G+J: Arbeitsrecht bis in die Winkel auskehren

Der Verlag Gruner + Jahr am Baumwall in Hamburg Foto: Mathias Thurm

Hamburg: Vertragsverhältnisse im Check – Festanstellungen beabsichtigt

Bei Gruner + Jahr wird umgebaut. Auf dem Prüfstand stehen die Vertragsverhältnisse der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gut 250 Freie waren in Hamburg am 3. Februar zusammengekommen, weil sie dringende Fragen an die Geschäftsführung des Verlagshauses hatten, wie es für sie weitergeht. Statt Antworten gab es Absichtserklärungen.

„Auf hoher See und vor Gericht ist man mit dem lieben Gott allein“, weiß man in Hamburg. An der Hafenkante drängen sich deshalb die Seemannskirchen – direkt hinter den Verlagsgebäuden von G+J. In der finnischen trafen sich dieses Mal keine Fahrensleute, sondern freie Journalist_innen, Grafiker_innen, Dokumentarist_innen. Auch ihnen stehen stürmische Zeiten, eine ungewisse Fahrt und am Ende vielleicht gar Schiffbruch bevor: „Was hier passiert ist existenzbedrohend“, fasst ein freier Schlussredakteur zusammen.

G+J wird die Zusammenarbeit mit seinen freien Mitarbeiter_innen radikal ändern – nicht freiwillig, denn die bisherige Praxis kam den Verlegerinteressen sehr entgegen. Allerdings hat der Zoll Verlage ins Visier genommen: Viele der Freiberufler sind nur zum Schein selbstständig. Sie arbeiten wie Angestellte, aber die Verlage zahlen keine Sozialabgaben für sie. Dieser Gesetzesbruch ist in der Branche dermaßen üblich, dass er längst für Gewohnheitsrecht gehalten wurde. Doch jüngere Überprüfungen in Großverlagen machen deutlich: Der Staat sieht dies anders. Arbeitsministerin Andrea Nahles will gar klare Abgrenzungen von Arbeitsverhältnis und Selbstständigkeit gesetzlich neu regeln. Nicht nur G+J sucht nach Auswegen.
Wie viele Freiberufler insgesamt für G+J tätig sind, weiß Mit-Organisatorin der Freien-Veranstaltung Brigitte Große nicht. „Es konnte mir auch niemand im Verlag sagen.“ Aber dass sie in einer stark vom Einzelkämpferdenken geprägten Klientel so viele zu diesem Termin zusammenorganisiert haben, ist ein Erfolg, das weiß sie. Vielleicht liegt es daran, dass an diesem Tag Gäste da sind, von denen sich die Freien Antworten erhoffen: Stern-Herausgeber Andreas Petzold und G+J-Personalchef Stefan Waschatz.

Keine genauen Ziffern genannt

„Wir haben einen hochkomplexen Prozess gestartet, der noch nicht abgeschlossen ist“, sagt Waschatz, „wir werden weiterhin mit einer großen Zahl freier Mitarbeiter zusammenarbeiten, aber wir werden auch viele fest anstellen.“ Genaue Ziffern nennen beide nicht. Stattdessen verweisen sie auf das Chefredakteursprinzip, wonach Entscheidungen von denen getroffen werden, die für einen Titel verantwortlich sind. Allerdings betrifft das nicht die Festanstellungen. Sie erfolgen über die G+J Medien GmbH, sagt Waschatz. Auf Nachfrage nennt er auch den Grund: „Die Medien GmbH ist gegründet worden, um keine Tarifgehälter zahlen zu müssen.“ Petzold dazu: „Ziel des Verlages ist es, die größtmögliche journalistische Qualität bei der größtmöglichen Flexibilität zu erhalten.“
Die Freien hinterfragen das: Das könne doch nur heißen, dass die Flexibilität zu Lasten der Mitarbeiter ginge. In der Tat gesteht Waschatz ein, dass die Verträge der Medien GmbH in der Regel befristet sind. „Das Modell Vollzeit unbefristet entspricht nicht dem Bedarf des Verlages“, sagt er und ergänzt: „wir werden das Arbeitsrecht bis in den letzten Winkel auskehren, um die Flexibilität zu erhalten“.
„Freie Mitarbeiter, die in Redaktionsabläufe eingebunden sind, wird es auf alle Fälle nicht mehr geben“, sagt Waschatz. „Diese müssen wir entweder anstellen oder Werkverträge schließen.“ Letztere könnten seiner Meinung nach überall dort greifen, wo die Arbeitsergebnisse quantifizierbar sind. Arbeitszeithonorare hingegen wären ein Indiz für Scheinselbstständigkeit.

Planungssicherheit eingefordert

Einige der Gruner-Freien springen von Objekt zu Objekt, verdingen sich mal ein paar Tage hier, haben einen festen Wochentag dort und helfen dann auch noch alle vier Wochen bei einem monatlichen Titel aus. Unter dem Strich sind diese Leute vollzeitbeschäftigt. Ihre Arbeitszeitmatrix stricken sie aber selbst zusammen. „Wie sollen wir das denn hinbekommen, wenn wir über die GmbH bei einem Titel fest angestellt sind“, will eine Layouterin wissen. Waschatz verspricht, dass solche Arbeitsweisen auch in Zukunft möglich sein sollen. „Wie genau, muss man individuell sehen. Wir werden Ihnen ein Angebot machen“, sagt Petzold. „Am Ende müssen Sie entscheiden, ob Sie es annehmen.“
Dafür, sagt eine Kollegin, müsse man jedoch wissen, ab wann man mit den Veränderungen rechnen muss: „Ich habe noch kein Angebot von meinem Chefredakteur. Im Gegenteil: Ich weiß nur, dass ich ab dem 1. April nicht mehr so arbeiten darf, wie jetzt.“
Sowohl Waschatz, als auch Petzold dementieren den ersten April als Datum der großen Umwälzung. „Es gibt keinen Stichtag“, sagt Waschatz.
Allerdings ist die Kollegin nicht die einzige, der dieses Datum genannt worden war: „Solche Aussagen entstehen doch nicht aus dem Nichts“, sagt eine andere. „Wir müssen aber planen. Wir müssen wissen, ob wir im April noch Einkommen haben, oder ob wir uns nach Alternativen umsehen müssen.“

Auf klare Angebote ihrer Chefredakteure werden die Freien wohl noch länger warten müssen. Laut Waschatz und Petzold erstellen die Redaktionsleiter jetzt ihre Konzepte und müssen sie dann von der Verlagsleitung genehmigen lassen – sowohl was den rechtlichen Rahmen, als auch, was die Kosten angeht. „Sie wissen ja, wie die wirtschaftliche Lage der Branche ist“, sagt Petzold. „Es ist mir klar, dass das für Sie eine beschissene Situation ist, aber so ist es.“
Die Freien befürchten, dass sie bei einer Festanstellung schlechter gestellt werden, als die Kolleg_innen, die schon länger angestellt sind. „Da wird in den Redaktionen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen“, sagt ein Freier, „das müssen wir verhindern.“
Eine der Hauptforderungen der Freien wird es deshalb sein, dass sie bei Anstellung nach Tarif bezahlt werden und dass ihre Berufsjahre als Freie bei der Eingruppierung berücksichtigt werden. Ihre wichtigste Forderung bleibt es aber, endlich konkret zu erfahren, wie es weitergeht. Sie wollen Druck machen.

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