dju-Umfrage: Immer mehr nichtjournalistische Arbeit für Tageszeitungsredakteure
JournalistInnen bei Tageszeitungen müssen zunehmend fachfremde Aufgaben erledigen, immer mehr Überstunden leisten und haben kaum noch Zeit für Recherche und Weiterbildung. Der immense Spardruck in den Tageszeitungsverlagen lastet auf den Redaktionen und schlägt auf die Qualität der Zeitungen durch. Das hat eine Umfrage bei mehr als 300 Redakteurinnen und Redakteuren in regionalen und überregionalen Tageszeitungen ergeben, die die dju in Auftrag gegeben hat, um ihre Tarifforderungen zu untermauern.
In den letzten zwei Jahren wurden in Deutschland 1 000 Redakteursstellen abgebaut. Die dju-Umfrage ergab, dass jeder Zweite in seiner Redaktion in jüngster Zeit einen Stellenabbau erlebt hat, im Verlagshaus insgesamt sogar 72 Prozent.
Auf freie Kollegen wird aber nur in knapp einem Drittel der Fälle verstärkt zurückgegriffen. Die Mehrarbeit übernehmen die Redakteure.
Sie sind durchaus bereit, trotz des Personalmangels und des Aktualitätsdruckes die Qualität ihres Produktes aufrechtzuerhalten. „Mein Qualitätsanspruch zwingt mich zu Überstunden“, stellt ein Befragter fest. Überstunden sind mittlerweile an der Tagesordnung, und die tariflich vereinbarte 36,5-Stunden-Woche ist faktisch ausgehebelt: Neun von zehn Redakteuren leisten regelmäßig Überstunden. Bei 88 Prozent der Befragten sind es bis zu fünf Überstunden in der Woche, bei jedem sechsten sogar zehn oder mehr. Beim Ausgleich dafür zeigt die dju-Studie weitere Probleme: Entweder werden Überstunden gar nicht kompensiert, wie bei 38 Prozent der Befragten, oder sie werden in Freizeit abgebummelt (39 Prozent). Und das geht zu Lasten derer, die dann arbeiten. „Richtig rund läuft der Laden nur, wenn alle da sind“, so ein Befragter. Aber wann ist das noch der Fall?
Vermutlich liegt die effektive Wochenarbeitszeit und die tatsächliche Zahl der Überstunden noch deutlich höher, denn es gibt in drei Vierteln der Redaktionen keine systematische Zeiterfassung, obwohl sich die Beschäftigten dies wünschen. Zudem denken 28 Prozent der Befragten, dass die Verlagsleitung Überstunden als Sparmaßnahme einkalkuliert – neben dem Abbau von Gehalt und Zulagen, wie 35 Prozent der Befragten angaben.
„Das Bestreben, ein gutes Blatt zu machen, lässt sich in 40 Stunden nicht einlösen“, schreibt ein Befragter. Die meisten Redakteure versuchen, „dem Verlust an Seriosität und der zunehmenden Oberflächlichkeit entgegenzuwirken“. Freilich wird das immer schwieriger. Neun von zehn Redakteuren müssen heute zusätzlich nicht originär journalistische Arbeiten verrichten. Dazu gehören vor allem Satz und Layout, zusätzliches Fotografieren und Arbeiten für das Online-Angebot ihrer Zeitung. Dass ihnen das von der Chefetage oft als „journalistische Herausforderung“ angepriesen wird, mag kaum einen Redakteur oder eine Redakteurin trösten.
Die Hälfte der Befragten gab auch an, dass sie bei Leseraktionen mitarbeiten, Marketing-Aufgaben übernehmen (31 Prozent) und andere berufsfremde Aufgaben wie Sekretariatsarbeiten erledigen müssen (22 Prozent). Nur sieben Prozent können sich voll und ganz ihrer journalistischen Arbeit widmen. Durchschnittlich muss jeder Befragte fast drei zusätzliche Aufgaben übernehmen. „Hier muss man Allround-Talent sein“, so ein Befragter. Und ein anderer prägte das Wort vom „Redaktroniker“.
Bei so großer Belastung und Arbeitsverdichtung darf es nicht verwundern, wenn die Qualität der Zeitungen nachlässt. Das stellten 81 Prozent der Befragten fest, und zwei Drittel machten einen Qualitätsverlust der eigenen Arbeit aus. Es sind meist die jüngeren Kollegen, die das feststellen. Das Argument, vor allem die Älteren mäkelten nur nach dem Motto „Früher war alles besser“, dürfte damit entkräftet sein.
Die Gründe für den Qualitätsverlust, der vor allem in den (über-)regionalen Tageszeitungen und weniger in den Lokalzeitungen festgestellt wird, reichen von Zeitmangel, schlechterem Agenturmaterial bis zu mangelhaften Texten von Freien. Außerdem berichtet ein Drittel der Befragten, die Inhalte der Artikel müssten zunehmend an den Anzeigenkunden ausgerichtet werden oder es würden gleich PR-Texte in Kombination mit Anzeigen ins Blatt gehoben (drei Prozent). Hier deutet sich offenbar ein problematischer Trend an: 13 Prozent der Befragten gaben an, sie nähmen bereits selbst PR-Texte weitgehend unredigiert ins Blatt. Das geschieht umso häufiger, je niedriger die Auflage der Zeitung ist. Die Abhängigkeit von den Anzeigenkunden kommt hier voll zum Tragen.
Das, was den Journalismus ausmacht, das Nachhaken, das Querdenken, das Entdecken von Themen, findet immer weniger Raum in der täglichen Arbeit. Das gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an. Einer bringt es auf den Punkt: „Immer weniger Recherche, immer weniger Themen, stets die gleichen Stereotypen.“
Bei dem sich drastisch verändernden Berufsbild ist Weiterbildung dringend geboten. Doch angesichts der steigenden Arbeitsverdichtung bleibt dafür kaum mehr Zeit, wie 70 Prozent der Befragten bestätigen. Weiterbildung hänge von „der Gnade des Chefs“ ab, heißt es da, und ein Befragter hörte auf seinen Wunsch nach Weiterbildung die lapidare Antwort: „Das kann man doch im Urlaub machen.“