Am Abend des 29. Juni dürften in den Chefetagen der Zeitungsverlage die Sektkorken geknallt haben. Der Abschluss der Gehaltstarifrunde 2016 ist für die Verleger ja auch ein Grund zum Feiern. Und das in gleich mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist es ihnen gelungen, einen Abschluss durchzuverhandeln, bei dem unter dem Strich eine dicke Null vor dem Komma steht. Zum anderen haben sie es geschafft, die Kampfbereitschaft bei den Redakteur_innen auf Dauer zu schwächen, wenn nicht gar zu marginalisieren.
Denn Hand aufs Herz: Wer ist künftig noch bereit, für derart lausige Tarifabschlüsse auf die Straße zu gehen? Man kann es den Kolleg_innen nicht mal verdenken, wenn sie sich jetzt von ihren Gewerkschaftsfunktionär_innen verraten fühlen und bei künftigen Arbeitskämpfen an ihren Schreibtischen sitzen bleiben, statt mit rauszugehen.
Und wie haben diese Funktionär_innen von dju und DJV noch am Tag zuvor bei der Kundgebung in Ulm großspurig getönt. Kajo Döhring (DJV) und Ulrich Janßen (dju) gaben sich kämpferisch, sprachen davon, dass 4,5 Prozent beziehungsweise 5 Prozent ein Muss seien und forderten die Basis auf, alles für dieses Ziel zu geben. Die Basis gab alles, und zumindest im Süden war die Streikbereitschaft groß.
Doch dann tags darauf dieser miserable Abschluss, der nun auch noch als „akzeptabel“ schöngeredet wird. Gar nichts ist hier akzeptabel. Das Streikvolk wurde von Gewerkschaftsfunktionär_innen, die als Tiger sprangen und als Bettvorleger landeten, hinters Licht geführt. Der hier angerichtete Schaden ist immens. Es müssen dringend Veränderungen her, wenn wir in Zukunft zumindest noch den Hauch einer Chance haben wollen, einen Arbeitskampf erfolgreich zu Ende zu führen.
Als erstes braucht es von Anfang an erreichbare Ziele auf der Grundlage einer gründlichen Streikplanung. Phantasiezahlen nützen niemandem und sorgen am Ende nur für Enttäuschungen. Und dazu zählt auch, dass Hauptamtliche verstärkt vor Ort in den Betrieben präsent sein müssen, beispielsweise bei Betriebsversammlungen.
Zum zweiten ist eine bessere Kommunikation zwischen Streikvolk und Verhandlungsführung von Nöten. Wir Streikende sind schließlich keine Statisten, sondern Partner im Streik.
Was zudem dringend nötig ist, ist die Bereitschaft zur Konfrontation mit den Arbeitgebern. Warum wurde jetzt so mutlos agiert? In vielen Gesprächen während des Streiks haben mir Kolleg_innen versichert, dass sie dies von den Funktionär_innen erwarten und sich dafür auch selbst einbringen würden. Von einem Bröckeln der Streikfront habe ich bei allen Streikversammlungen in dieser Tarifrunde nichts gespürt. Im Gegenteil. Ich hatte den Eindruck, dass wir uns jetzt gerade erst so richtig warmlaufen.
Und es muss jetzt eine offene und ehrliche Diskussion geführt werden. Alles, was bei diesem Tarifkonflikt schiefgelaufen ist, muss angesprochen werden. Reden wir ohne Maulkorb. Diskutieren und streiten wir darüber, wie wir uns künftig erfolgreicher aufstellen können. Und reden wir beispielsweise auch mal darüber, ob man den Flächentarifvertrag auf Dauer als heilige Kuh ansieht, oder ob man nicht im Süden versucht, einen Pilotabschluss zu erzielen. Vielleicht schaffen wir es ja so, endlich mal nach Jahrzehnten des Reallohnverlustes wieder einen Tarifabschluss hinzukriegen, der den Namen „akzeptabel“ wirklich verdient. Und dass wir uns nicht wieder wie jetzt nur mit Selters zufrieden geben müssen, während bei den Verlegern die Sektkorken knallen.
Peter Bruker (58) ist Redakteur beim „Schwarzwälder Boten“, Oberndorf, und für das Ressort Kultur verantwortlich. Er ist seit Oktober 1981 Mitglied der Gewerkschaft.
M Online lädt zur Diskussion über das Tarifergebnis für Redakteur_innen an Tageszeitungen ein:
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