Kempten fördert Kreative fair

Im Kulturentwicklungsprozess der Stadt Kempten wurde hier bei einem Workshop mit Kreativen aus der Freien Szene über Kulturnetzwerke, einen Kulturbeirat und die kulturpolitischen Rahmenbedingungen debattiert. Foto: Stadt Kempten

Ein reichliches Jahr liegt es jetzt vor, das ver.di-Modell zu Basishonoraren für Kreative. Eine Partnerin im Bemühen um existenzsicherndes Arbeiten für Kreative im Kulturbereich und Autor*innen hat ver.di in der Stadt Kempten im Allgäu gefunden. Dort ist faire Kulturförderung ein beschlossenes Ziel, für das es zusätzliche Mittel gibt. In einen breiten kommunalen Kulturentwicklungsprozess sind auch die Soloselbstständigen selbst einbezogen. 

Das ver.di-Modell für Basishonorare soll möglichst fest in der Kulturförderung verankert werden. Es definiert Untergrenzen für Honorare soloselbstständiger Künstler*innen oder Publizist*innen und soll beitragen, ihre Arbeit fairer zu vergüten. Auch ver.di-Vorsitzender Frank Werneke erinnerte kürzlich daran, dass Kultur zu großen Teilen aus Steuergeldern finanziert wird. Kulturförderung sei „die größte Einkommensquelle“ von freien Künstler*innen und Kulturschaffenden. „Der öffentlichen Hand kommt bei der Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Kulturschaffenden ganz klar eine besondere Verantwortung zu.“

Starkes kulturpolitisches Zeichen

Die Stadt Kempten im Allgäu hat sich faire Kulturförderung schon länger auf die Fahnen geschrieben. „Wir haben inzwischen einen zweijährigen Kulturentwicklungsprozess hinter uns, den wir bewusst partizipativ gestaltet haben“, erklärt Sabine Modzel-Hoffmann, Leiterin der Abteilung Kulturmanagement im dortigen Kulturamt. Seit mehr als einem Jahr bringt sich auch ver.di aktiv ein und hat der Stadt Kempten vorgeschlagen, eine freiwillige Selbstverpflichtung zu fairer Honorierung zu übernehmen. Kempten bot sich für ver.di als Partnerin an, „weil es dort einen Stadtrat gibt, der die Bedeutung von Kultur für die Stadt erkennt und wertschätzt, und ein Kulturamt, das die Perspektive der Kulturarbeiter*innen mitdenkt“, so Lisa Mangold, Bereichsleiterin Kunst und Kultur in ver.di: „Wir haben das Modell der ver.di-Basishonorare von Beginn an dreigleisig gedacht: Wir wollen, dass es in der Bundeskulturförderung sowie auf Ebene der Bundesländer angewandt wird und dass es auch die Kommunen umsetzen.“ Faire Honorare nach dem ver.di-Modell sind nun Bestandteil eines Kemptner Grundsatzbeschlusses zur dauerhaften und strukturierten Kulturförderung. Richtlinien für eine nachhaltige Förderung sind seit diesem Frühjahr in Kraft. Dafür steht ein fester Etat von 300.000 Euro jährlich bereit – 50.000 mehr als zuvor. Angesichts laufender Haushaltskonsolidierung sei das ein „starkes kulturpolitisches Zeichen“, so Modzel-Hoffmann.

Professionalisierung der Kreativen

Im Sommer gestalteten das Kemptner Kulturamt mit ver.di gemeinsam zwei Workshops, die sich an Kreative aus der freien Szene sowie an Mitarbeiter*innen der Kulturverwaltung richteten. „Wir hatten Akteure aus möglichst vielen Sparten dabei. Es waren Tanz und Theater vertreten, bildende Kunst, Musik, Kulturmanagement und – für uns ein wichtiges Thema – auch die freien Museumspädagog*innen und Gästeführer*innen“, so die Kulturamts-Abteilungsleiterin, die selbst ver.di-Mitglied ist. „Endlich einmal ernsthaft über die Honorare zu sprechen“ sei von allen einhellig begrüßt worden. Als schwieriger erweise sich dagegen, das Modell auf die eigene Arbeitsrealität zu übertragen. „Wir bewegen uns ja in einem etablierten System der Selbstausbeutung. Faire Honorare sind für viele bislang kein Teil ihrer Berufsausübung“, so Modzel-Hoffmann. Erst als man begonnen habe, genauer aufzusplitten, was alles zur Arbeitszeit zähle – „eben nicht nur die Zeit auf der Bühne oder im Atelier, es gehören auch Recherchen, konzeptionelles Arbeiten, Proben und Organisation dazu“ – sei das Modell für viele fassbarer geworden, meint Mangold. Sie sei sicher, „wenn Kolleg*innen anfangen, ihre Arbeitszeit reell zu berechnen und solche Kalkulationen in der Projektförderung geltend machen, dann wird das unweigerlich zu einer Professionalisierung der Szene beitragen“. In der Kemptener Kulturverwaltung arbeite man daran, das faire Fördermodell auf weitere Bereiche auszuweiten. ver.di, so Mangold, werbe für derartige Partnerschaften und hoffe, dass auch „andere Kommunen sich ein Vorbild an Kempten nehmen und ebenfalls eine Stadt mit fairer Kulturförderung werden wollen“.


Auch die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern führt die fairen Basishonorare ein. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sieht in der Einführung einen wichtigen Schritt hin zu einer fairen und sachgerechten Entlohnung von selbstständigen Kreativen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Die Mutigen 56

Hin und wieder ist es gar nicht verkehrt, sich bewusst zu machen, wie gut es uns in vielerlei Hinsicht geht. Jedenfalls gemessen an anderen Zeiten. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich erscheint, musste erst erkämpft werden, zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; davon erzählt das sehenswerte Dokudrama „Die Mutigen 56 – Deutschlands längster Streik“.
mehr »

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »