Streiken funktioniert auch unter Corona

Warnstreik und Kundgebung vor dem Berliner DW-Gebäude am 10. September 2020. Foto: Gabriele Senft

Bei der Deutschen Welle (DW) in Berlin sind gestern rund 300 Beschäftigte unter dem mehrsprachig plakatierten Motto „Good jobs, fair pay!“ in einen zweistündigen Warnstreik getreten. Auch knapp 200 Beschäftigte, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes im Homeoffice arbeiten, legten die Arbeit nieder. Heute folgte Bonn: Mehr als 120 trafen sich am Vormittag für zwei Stunden in einem virtuellen Streikraum.

Am 10. September musste die Deutsche Welle in Berlin wegen des Ausstandes von 12 bis 14 Uhr Programm aus der Konserve senden. Die englischen Nachrichtensendungen, das DW-Flaggschiff, fielen in dieser Zeit aus.

Stattdessen gab es Protest: „Das ist der Versuch, Festangestellte, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Auszubildende und Volontäre abzuhängen von der tariflichen Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und im öffentlichen Dienst. Die Wortbrüchigkeit der Deutschen Welle am Verhandlungstisch hat diesen ersten Streik in der Tarifrunde provoziert“, erklärte ver.di-Verhandlungsführerin Kathlen Eggerling bei der Kundgebung vor dem Sendergebäude in der Voltastraße.
Das deutsche Auslandsfernsehen sei finanziell besser ausgestattet als je zuvor. „Deshalb kann sich die Deutsche Welle einen guten Tarifabschluss leisten, der die Leistungen der Beschäftigten insbesondere während der Pandemie berücksichtigt.“ Eggerling kündigte weitere Streiks an, falls die Deutsche Welle nicht einlenke.

Die Aktion in Bonn folgte bereits am Freitagvormittag: Festangestellte, Volontär*innen, Auszubildende und freie Mitarbeiter*innen waren von 10 bis 12 Uhr zum Warnstreik aufgerufen. Mehr als 120 Beschäftigte versammelten sich in dieser Zeit in einem virtuellen Streikraum. Es gab Statements und Grußadressen. Debattiert wurde auch die jüngste Behauptung der Verwaltungsdirektorin, dass corona-bedingte Mehrausgaben den finanziellen Verhandlungsspielraum einschränkten.

Grund der Streiks ist das Scheitern der Tarifverhandlungen für die 1.700 Festangestellten und 4.000 freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der fünften Verhandlungsrunde. Nachdem die Deutsche Welle anfäglich 6,2 Prozent mehr Geld innerhalb einer Laufzeit von 33 Monaten angeboten hatte, nahm sie das in der vierten Verhandlungsrunde Anfang Juli zurück. Statt der vor dem Corona-Lockdown vereinbarten Eckpunkte will die Arbeitgeberseite wegen angeblicher Pandemiefolgen nur noch 3 Prozent Steigerung vereinbaren. Bei einer Laufzeit von fast drei Jahren wären das pro Jahr nur etwa 1 Prozent. Damit wären die Beschäftigten der DW von der positiven Lohnentwicklung im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft in den letzten Jahren abgekoppelt. Die Gewerkschaftsseite sah darin ein fatales Signal und erklärte die Verhandlungen am 17. August für gescheitert.

Die Beschäftigten machen geltend, dass sich die Arbeit zunehmend verdichte, während die Entgelte stagnieren. Durch die Social-Media-Strategie des Senders müssten immer mehr Ausspielwege gleichzeitig bedient werden. Die Steigerung der Reichweite werde von der DW stolz öffentlich präsentiert und von der Politik wohlwollend aufgenommen. Sie finde aber keinen Niederschlag in Ausgaben, die den festen und fest-freien Mitarbeiter*innen nennenswert zugutekommen. Zur tariflichen Politik der kurzen Leine gesellten sich Verschlechterungen in der Arbeitsumgebung, erklären die Gewerkschaften: Wegfall der Kantine, heruntergekommene Räume und Mangel an Technik fürs Homeoffice hätten die Stimmung insbesondere bei Kolleg*innen am Standort Berlin auf einen Nullpunkt sinken lassen.

Der akute Widerstand der Beschäftigten wurde zusätzlich durch Äußerungen von DW-Intendant Peter Limbourg befeuert. Er hatte den Warnstreikaufruf der Gewerkschaften als „schweren Fehler“ bezeichnet. Zu einem „Zeitpunkt, an dem Millionen Beschäftigte in Deutschland seit Monaten in Kurzarbeit sind und viele Kolleginnen und Kollegen in der Medienbranche um ihren Arbeitsplatz bangen müssen oder ihn bereits verloren haben“, seien Proteste „unverständlich und instinktlos“. Die Deutsche Welle biete sichere Arbeitsplätze, die Geschäftsführung sei „immer gesprächs- und kompromissbereit“, hatte er verkündet.

ver.di-Verhandlungsführerin Kathlen Eggerling konterte, die Gewerkschaften hätten in den Tarifverhandlungen viele Kompromissangebote gemacht, die alle abgelehnt wurden. „Einer Almosenverteilung können wir allerdings nicht zustimmen.“

Die Geschäftsleitung scheue neuerdings auch nicht vor Manipulation zurück, kritisiert Klaus Barm, Mitglied der gewerkschaftlichen Tarifkommission und des geschäftsführenden ver.di-Senderverbandsvorstandens. „Dass, wie in der englischsprachigen Ausgabe der Berliner Zeitung am 10.9. zu lesen, die Gewerkschaft ver.di die Tarifverhandlungen im Februar beendet habe, ist schlichtweg gelogen.“ Richtig sei vielmehr, dass ein Folgetermin auf Wunsch der Arbeitgeberseite auf Ende März verschoben wurde, der dann dem Covid-19-Lockdown zum Opfer fiel.

Bereits seit Ende August hatten Belegschaften mit Aktionen Druck auf die DIW-Geschäftsführung gemacht, zu den Vereinbarungen des Eckpunktepapiers zurückzukehren, Gehälter und Honorare spürbar zu erhöhen. Zu den jüngsten Aktionen gab es Unterstützung aus anderen Sendeanstalten wie NDR oder Saarländischer Rundfunk sowie von UNI, der europäischen Mediendachroganisation.

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