Nicht für jeden Preis

Gesetzlicher Anspruch auf angemessene Honorare bleibt schwer durchsetzbar

40.000 Euro sprach das Landgericht Düsseldorf einem freien Journalisten von der „Westdeutschen Zeitung“ zu; der Verlag des „Bonner General-Anzeigers“ wurde vom Bundesgerichtshof verpflichtet, zwei Freien fast 23.000 Euro Honorar samt Zinsen nachzuzahlen; das Oberlandesgericht Karls­ruhe verurteilte die „Pforzheimer Zeitung“ zur Nachzahlung von 47.200 Euro an einen freien Journalisten; 79.000 Euro Nachvergütung durch die Funke-Mediengruppe verschaffte das Oberlandesgericht Hamm schließlich einem freien Fotografen. Diese Fälle gingen in den vergangenen zwölf Monaten durch die Presse.

Die roten Punkte markieren alle gemeldeten Redaktionen, die die Vergütungsregeln nicht umsetzen

Seit 2010 gelten gemeinsame Vergütungsregeln für Textbeiträge in Tageszeitungen, seit 2013 auch für Zeitungsfotos. Sie wurden auf Basis des Urhebervertragsrechts von den Gewerkschaften mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger langwierig ausgehandelt und liefern Richtwerte für Mindesthonorare, die freien Journalist_innen gezahlt werden müssen. Seither klagen vereinzelt Freie und bekommen in der Regel Recht. An der Grundkonstellation hat das nichts geändert: Die meisten Zeitungsverlage missachten die Regeln und prellen Freie um beträchtliche Teile ihrer Vergütung. Obwohl „seit der Einführung des gesetzlich verankerten Anspruchs auf angemessene Vergütung” geraume Zeit vergangen sei, „haben sich jedenfalls teilweise die Erwartungen des Gesetzgebers nicht erfüllt”, heißt es selbst im Beamtendeutsch der Bundesregierung.

Aber Skandal macht das nicht: Von einem „perfekten Machtsystem samt Schweigekartell” sprechen Branchenkenner. Alles bleibe „unterhalb des Radars der Öffentlichkeit, weil die sogenannte ‚vierte Gewalt’ zwar Unrecht anderer anprangert, sich aber über eigenes Unrecht ausschweigt”, sagt der Tübinger freie Journalist und Fotograf Martin Schreier. Der Gewerkschafter weiß, wovon er spricht, denn auch er hat im April 2016 mit ver.di-Rechtsschutz vom „Reutlinger General-Anzeiger“ etliche Tausend Euro Nachzahlung erstritten. Für Honorare, die fast 20 Prozent unter den Vorgaben der Vergütungsregeln lagen. Bei Fotos fehlten durchschnittlich sogar 40 Prozent. Da sich Schreier bei dem gerichtlich protokollierten Vergleich nicht auf Verschwiegenheit verpflichten ließ, spricht er offen über seinen Fall. Er berichtet, dass Kolleg_innen in einer konzertierten Aktion zum Jahresende 2013 Rechnungen über zu gering bezahlte Honorare an den „Reutlinger General-Anzeiger“ stellten, dass der Zusammenhalt aber bröckelte, nachdem die Freien in Gesprächen verängstigt wurden. Auch ein ver.di-Schreiben an den Verleger Valdo Lehari, der zugleich Vorsitzender des Verbandes Südwestdeutscher Zeitungsverleger und Vizepräsident des Europäischen Zeitungsverlegerverbandes ist, blieb wirkungslos.

Danach klagte Schreier als einziger. Für ihn ist klar, dass der Verlag „keine Chance sah”, den Prozess zu gewinnen, die geforderte Honorarsumme sei nie infrage gestellt worden. „Unerträglich” finde er, dass Zeitungen „in einem Rechtsstaat wie dem unsrigen Recht und Gesetz umgehen können, ohne eine Strafe fürchten zu müssen” sagte er gegenüber carta.info (www.carta.info). Ihm dagegen geschah, was allen droht, die sich als David gegen Goliath erwehren: Seine journalistischen Aufträge sind weg. Wenigstens kann er als Fotograf Geld verdienen. Zugleich hat er einen Themen-Blog „Gemeinsame Vergütungsregeln” initiiert, um das Thema in der Öffentlichkeit zu halten. Er schrieb selbst einen ausführlichen Erfahrungsbericht, sprach mit allen Bundestagsabgeordneten in Tübingen und Reutlingen, um sie zu sensibilisieren und bei der Novelle des Urhebervertragsrechts im Sinne der Freien zu aktivieren. Er hat beim gewerkschaftlichen Rechtsschutz nachgebohrt und selbst recherchiert.

Ein Polterer ist er gewiss nicht, nur hartnäckig. Doch erweist sich das Vorhaben, bundesweit über vergleichbare Fälle zu informieren, Erfahrungen auszutauschen und so politisch mehr Druck aufzubauen, als schwierig, geradezu „frustrierend”. Zumindest könnte ein Verbandsklagerecht, so es Eingang in die aktuelle Urheberrechtsnovelle finden würde, einen Lösungsansatz bieten. Martin Schreier plädiert mehr noch für ein staatliches Aufsichts- und Überwachungsmodell ähnlich wie beim gesetzlichen Mindestlohn mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Auch gegen die kurze Verjährung von Honoraransprüchen nach drei oder vier Jahren wendet er sich, „die macht Klagen für viele Freie aus wirtschaftlicher Sicht sinnlos”. Dass gemeinsame Vergütungsregeln bisher nur für Text und Fotos in Tageszeitungen festgeschrieben wurden, sei unzureichend. „Im Interesse aller Freien müsste vielmehr eine Lösung gefunden werden, die für journalistische Arbeit generell und bundesweit gilt.” Eine Pflichtmitgliedschaft in einem Verlegerverband könnte unternehmerische Tarifflucht für Festangestellte ebenso verhindern helfen wie Honorardumping für Freie. Und zugleich solidarisieren. „Es bedarf mutiger Schritte”, meint Schreier und appelliert an Mitstreiter_innen. Erst recht, da die Situation in den Medien vielen als Modell für die Arbeitswelt von morgen gilt.


Links

Wer das Anliegen unterstützt oder bundesweit Fälle publik machen möchte, folge Martin Schreier auf:

https://verguetungsregeln.wordpress.com/

https://www.facebook.com/verguetungsregeln oder https://twitter.com/vrwpcom

Die gemeinsame Kampagne-Seite von dju in ver.di und DJV zu den Vergütungsregeln: www.faire-zeitungshonorare.de

Weitere Infos zum Urheberrecht: https://dju.verdi.de/freie/Urheberrecht

 

 

 

 

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