„Frankfurter Honorarliste“ – Gefälligkeitsgutachten für Verleger
„Deutsche Profi-Journalisten in Südostasien bearbeiten und formulieren ihre Rohtexte: Kompetent – individuell – zeilengenau. Und konkurrenzlos billig!“ So bot vor acht Jahren ein „European Asian Business Network“ seine Dienste an. „Konkurrenzlos billig, das stimmt“, kommentierte damals die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit und fragte rhetorisch: „Welcher Texter aus Berlin oder München könnte Honorare unterbieten, zu denen sein Konkurrent aus Thailand arbeitet? Eine Zeitungszeile unter Palmen kostet 30 Cent, eine Arbeitsstunde 15 Euro“.
Ginge es nach den Vorstellungen der Verleger in den neuen Bundesländern, so hätte das „üppige Leben“ freier Texter unter Palmen keine Zukunft. Denn zwischen Rostock und Zwickau werden freie Mitarbeiter durchaus mit Zeilensätzen abgespeist, die ein Überleben selbst in Bangkok erschweren würden. Das geht aus einer Honorarerhebung hervor, die die „Arbeitsstelle Vergütung“ im Forschungs- und Studienschwerpunkt Medienrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/ Oder zusammengestellt hat. Diese so genannte „Frankfurter Honorarliste“ ist – um das gleich vorauszuschicken – ein Skandal. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Skandalös ist die Liste zuallererst im Hinblick auf die Honorargepflogenheiten bei den 63 untersuchten Mantel- und Regionalausgaben. Das durchschnittliche Zeilenhonorar – bereinigt um Auflagenzahlen und Text – beträgt 30 Cent. Dabei variiert die Honorarspanne beträchtlich. Das niedrigste Honorar beträgt fünf Cent (!) pro Zeile, das höchste liegt bei 85 Cent – bei einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren. Die Honorarangaben stammen von den Verlagen selbst.
Ab einer Auflage von 200.00 Exemplaren (Mitteldeutsche Zeitung Halle, Zeitungsgruppe Thüringen, Freie Presse Chemnitz, Sächsische Zeitung, Leipziger Volkszeitung) wurden im Schnitt 47 Cent pro Zeile gezahlt. Bei den Blättern mit einer Auflage von 100.000 bis 200.000 Exemplaren (Magdeburger Volksstimme, Suhler Verlagsgruppe) betrug das durchschnittliche Zeilenhonorar 41 Cent. Bei Auflagen zwischen 50.000 und 100.000 fiel es auf 32 Cent, zwischen 10.000 und 50.000 auf 24 Cent, bei Blättern unterhalb einer Auflage von 10.000 Exemplaren auf durchschnittlich 13 Cent.
Wollte ein durchschnittlich bezahlter freier Mitarbeiter in Ostdeutschland auf 3.000 Euro brutto im Monat kommen, so wird in einem Blogbeitrag der „Freischreiber“ vorgerechnet, so müsste er in dieser Zeit 10.000 Druckzeilen liefern, also – bei 100 Druckzeilen pro Artikel – „etwa fünf Dreispalter je Arbeitstag“.
Nun sind seit dem 1. Februar 2010 die zwischen ver.di, DJV und Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger vereinbarten „Gemeinsamen Vergütungsregeln“ in Kraft. Diese setzen den nach §32 des Urhebergesetzes verbindlichen Maßstab für die Honorare, die Zeitungsverlage in Deutschland ihren freien Mitarbeitern auf Verlangen zahlen müssen. Nach diesen Vergütungsregeln werden aber für das Erstdruckrecht in einer Zeitung mit über 200.000 Auflage – je nach Textart – zwischen 91 und 165 Cent fällig. Das niedrigste Zeilengeld, das die Vergütungsregeln überhaupt zulassen, beträgt 38 Cent, für den Zweitdruck in einem Blatt unter 10.000 Auflage. Vergleicht man Ist- und Soll-Zustand in den neuen Ländern, so wird eines klar: Alle Tageszeitungen im Osten zahlen Honorare, die einer gerichtlichen Überprüfung auf Angemessenheit nicht standhalten würden.
Das sieht offenbar auch die Frankfurter „Arbeitsstelle Vergütung“ so. Und springt den Verlagen der betroffenen Blätter zur Seite. Es bestehe „die Gefahr“, heißt es in der Einleitung zu der im April publizierten Studie, „dass die Gerichte in den neuen Ländern die Gemeinsamen Vergütungsregeln bei Honorarauseinandersetzungen zwischen Verlagen und freien Mitarbeitern trotz der erheblichen Unterschiede der Marktverhältnisse in den neuen Ländern im Vergleich zu den alten Ländern als Ausgangspunkt für die richterliche Schadensschätzung zugrunde legen“.
Dass eine wissenschaftliche Einrichtung die Möglichkeit, angemessene Honorare für Freie auf klarer rechtlicher Grundlage durchzusetzen, als „Gefahr“ bezeichnet, ist schon disqualifizierend genug. Aber Professor Johannes Weberling, Leiter der „Arbeitsstelle Vergütung“, geht noch einen Schritt weiter. Nach seiner Logik gelten die Gemeinsamen Vergütungsregeln in den neuen Ländern gar nicht. Schließlich hätten die dortigen Verlegerverbände diese nicht unterschrieben. Zudem entsprächen die dort vereinbarten Honorare nicht der „tatsächlichen Branchenübung“. Sie würden mithin „die Tageszeitungsverlage in den neuen Ländern unvertretbar, da den Marktverhältnissen nicht entsprechend, wirtschaftlich belasten und dadurch das derzeit bestehende redaktionelle Angebot zum Schaden für alle gefährden“.
Tatsächliche Branchenübung? Das klingt ein wenig nach einer Lizenz zu kontinuierlichem Honorardumping. Und was das Beharren auf einer Art Notopfer Ost betrifft: Weder in der zwischen Verlegern und Journalisten unterschriebenen Vereinbarung noch im Urheberrechtsgesetz findet sich eine regionale Begrenzung. Zudem lassen sich derartige Hungerhonorare, wie sie im Osten der Republik gezahlt werden, kaum mit unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Ost und West rechtfertigen.
Darüber hinaus ergibt eine derartig interessengeleitete Unterscheidung zwischen ost- und westdeutschen Tageszeitungsverlagen ohnehin keinen Sinn, wie ver.di- Tarifexperte Matthias von Fintel zu Recht anmerkt: „Die Ostverlage sind nämlich Tochterunternehmen von Westverlagen und liefern zumeist positive Konzernergebnisse nach Westen ab.“
Wäre die „Frankfurter Honorarliste“ samt rechtlichem Beiwerk eine Publikation der „Arbeitsgemeinschaft der Verlagsjustiziare“, deren Vizevorsitzender Weberling ist, könnte man den Vorgang achselzuckend als reichlich durchsichtigen Lobbyismus abhaken. Aber das Siegel der Europa-Uni Viadrina sucht dem Ganzen ein wissenschaftliches Mäntelchen zu verleihen. Freiheit der Wissenschaft? Aber immer! Gefälligkeitsgutachten für Verleger? Schaden eher dem Ruf der Europa-Uni. Dass Advokat Weberling „meist die Seite von Tageszeitungen“ vertritt, hat sich mittlerweise schon bis zu Wikipedia herumgesprochen.
Den Freien aber, die tatsächlich für lumpige fünf Cent ihre Arbeitskraft verkaufen, sei einstweilen das Motto der vier Stadtmusikanten mitgegeben: Geht nach Bremen (oder auch nach Bangkok)! Etwas Besseres als den Tod werdet ihr allemal finden.