Es rappelt in der Kiste

Bislang größte Streikbewegung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Die festgefahrenen Tarifverhandlungen in mehreren ARD-Sendern haben im Sommer für die bisher größte Streikbewegung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesorgt. Und ein ebenso heißer Herbst steht noch bevor. Weitere ARD-Anstalten sowie das ZDF und die Deutsche Welle starten erst noch in die Tarifrunde, beim Deutschlandradio stehen die Verhandlungen noch ganz am Anfang.

Vorgelegt hatten am 19. Juni rund 380 Beschäftigte aus dem gesamten Sendegebiet des NDR. Allein in Hamburg beteiligten sich 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Hamburg, Kiel und Schwerin. In Hannover waren es 80, auch dezentral legten Festangestellte, Freie sowie Volontärinnen und Volontäre ihre Arbeit nieder, so etwa im Außenstudio Rostock oder am Sender Torfhaus im Harz. Spürbar wurde der Streik auch für die Zuschauer*innen und Zuhörer*innen: Die Telefon- und Infozentrale des NDR war nicht besetzt, um 15 Uhr entfiel NDR Aktuell und musste durch die Tagesschau ersetzt werden, auch Mein Nachmittag, DAS!, extra 3 und ZAPP konnten nicht gesendet werden.

Streikversammlung der Beschäftigten des WDR in Köln
Foto: Philipp Bösel

Tappen im Dunkeln

Im Dunkeln tappten dann gleich zwei Mal die Moderator*innen des vom WDR produzierten ARD-Morgenmagazins (MoMa). Streikende WDR-Beschäftigte sorgten am 9. Juli und noch einmal am 20. August dafür, dass dort die Lichter ausgingen. „Dies ist eine Aufzeichnung der Stunde zwischen 6 und 7 Uhr“, wurde im Juli für die Zuschauer*innen im Fernsehbild eingeblendet. „Die letzte Stunde mussten wir wiederholen, weil im Westdeutschen Rundfunk gestreikt wird“, erklärte MoMa-Moderator Sven Lorig kurz vor 8 Uhr die Situation. Abgesagt werden musste außerdem ein Drehtag der Lindenstraße und auch der dreiminütige Sportblock innerhalb von WDR Aktuell um 12:45 entfiel. Zur Versammlung der 400 streikenden Beschäftigten vor dem Vierscheibenhaus am Kölner Appellhofplatz kam eine Abordnung der Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future, um ihre Solidarität auszusprechen.

NDR-Beschäftigte im Ausstand
Foto: Mathias Thurm

Gleicher Ort, andere Zeit rund anderthalb Monate später, als die MoMa-Moderator*innen Anna Planken und Seven Lorig aus einem dunklen Studio verkünden mussten, dass wegen eines erneuten Warnstreiks nicht mehr live gesendet werden könne. Mindestens 400 Beschäftigte waren dem Aufruf zum 19stündigen Ausstand gefolgt. Neben dem Fernsehen, wo zudem die WDR-Sendung „Hier und Heute“ ausfiel, war auch der Hörfunk betroffen: Bei 1Live wurden weder Nachrichten noch Stau-Infos gesendet und die 14 Uhr-Nachrichten von WDR2, WDR3 und WDR4 konnten nicht wie gewohnt stattfinden. Zwei Tage später, am 22. August, legten die Gewerkschaften noch einmal nach. 300 Beschäftigte folgten dem zweiten Streikaufruf innerhalb einer Woche und sorgten erneut für starke Beeinträchtigungen im Programm. Zum Beispiel bei der Sendung „Live nach Neun“ im Ersten, die durch ein Best-of alter Aufzeichnungen ersetzt werden musste.

Streikversammlung vor dem Stuttgarter Funkhaus des SWR
Foto: Joe E. Roettgers

Ohne Kaffee oder Tee

Streikpremiere feierten am 2. September mehrere hundert Beschäftigte beim SWR und begrüßten den neuen Intendanten Knai Gniffke an seinem ersten Arbeitstag mit dem Appell, sich in der ARD für eine Rückkehr zur Orientierung der Tarifabschlüsse des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an denjenigen des öffentlichen Dienstes einzusetzen. Der erste Ausstand in der Geschichte des Senders hatte empfindliche Programmstörungen zur Folge. Die Sendung „Kaffee oder Tee“ um 16:05 fiel aus und wurde durch Archiv-Material ersetzt mit „Gartengeschichten – ganz natürlich“ und „Einfach schön! Mein neuer Balkon: Donaueschingen“. Nach den 17-Uhr-Nachrichten folgte ein „Reisetipp Südwest“ über den Pfälzerwald und „Genussvoll durch die Ortenau“. Streikkundgebungen fanden im gesamten Sendegebiet in Stuttgart, Baden-Baden und Mainz statt.

Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte die Streikbewegung am 18. September, für den ver.di zu einem bundesweiten Streik- und Aktionstag aufgerufen hatte. Mehr als 3.000 Beschäftigte von BR, WDR, SWR, MDR und NDR legten an diesem Tag ihre Arbeit nieder, 1.000 davon allein beim Bayerischen Rundfunk, wo es erstmals in der Sendergeschichte Programmstörungen aufgrund eines Streiks gab. So waren viele Zuhörerinnen und Zuhörer von Bayern 2, B5 aktuell und BR Klassik entsetzt, als auf deren Frequenzen plötzlich das Unterhaltungsprogramm von Bayern 3 ertönte. Der BR berichtete auf Twitter von unzähligen Beschwerdeanrufen, nach einer Aufklärung über den Grund der Störungen zeigten die meisten Anrufer*innen jedoch größtes Verständnis für den Streik der Beschäftigten. Zu einschneidenden Beeinträchtigungen kam es auch bei den digitalen Wellen, bei den digitalen Plattformen sowie im Fernsehen, wo mehrere Live-Sendungen, darunter „Wir in Bayern“ und „Kabarett aus Franken“ ausfielen oder wie das Polit-Magazin „Kontrovers“ vorab aufgezeichnet werden mussten.

Dem NDR-Intendanten gestrommelt und gepfiffen
Foto: Mathias Thurm

Wetter selbst gemalt

Abenteuerliche Auswirkungen hatte der Streik im NDR, wo das „Schleswig-Holstein Magazin“ mangels Studiotechnik aus dem Großraumbüro gesendet und der Wetterbericht auf einem Flip-Chart mit selbstgemalten Karten und Post-its präsentiert werden musste. Beim WDR waren etwa erneut das MoMa und „Live nach 9“ betroffen, beim SWR fielen unter anderem die Fernsehnachrichten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aus und wurden durch die Nachrichten aus dem Saarländischen Rundfunk ersetzt. Die nicht streikenden öffentlich-rechtlichen Sender beteiligten sich mit Solidaritätsaktionen. So fand etwa beim RBB, der Ende Oktober in die Tarifverhandlungen startet, ein Info- und Protesttag mit mehreren Flashmobs statt, beim Saarländischen Rundfunk beglückte man etwa 100 Beschäftigte mit einem Eiswagen und informierte über die laufenden Tarifverhandlungen. Ebenso beim Deutschlandradio, wo statt Eis allerdings Bio-Kaffee serviert wurde. Und die Mainzelmänner und –frauen aus dem ZDF schickten solidarische Grüße vom Lerchenberg.

Streikversammlung in München
Foto: Werner Przemek

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

ARD: Durchbruch in Tarifrunde

In dem seit Januar andauernden Tarifkonflikt in ARD-Rundfunkanstalten gibt es erste Verhandlungsergebnisse. Zum Wochenende hin konnte am Freitag (15. November) ein Ergebnis im SWR erreicht werden. Für ver.di ist das ausschlaggebende Ergebnis, dass neben sechs Prozent Tariferhöhungen in zwei Stufen über eine Laufzeit von 25 Monaten auch eine für mittlere und niedrige Tarifgruppen stärker wirkende jährliche Sonderzahlung so stark erhöht wurde, dass es nachhaltige Tarifsteigerungen zwischen sechs und über zehn Prozent gibt.
mehr »