmte auch Benno Pöppelmann vom DJV zu. Jedoch werde dieses Alleskönnen heute verlangt, trotz aller Unterschiede in Hörfunk, TV und Online. Und noch werde zu wenig getan, die Beschäftigten bei der crossmedialen Arbeit zu schützen. Die Printfrau Silke Burmester, freie Journalistin und Mitglied der Freischreiber, sieht eine Lösung in der Bezahlung nach der aufgewendeten Zeit und nicht nach der Zeile bzw. den Minuten. Ein Vorschlag, der bei den Rundfunkfreien auf geteilte Zustimmung stieß. Denn was Vielfalt und Qualität angeht, sei dabei eine Frage: Wie viele Beiträge kann oder muss ich dann an einem pauschal bezahlten Tag liefern?

Bei den Schilderungen aus den Sendern wurde schnell deutlich: Die einen favorisieren, dass jeder alle Ausspielwege gleichermaßen bedienen müsse. Andere fördern die Konzentration eines Reporters auf ein Thema und einen Ausspielweg, anschließend folgt die crossmediale Verbreitung. Interessant der kurze Bericht eines Redakteurs von Bremen NEXT – ein Angebot von Radio Bremen für junge Menschen in Bremen, Bremerhaven und Umgebung mit einem Internetauftritt, einem Radioprogramm und großer Präsenz in sozialen Medien. Das junge Team, die meisten sind Student_innen, hätte von Anfang crossmedial gearbeitet, sei bereit, viel zu leisten und für den Anfang auch weniger Geld zu verdienen, sagte Dennis Klammer. Seit anderthalb Jahren auf Sendung, stehe jedoch bald die Frage, wie geht es weiter.

Jan Weyrauch, Programmdirektor Radio Bremen
Foto: Jan-Markus Holz

Für Programmdirektor Jan Weyrauch bietet das junge Programm auch die Möglichkeit viel zu lernen, diene also auch der Ausbildung. Da könne man dann auch mal Fehler zulassen und über mitunter noch mangelnde Qualität hinwegsehen. Und es gebe weniger Geld, später könnte man mehr verdienen. Einwurf des erfahrenen Gewerkschafters Pöppelmann: Oft verdienten sie nie mehr, obwohl sie dann die notwendige Qualität lieferten. Deshalb sollten von Anfang tarifliche Gehaltsstufen festgelegt werden. Sowohl die Ausspielwege als auch die zur Verfügung stehende Geldmenge seien endlich, betonte Weyrauch. Damit die Qualität nicht leide, könne man sich auch beschränken, müsse Prioritäten setzen. Werde etwas Neues etabliert, können man anderes streichen. Themen könnten im Team crossmedial bearbeitet werden, wie es beim Regionalmagazin „Buten und Binnen“ zunehmend praktiziert werde. Crossmedia führe jedoch auch dazu, dass Freie Aufträge verlieren. Die journalistische Vielfalt gehe flöten, erklärte ein Kollege aus dem WDR. Der kurzfristig eingeführte Crossmedia-Reporter mache alles und das auch noch schlecht, sagte er. Deshalb seien mehr strategische Überlegungen und weniger Schnellschüsse angebracht, so ein anderer Kollege aus dem Sender. Auch Christiane Krogmann plädierte dafür, erst zu sprechen und zu diskutieren, was Sinn mache – wer solle mit wem arbeiten – und dann zu entscheiden.

Die Freien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind offenbar zum Dialog bereit. Den nächsten Freienkongress 2019 wird der MDR in Leipzig ausrichten.

Mehr Informationen unter: www.ard-freie.de

ARD-Freienkongress: Respekt und Rechte für Freie im Rundfunk

ARD-Freie: Plädoyer für Ehrlichkeit

 

 

 

 

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