Aus- und Weiterbildung kommt in vielen Verlagen zu kurz
Kaum war sie 1988 Volontärin beim Schwäbischen Tagblatt geworden, schon fand sich Renate Angstmann-Koch in der Rolle der Volontärssprecherin der dju in Baden-Württemberg wieder. Und das in einer aufregenden Zeit, denn bis 1990 kämpften die Journalistinnen und Journalisten darum, dass die Volontärsausbildung endlich einen akzeptablen Standard bekommt, der in einigen Häusern schon üblich war, aber beileibe nicht in allen. So begann ihr gewerkschaftliches Engagement, und es hat bis heute nichts von seiner Kraft verloren. Sie ist Mitglied des Landesvorstands in Baden-Württemberg, Stellvertreterin im Bundesvorstand der dju und seit vielen Jahren Mitglied der dju-Tarifkommission.
M sprach mit Renate Angstmann-Koch über die Erfordernisse einer guten Aus- und Weiterbildung im Zeitalter von Crossmedia.
Der Volontärs-Tarifvertrag, für den du schon als Volontärin gekämpft hast, ist nun schon 22 Jahre alt. In der Zeit hat es viele technologische und arbeitsmäßige Veränderungen in den Redaktionen gegeben. Wie sollte sich das in einer Modernisierung des Volo-Vertrags widerspiegeln?
Renate Angstmann-Koch: Viele Tageszeitungs-Verlage bilden ihre Volontäre längst crossmedial auch in den Bereichen Online oder Video aus, ebenso im Newsroom. Allerdings gibt es dafür in den seltensten Fällen ein wirklich geplantes und zeitlich abgestimmtes Programm. Meist geht es hier zu wie vor 1990: Learning by doing. Die beste trimediale Ausbildung gibt es zurzeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der allerdings kein Geld mehr hat, alle seine bestens ausgebildeten Volontäre selbst zu übernehmen. Auch im Printbereich spielen heute Fotos und Gestaltung eine wesentlich größere Rolle. Allerdings werden diese immer wichtigeren Elemente in den Medien nicht mit Ausbildung oder Fortbildung unterfüttert. Wort, Bild, Ton, Graphik, Video, Online, Web und Network – das alles müsste sich in einem modernisierten Ausbildungstarifvertrag wiederfinden.
Wenn ein Verlag keine eigene Internet-Redaktion hat – und womöglich seine redaktionellen Inhalte eins zu eins ins Netz stellt, statt sie ordentlich aufzubereiten –, müsste er seine Volontäre zu einem Partnerverlag schicken. So wie heute schon Volontäre kleiner Lokalzeitungen einzelne Abschnitte ihrer Ausbildung beim jeweiligen Mantelblatt absolvieren.
Genügt es, die Journalistenausbildung nur technisch-handwerklich zu erweitern?
Nein, man müsste sie auch inhaltlich ergänzen, etwa um Themen wie Social Media. Man muss sich das mal vorstellen – 1990 lag der Fall der Mauer gerade ein Jahr zurück. Bonn war noch Regierungssitz und die D-Mark Zahlungsmittel, eilige Post wurde per Fax übermittelt. Die Zeitungsseiten wurden damals noch von Metteuren mit Schriftsetzer-Ausbildung am Leuchttisch mit dem Skalpell umbrochen. Da ist es überfällig, den Ausbildungs-Tarifvertrag an die heutigen Gegebenheiten anzupassen.
Bei dem damals längsten Journalistenstreik in Deutschland für eine geregelte Ausbildung sind die Redakteurinnen und Redakteure für etwas auf die Straße gegangen, was ihnen erst mal gar nicht zugute kam, sondern durch Ausbildungsverpflichtung eher mehr Arbeit machte. Siehst du ein solches Eintreten für den Nachwuchs heute auch noch?
Ja, unbedingt. Das zeigte nicht zuletzt der Journalistenstreik im letzten Jahr. Aber die Ausgangslage ist komplizierter geworden. Die Einstellungspraxis der Verleger orientiert sich daran, Menschen mit einem wissenschaftlichen Hochschulabschluss erst einige Jahre mit Aussicht auf ein Volontariat als Freie am Hungertuch nagen zu lassen. Viele lassen sich darauf ein, weil eine gute Ausbildung in einem Zeitungsverlag noch immer als einer der besten Berufszugänge gilt. Im Tarifkampf 2011 ging es den Tageszeitungs-Journalisten in erster Linie darum, Einbußen für die künftigen Redakteurinnen und Redakteure abzuwehren. Denn die Verleger wollten das mit den Berufsjahren wachsende Wissen und wachsende Erfahrung nicht mehr in der Gehaltsstaffel honorieren. Die Streikenden sahen ihr Berufsbild und die Voraussetzungen für journalistische Qualität in Frage gestellt. Dabei ist bis heute zu beobachten, dass die meisten Redakteurinnen und Redakteure mit großer Sorgfalt, viel Spaß und Energie ihr Wissen und ihre Erfahrung an die Jüngeren weitergeben, wenn sie nur irgendwie Zeit dafür finden. Sie wollen den Volontärinnen und Volontären einen guten Berufseinstieg ermöglichen. Schließlich sind sie die Zukunft der Branche. Eine höhere Qualifikation der Berufseinsteiger müsste sich dann aber auch in höheren Anfangsgehältern niederschlagen.
Eine gute Ausbildung ist die Basis, aber alle reden vom „lebenslangen Lernen“, von Weiterbildung. Im Manteltarifvertrag für Zeitungen und Zeitschriften ist davon nicht die Rede. Ist das kein Thema in den Redaktionen?
Weiterbildung ist ein Thema, seit es Tarifpolitik für Redakteure an Tageszeitungen gibt. Allerdings sind die Anläufe der Gewerkschaften, einen Weiterbildungsanspruch im Tarifvertrag zu verankern, immer im Sand verlaufen. Mal sollten die Redakteure die Hälfte der investierten Bildungszeit durch Urlaubsverzicht realisieren, dann wiederum war es nicht klar, welche Wissensgebiete in den Bildungskatalog aufgenommen werden. In den achtziger Jahren gab es noch eine Fülle von Weiterbildungsstätten, die nach und nach wirtschaftliche Probleme bekamen und heute höchstens ein Schattendasein führen. Gleichzeitig hat sich aber jede Hochschule eine Art Journalistik-Studiengang zugelegt – welcher Güte auch immer. Unter den Verlegern herrscht die Meinung vor, dies sei Weiterbildung genug. Hinzu kommt, dass der Arbeitsdruck in vielen Redaktionen heute so stark ist, dass Seminarbesuche mehr denn je unter den Tisch fallen. Das wirkt sich leider in einigen Verlagen auch schon auf die Ausbildung aus.
Welche Themen sollten in der Weiterbildung ganz vorne stehen?
Ähnliche, wie sie auch bei einer Überarbeitung des Ausbildungs-Tarifvertrags eine Rolle spielen: neue Medien und Recherche für das Handwerk und Europapolitik oder die Finanzmärkte als übergreifende Themen für die Berichterstattung. Aber selbst Rhetorik und Moderation sollten heute zur Aus- und Weiterbildung gehören.
Weiterbildung scheint in der PR-Branche wichtiger zu sein als bei den Verlagen. Werbekampagnen kommen immer verdeckter in ihrer Absicht daher, die wahren Hintergründe sind oft nur schwer zu erkennen. Warum rüsten die Verlage ihre Redaktionen nicht durch die Vermittlung wichtiger Informationen in einer Weiterbildung gegen den PR-Einfluss?
Die meisten Verlage orientieren sich nur daran, ihren gegenwärtigen Kostendruck über das Personal einzusparen. Die Qualität ist vielen Verlegern egal. Die Gewinne sind eigentlich nicht kleiner geworden, sie verteilen sich aber auf die Anzeigenblätter, das Privatradio, das E-Paper und die Werbeagentur der Zeitung – und die Rendite-Erwartungen sind höher geworden. In vielen Verlagen werden Redakteursstellen gestrichen und die Honorar-Etats für die Freien eingedampft. Da bleiben in der täglichen Arbeit gründliches Nachdenken und sorgfältige Recherche viel zu oft auf der Strecke. Dann werden die PR-Texte von Verbänden, Unternehmen oder Parteien weit weniger kritisch überprüft, als es angemessen wäre. Die Stoffe werden oft hervorragend aufgearbeitet, doch sie sind eben meist trojanische Pferde, also Werbung für bestimmte Ideologien oder Produkte, etwa die Riester-Rente. Hinzu kommt, dass in einigen Verlagen die Redaktionen unter dem Druck stehen, eigene Aktionen und Veranstaltungen der Zeitungshäuser hervorzuheben. Die Verleger müssen sich aber im Klaren sein, dass sie durch Klientel- und Sparpolitik den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Denn das größte Pfund des professionellen Journalismus ist und bleibt die Glaubwürdigkeit, die Unabhängigkeit und ihr Nachweis im täglichen Lesestoff.
Das Gespräch führte Susanne Stracke-Neumann