Netflix beteiligt Kreative deutscher Filmproduktionen

Weitere Gemeinsame Vergütungsregeln mit ver.di und BFFS vereinbart

Für die Filmschaffenden in Deutschland gibt es etwas zu feiern. In Verhandlungen zwischen Netflix, dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) konnte ein großer Fortschritt erreicht werden: Für alle von Netflix vollfinanzierten deutschen Filmproduktionen gelten nun Gemeinsame Vergütungsregeln (GVR), die alle Kreativen am Erfolg der Netflix-Filme beteiligen. Bereits 2020 hatten sich die Verhandlungspartner auf Gemeinsame Vergütungsregeln geeinigt – die ersten überhaupt mit einem Streaminganbieter in Deutschland. Von diesen profitierten zunächst jedoch nur die Kreativen, die Serien mit produziert hatten.

Welche Vorteile die neuen GVR für Filmschaffende mit sich bringen und was dies für die Zukunft von Produktionen für Netflix in Deutschland bedeutet, beantworten ver.di-Tarifsekretär Matthias von Fintel und Netflix Senior Counsel Rachel C. Schumacher.

Wie verliefen die Verhandlungen?

Matthias von Fintel (MvF) | Die Verhandlungsatmosphäre war straight, fordernd, aber sehr schnell auf Ergebnisse abzielend, stellenweise mussten wir auch an dauerhaftem Dissens festhalten. Aber wir haben auch diesmal nicht das gemeinsame Ziel einer entwickelten Vertragspartnerschaft aus dem Auge verloren: Für die deutschen Filmschaffenden sollen Netflix-Produktionen ein gutes Einkommen und Zusatzvergütungen bieten.

Rachel C. Schumacher, Netflix Foto: privat

Rachel C. Schumacher (RS) | In den Monaten unserer ersten Verhandlungen mit allen Partnern im Bereich Serien haben wir immer betont, dass wir eine langfristige Partnerschaft eingehen wollen. Ich denke, wir konnten viel gegenseitiges Vertrauen aufbauen, und das hat es uns ermöglicht, uns jetzt auch im Hinblick auf Spielfilme relativ schnell zu einigen. Obwohl wir auf verschiedenen Seiten des Tisches sitzen, verstehen wir die Position der anderen und vertrauen uns gegenseitig. Das ist das Allerwichtigste.

Was unterscheidet die neuen Gemeinsamen Vergütungsregeln von jenen, die in 2020 für Serienproduktionen vereinbart wurden?

MvF | Bei Filmen wird von Netflix zur Zeit noch eine Spanne zwischen Debutfilmen und hochbudgetierten auf den internationalen Markt abzielenden Produktionen angestrebt. Ein hochbudgetierter Film mit deutlich kürzerer Spielzeit benötigt dann mehr Nutzungen, um auch in die wirtschaftliche Erfolgszone zu gelangen, die zur Zusatzvergütung für Filmschaffende führt. Bei Serien konnten wir dies noch ganz einheitlich halten, weil die Spanne bei den Budgets nicht so weit ist.

RS | Die Grundlage ist dieselbe: Der relevante Faktor ist die Anzahl der sogenannten Completer, das heißt, die Anzahl der Netflix-Accounts, die mehr als 90 Prozent der jeweiligen Produktion gesehen haben. Für uns war es wichtig, die gleiche wirtschaftliche Logik beizubehalten. Da Filme und Serien jedoch unterschiedlich sind, haben wir eine Unterscheidung auf der Grundlage des Budgets vorgenommen. Es gibt drei Budgetgrößen: unter 5 Mio., zwischen 5 und 12,5 Mio. und über 12,5 Mio. Euro. Die meisten anderen Elemente sind identisch: Die Zahlungen, die bei Erreichen einer bestimmten Richtgröße geleistet werden, gehen an alle Begünstigten, das heißt an alle Kreativen mit Ausnahme der Drehbuchautor*innen, Musikautor*innen und -interpret*innen, die ja Urheber*innen von vor der Filmproduktion bestehenden Werken sind.

Ab welchen Zugriffszahlen profitieren die Kreativen von der neuen Zusatzvergütung?

RS | Der anfängliche Schwellenwert ist unterschiedlich, er ist abhängig vom Budgetvolumen: von 10 Mio. Completern (niedriges Budget) über 30 Mio. Completer (mittleres Budget) bis hin zu 50 Mio. (hohes Budget). Danach werden Zahlungen mit jedem Erreichen von weiteren 10 Mio. Completern geleistet. Auch die Zahlungen, die bei Erreichen der einzelnen Schwellenwerte ausgelöst werden, unterscheiden sich: 100.000 Euro für Low-Budget-Filme und jeweils 250.000 Euro für Mid- und High-Budget-Filme in den ersten fünf Jahren. Danach betragen die Zahlungen 70.000 bzw. 175.000 Euro pro erreichter Schwelle.

Matthias von Fintel Foto: privat

MvF | Wichtig ist: Über den längeren Zeitraum von fünf Jahren wird auch bei deutlich weniger Nutzungen eine Zusatzvergütung gezahlt, die sich anteilig berechnet. Jede Nutzung zählt sozusagen und zahlt sich für Filmschaffende aus.

Wie kann man sich die Zusatzvergütung konkret anhand eines Beispiels vorstellen?

RS | Nehmen wir als Beispiel einen fiktiven Film und nehmen wir weiter an, dass das Budget 7 Mio. Euro beträgt und der Film im ersten 5-Jahres-Zeitraum 30 Mio. Completer und im zweiten 5-Jahres-Zeitraum 5 Mio. Completer erreicht – in diesem Fall würde die Zahlung 337.500 Euro (250.000 Euro plus 175.000 x 50% = 87.500 Euro) betragen, die an alle Begünstigten gehen.

MvF | Wir haben konkrete Fälle aus der Vergangenheit bei Netflix-Serien, bei denen für einzelne Teammitglieder und Schauspieler*innen niedrige bis hohe fünfstellige Zusatzvergütungen gezahlt worden sind. Vorausgesetzt deutsche Netflix-Filme starten international durch, würde es sich genauso nach den neuen GVR ergeben. Wichtig ist uns, dass die etwa 80 Kreativen, die eine Serien- oder Filmproduktion künstlerisch prägen, auch Zusatzvergütungen erhalten und nicht nur wenige, die auf den vorderen Plätzen der Credits stehen. Ein sich jetzt schon erfolgreich zeigender erster Film ist Blood Red Sky, der ganz bestimmt zu Zusatzvergütungen führen wird.

Eine Neuerung stellt die Regelung für die betriebliche Altersvorsorge durch Netflix dar. Was motiviert Sie zu diesem Engagement? Wie funktioniert diese?

RS | Für Netflix ist es wichtig, den Bedürfnissen und Interessen der Filmschaffenden Rechnung zu tragen. Und natürlich ist die Sicherung der Altersversorgung ein wichtiges Thema für Kreativschaffende. Daher ist Netflix gerne bereit, seinen Teil dazu beizutragen und den Produzent*innen, die sich zur Zahlung der Pensionskassenbeiträge verpflichten, diese zu erstatten und damit die Filmschaffenden zu unterstützen.

MvF | Hier zeigt sich die gefestigte Vertragspartnerschaft zwischen ver.di, BFFS und Netflix. Wir haben uns getraut, etwas Neues zu wagen, das ausschließlich den Filmschaffenden zu Gute kommt. In einem ersten Schritt wird den Produzent*innen, die ja unmittelbare Arbeitgeber der Filmschaffenden sind, ihre Zuschusszahlung auf die Pensionskassen-Beiträge durch Netflix erstattet. Bei TV-Produktionen für ARD und ZDF ist das Standard. Aber Privatsender oder Kinoproduzent*innen leisten diese Erstattung bisher nicht.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Vereinbarung sind die Förderung von Diversity und Inklusion. Wie soll dies konkret umgesetzt werden?

RS | Unser Netflix „Grow Creative“ entwickelt Strategien für die Talent- und Nachwuchsentwicklung und schaut dabei auch besonders auf Diversitäts- und Inklusionsaspekte. Wir streben lokale Partnerschaften an wie in Deutschland schon mit dem Mentoring-Programm für weibliche Filmschaffende „Into the Wild“.

MvF | In der deutschen Filmwirtschaft gibt es in Sachen Diversity und Gender-Fairness noch einigen Aufholbedarf, das belegen zahlreiche Untersuchungen. Bei Netflix-Produktionen ist erkennbar mehr real existierende Vielfalt auch auf dem Bildschirm zu sehen. Das ist gut so, kann aber immer noch besser werden. Die internationalen Standards von Netflix sollen auch bei hiesigen Produktionen durchgesetzt werden, das kommt vielen Filmschaffenden zu Gute, die sonst an den Rand gedrängt oder benachteiligt werden. Darüber hinaus engagiert sich Netflix finanziell in der von BFFS und ver.di mitgegründeten Themis Anlauf- und Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt.

Wie wichtig sind der deutsche Markt und die deutsche Kreativszene für Netflix?

RS | Als Reed Hastings im letzten Sommer ankündigte, dass Netflix in den nächsten Jahren mehr als 500 Millionen Euro in deutschsprachige Inhalte investieren wird, hat das meiner Meinung nach die Bedeutung des deutschen Marktes sehr deutlich unterstrichen. Einige der größten Erfolge unseres globalen Service kommen aus Deutschland, von deutschen Produktionsfirmen und deutschen Kreativen. Wir schätzen unsere kreativen Partner*innen hier sehr.

Werden ähnliche Vereinbarungen in Zukunft auch mit anderen Streamingdiensten möglich?

MvF | Ich kann nur sagen, dass wir uns darum bemühen. Wie ähnlich diese Vereinbarungen sein werden, oder ob es sie am Ende dann doch nicht geben wird, wenn sie sich nicht mit dem Erreichten bei Netflix messen lassen können, werden wir intern beurteilen müssen.

Der Wettbewerb im VOD-Markt wird immer intensiver. Immer mehr Dienste kommen auf den Markt. Welche Rolle spielen Arbeitsbedingungen in diesem Wettbewerb?

RS | Dieser zunehmende Wettbewerb ist für uns stetiger Antrieb, immer noch besser zu werden. Er bedeutet aber auch, dass wir mit anderen um die besten Geschichten, die besten Talente und die besten Arbeitskräfte konkurrieren. Wir wollen, dass Urheber*innen und darstellende Künstler*innen am liebsten mit Netflix arbeiten. Es gibt sicher viele Gründe, warum Filmschaffende mit uns arbeiten wollen, sei es die künstlerische Freiheit, mit der sie ihre Visionen realisieren können, oder die internationale Reichweite – aber es ist eben auch der Umstand, dass sie sich auf faire und angemessene Arbeitsbedingungen und Vergütungen verlassen können. Wir denken, dass auch diese neue Vereinbarung dafür ein klares Zeichen ist.

MvF | Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung spielen eine Rolle im Recruiting für die Projekte, natürlich neben den künstlerisch überzeugenden Konzepten. Wir haben derzeit einen Arbeitnehmermarkt. Nicht selten müssen Projekte warten, bis sie dringend benötigte Filmschaffende auf bestimmten Positionen auch tatsächlich anwerben können. Der viel beklagte Fachkräftemangel ist aktuell in Filmproduktionen deutlich erkennbar.

 

 

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