„Wir haben uns Mühe gegeben, Pfeifen und Rasseln besorgt, viele Schilder gemalt und Flugblätter vorbereitet. Wir wollen ein Zeichen setzten, auch wenn wir Abstand halten müssen und nicht ganz so viele sein können“, erklärte CinemaxX-Gesamtbetriebsrätin Melanie Thielebein. Beschäftigte der großen Berliner Kinos demonstrierten am 15. Februar 2022 quasi am Rande des roten Berlinale-Teppichs für gerechte Löhne und gute Tarifverträge in deutschen Kinos.
Aktive bei CinemaxX Berlin hatten die Initiative ergriffen, ver.di lud ein zur coronagerechten Aktion am Potsdamer Platz, Kinobeschäftigte aus Berlin, Brandenburg und sogar Delegierte aus Hamburg, Hannover oder Freiburg kamen. Hintergrund der Proteste waren die Arbeitsbedingungen und die anlaufenden bundesweiten Tarifverhandlungen mit den Kinoketten-Betreibern. „Die Gelegenheit, Druck zu machen, ist günstig, wo die ‚Kino-Weltöffentlichkeit‘ mal wieder auf Berlin schaut. Wir wollten Forderungen aufmachen, uns aber auch unter Kolleginnen und Kollegen im Vorfeld der Betriebsratswahlen vernetzen und austauschen“, beschrieb die Gesamtbetriebsrätin die Motivation zur gewerkschaftlichen Aktion am Vorabend der Bären-Verleihung.
Der Branche gehe es nicht gut. Zwar seien 2021 wieder mehr Tickets verkauft worden als 2020. Doch im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 betrug der Besucherrückgang über 60 Prozent. Besonders die Lockdown-Schließungen waren schwer zu verkraften, es dauerte, bevor staatliche Hilfen kamen. „Da hatten wir es bei CinemaxX noch gut, wir hatten Kurzarbeit Null bis zum Ende und keine Probleme mit Kündigungswellen, doch von Beschäftigten aus UCI-Häusern oder von CineStar hat man ganz anderes gehört“, sagt Melanie Thielebein. Der aktuelle James Bond half und „Spiderman“ habe der Branche quasi das Weihnachtsgeschäft gerettet, doch 2G- und 2G+-Regelungen drückten erneut auf die Kinokassen. Die Fluktuation unter den Beschäftigten, darunter traditionsgemäß viele Student*innen, sei groß.
Faire Löhne sehen anders aus
Neben pandemiebedingt erschwerten Arbeitsbedingungen ist es vor allem die schlechte Bezahlung, die die Kinobeschäftigten umtreibt: „Der Stundenlohn in deutschen Kinos reicht nicht einmal aus, sich ein Berlinale-Ticket für 13 Euro zu kaufen. Den Servicekräften in den Filmtheatern fällt es zunehmend schwer, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren“, kritisierte ver.di-Tarifsekretärin Martha Richards. Die Einstiegsgehälter der Beschäftigten bewegten sich überwiegend auf dem Niveau des zurzeit geltenden Mindestlohns. Das sei gemessen an den Anforderungen und den Leistungen untragbar und würde die Beschäftigten nach jahrzehntelanger Arbeit in die Altersarmut treiben.
„Faire Löhne in den Lichtspielhäusern sehen anders aus, sie dürfen sich nicht am Mindestlohn orientieren. Mit Stundenlöhnen von 9,82 bis 10,50 Euro bereichern sich Kinokonzerne wie CinemaxX, CineStar, UCI und andere auf Kosten der Beschäftigten. Die haben aber ein Anrecht, von ihrem Fulltime-Job auch leben zu können“, so Richards. ver.di fordert in den laufenden Tarifrunden 12,50 Euro Einstiegslohn pro Stunde.
Ganz akut stellt sich das Problem auch in den Verhandlungen bei CinemaxX. Robert Franz, der dort in der ver.di-Verhandlungskommission sitzt, beschreibt es so: „Bei uns gibt es keine Gutverdiener, wir bekommen Kurzarbeit und Inflation mehr als deutlich zu spüren.“ Es höre sich wie eine gewaltige Steigerung an, wenn ein Einstiegslohn von jetzt 9,82 Euro auf ein kommendes Mindestlohn-Niveau von 12 Euro steigen sollte. „Doch was bleibt an Kaufkraft? Verhindert das Altersarmut?“ Er selbst sei das beste Beispiel für das Dilemma: „Ich arbeite seit 20 Jahren in Vollzeit im Kino. Kürzlich bekam ich eine Rentenauskunft von etwas über 800 Euro. Ich werde arbeiten müssen bis zur Bahre…“
Forderung: Leistungen wertschätzen
„De facto Tarifflucht durch die Hintertür“ ist für Franz das, was die Arbeitgeberseite bisher in den Verhandlungen angeboten hat. Das sagte er auch auf der Kundgebung: Geboten werde bei CinemaxX bislang ein Einstiegsgehalt von 12 Euro, marginale Steigerungen in nur zwei Lohnstufen, gepaart mit einer sehr langen Laufzeit. „Wir sitzen am 22. Februar wieder am Verhandlungstisch und werden sehr klar sagen, dass wir meilenweit auseinander sind und das nicht hinnehmen wollen“, ist sich das Tarifkommissionsmitglied sicher. Und verweist auf Arbeitsverdichtung und die Tatsache, dass Kinoarbeitgeber das zumeist hohe Bildungsniveau ihrer studentischen und sonstigen Beschäftigten nicht wertschätzen. Die ver.di-Forderungen sehen einen Einstieg bei zumindest 12,50 Euro vor und wollen eine zusätzliche Gehaltsstufe nach Betriebszugehörigkeit einziehen. „Mindestlohnniveau für langjährige Beschäftigte, die die ‚Seele der Häuser‘ bilden, das ist ein Schlag flach ins Gesicht und demontiert Lebensleistungen“, so Robert Franz.
Ein „Gutes Leben“ mit der Teilhabe an Kultur, Kommunikation und guter Gesundheits- und Altersvorsorge zu führen, forderten die Demoteilnehmer*innen nahe dem Potsdamer Platz auch auf ihren selbst geschriebenen Transparenten. Egal ob als Minijob oder in Vollzeit ausgeübt, allein die Inflationsrate und der Berliner Wohnungsmarkt würden die Mindestlohnangebote der Arbeitgeberseite bereits auffressen. „Läuft. Nur mit uns“ ist das ver.di-Motto für die Tarifverhandlungen. Viele Passanten wurden mit Informationen und Flugblättern versorgt, es kam zu angeregten Gesprächen auch mit internationalen Berlinale-Gästen, Resonanz blieb nicht aus…
Zum Thema siehe auch hier auf der ver.di-Webseite.