Kinobeschäftigte erstreiken bessere Arbeitsbedingungen
Über ein außerplanmäßiges Geldgeschenk ihres Arbeitgebers dürften sich zu Weihnachten die rund 3.000 Beschäftigten der Kinoketten CineStar und CinemaxX freuen. Auch wenn Geschenk bestimmt das falsche Wort ist. Immerhin haben sie dafür fast ein Jahr lang gekämpft, sich im gesamten Bundesgebiet an unzähligen Streiks beteiligt. Die Lösung brachte in beiden Häusern letztlich eine Schlichtung.
Nun gibt es für die CineStar-Mitarbeiter*innen rückwirkend zum 1. November eine erste Gehaltserhöhung sowie eine Einmalzahlung von 250 Euro für die entgangenen Entgeltsteigerungen der Monate März bis November 2019. Im November 2020 folgt dann eine zweite Tariferhöhung. Insgesamt liegen die Steigerungen in allen Häusern und über alle Kategorien im Mittel zwischen 2,9 und 4,4 Prozent. Noch besser sieht es für die CinemaxX-Beschäftigten aus. Auf deren Konten trudeln nämlich noch im Dezember die Nachzahlungen der Tariferhöhungen rückwirkend bis zum 1. Juli ein. Zusammen mit einer zweiten Erhöhungsstufe im Juli 2020 steigen die Gehälter um 6,6 bis 12,6 Prozent. Im Januar gibt es außerdem noch eine Einmalzahlung von 240 Euro. Wichtig sei den ver.di–Vertreter*innen in der Schlichtungskommission bei CineStar neben den Entgeltsteigerungen auch die Absicherung der Beschäftigten durch geschlossene Tarifverträge gewesen, hieß es in einer ver.di-Tarifinfo zum Schlichtungsergebnis. Denn: Alle 55 CineStar-Kino-center stehen kurz vor dem Verkauf an den britischen Kinobetreiber Vue International, der auch die CinemaxX-Kinos betreibt. Nur das Bundeskartellamt muss dem Deal noch zustimmen, die aktuelle Frist läuft bis 31. Dezember.
Fast ebenso lange, wie das bereits mehr als 12 Monate laufende Prüfverfahren des Kartellamts dauert, hatten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Kinoketten für ein Tarifergebnis gekämpft. Denn für sie ging es um viel. Wie in kaum einer anderen Branche arbeiten Beschäftigte im Kino-Business am Existenzminimum. Vor den nun erstrittenen Tariferhöhungen lag der Einstiegslohn einer Servicekraft bei 9,19 Euro – und das ist gerade mal Mindestlohnniveau. Und weil man nach Berechnungen der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei mindestens 12,63 Euro pro Stunde verdienen müsste, um nicht arm im Alter zu sein, arbeiteten die Kino-Beschäftigten geradewegs auf die Altersarmut zu, kritisierte ver.di anlässlich der Berlinale im Februar.
Damals waren weit über 100 Kino-Beschäftigte einem ver.di-Aufruf gefolgt, um wenige Meter neben dem roten Teppich vor dem Berlinale-Palast für existenzsichernde Löhne zu demonstrieren. Darunter auffallend viele junge Leute, die sich für den „Hungerlohn“ bei CinemaxX und CineStar das immer teurer werdende Leben vor allem in Großstädten wie Hamburg oder Berlin nicht mehr leisten können. Gleichzeitig haben an jenem Wochenende in mehreren CinemaxX-Kinos bundesweit Warnstreiks begonnen, so etwa in Hamburg oder Offenbach. Wegen der ausbleibenden Annäherung in den Tarifverhandlungen bei beiden Kinoketten setzte sich diese Streikbewegung in den folgenden Monaten fort und wurde kontinuierlich ausgeweitet. „Gemeinsam mit den Kino-Beschäftigten befinden wir uns in einer grundlegenden Auseinandersetzung um existenzsichernde Löhne“, erklärte der damalige stellvertretende und heutige ver.di-Vorsitzende Frank Werneke im März kurz vor der fünften Verhandlungsrunde bei CinemaxX und der vierten Runde bei CineStar. Dem Krisenlamento der Kinobetreiber setzte der ver.di-Chef entgegen, dass es kontraproduktiv sei, den Druck auf dem Kinomarkt an die Beschäftigten weiterzureichen. Diese lebten in Sorge um steigende Mieten, Energie- und Fahrtkosten oder ganz allgemein ihre Zukunft.
Große öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Forderungen erhielten die Kino-Beschäftigen anlässlich ihrer Streiks zum Filmstart von „Avengers: Endgame“ Ende April. Über mehrere Tage legten damals bundesweit in 20 Kinos Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit nieder. „Die Streiks müssen spürbar sein und Auswirkungen haben“, machte ver.di-Verhandlungsführer und Tarifsekretär Holm-Andreas Sieradzki deutlich. Betroffen waren vor allem die Service-Bereiche wie Kasse und Gastronomie. Für die Kinobesucher*innen kam es teilweise zu verlängerten Wartezeiten. Vor der sechsten Verhandlungsrunde mit CinemaxX kamen zudem in Hamburg gut 300 Beschäftigte aus CinemaxX- und CineStar-Kinos aus ganz Deutschland zu einer Demonstration zusammen. „Großes Kino, kleiner Lohn“ war das Motto des Demonstrationszuges, bei dem die Kino-Streikenden auch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Computer-Bild unterstützt wurden, die sich ebenfalls im Warnstreik befanden. Festgefahren waren die Tarifverhandlungen lange vor allem deshalb, weil die Kinobetreiber kein Angebot vorlegten. Stattdessen trugen diese zur Eskalation der Auseinandersetzung bei, indem sie vorsorglich Streikbrecher anheuerten und diesen sogar mehr als 12 Euro Stundenlohn zahlten. Andere Kinobetreiber reagierten mit Aussperrungen. Die Streikenden erhielten keinen Lohn und durften das Haus nicht betreten. „Streikende durch eine Aussperrung von ihrer Arbeit auszuschließen, ist eine vollkommen unangemessene und auch unverhältnismäßige Reaktion auf den legitimen Kampf unserer Kolleginnen und Kollegen für eine angemessene Bezahlung“, erklärte Sieradzki im Juli.
Beendet werden konnte dieser langwierige Konflikt nur durch eine Schlichtung. Ob damit Ruhe in die Branche kommt, wird sich im nächsten Jahr zeigen, wenn nach der dann hoffentlich abgeschlossenen Kartellamtsprüfung höchstwahrscheinlich die Übernahme der CineStar-Kinos durch CinemaxX ansteht.