Dank der bislang größten Streikbewegung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurden pünktlich zu Weihnachten in mehreren ARD-Sendern Tarifabschlüsse erreicht, die sich sehen lassen können. Nach NDR, SWR, MDR, RB und RBB hat man sich am 16. Dezember auch noch im WDR geeinigt. Dem vorangegangen war ein letzter großer Kraftakt der streikenden Beschäftigten, der erneut für zahlreiche Programmstörungen, unter anderem beim ARD-Morgenmagazin, gesorgt hat.
Unzählige Streiktage und mehrere bundesweite Streiks und Aktionen in zahlreichen ARD-Sendern haben große Wirkung gezeigt. Anders als in vorigen Tarifrunden hat der enorme Einsatz vieler Beschäftigter diesmal zu Tarifergebnissen geführt, die Grund zum Feiern geben. Eine Abkoppelung von der Tarifentwicklung im Öffentlichen Dienst konnte verhindert werden. Und es wurde die Brücke überschritten, die ver.di den ARD-Senderleitungen in einem zentralen Sondierungsgespräch am 25. Oktober gebaut hatte.
NDR setzt Maßstäbe
Vorgelegt hatte Ende November ver.di im NDR. Nach einem letzten zweitägigen Streik am 14. und 15. November, der erstmals auch Auswirkungen auf das ARD-Nachrichtenflaggschiff „Tagesschau“ hatte, wurden dort der Durchbruch sowie die Rücknahme der Gegenforderungen des NDR erreicht. „Die Arbeitgeber konnten ihr ursprünglich gesetztes Ziel, uns von der Einkommensentwicklung im Öffentlichen Dienst dauerhaft abzukoppeln, nicht durchsetzen“, erklärte ver.di im NDR in seiner Tarifinformation zum erreichten Abschluss. „Sie haben zuletzt auch am Verhandlungstisch erklärt, davon abzusehen. Wir werden aber weiterhin wachsam bleiben. In der Tarifrunde haben wir mit viel gegenseitigem Vertrauen in unsere Kraft und in unsere Solidarität erreicht, dass Einkommen, Entlastung und Zukunft gesichert sind.“
Bei einer Laufzeit von 36 Monaten konnten insgesamt 6,75 Prozent Gehaltssteigerung für Festangestellte und 6,75 Prozent Honorarerhöhung sowie eine Einmalzahlung von 1.300 Euro für Freie, die 2019 im NDR Urlaubsentgelt in Anspruch nehmen, erreicht werden. Für beide Beschäftigtengruppen gibt es außerdem mehr Urlaub sowie eine größere Beschäftigungssicherheit durch den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und längere Rahmenvertragszeiten.
„Mit unserem Tarifabschluss im NDR haben wir die von den Arbeitgebern angestrebte Abkoppelung von der Tarifentwicklung im Öffentlichen Dienst verhindert. Neben der linearen Erhöhung gibt es mehr Freizeit. Das Thema ‚Zeit statt Geld‘ ist, wegen der zunehmenden Arbeitsverdichtung für viele Beschäftigte in den Sendern besonders wichtig, wie uns viele hundert positive Rückmeldungen der Kolleg*innen zeigen“, schätzt Bernd Kittendorf vom ver.di-Senderverband des NDR ein. „Das Alles war nur erreichbar durch unsere bundesweit gemeinsam abgestimmten und organisierten Streikaktivitäten, an denen sich Tausende solidarisch beteiligt haben. Streik wirkt.“
Weitere Details zum NDR-Abschluss gibt es hier.
ver.di in der ARD zeigt sich solidarisch
Beim SWR hatte es bereits Anfang November und damit vor dem NDR ein einigungsfähiges und von den dortigen ver.di-Mitgliedern akzeptiertes Angebot gegeben. Möglich geworden war das auch dank des ersten Warnstreiks in der Geschichte des Senders, an denen sich hunderte Beschäftigte beteiligt und für zahlreiche Programmstörungen gesorgt hatten. Dennoch hatte sich der Bundestarifausschuss öffentlich-rechtlicher Rundfunk von ver.di, der aus ehrenamtlichen Delegierten der ver.di-Senderverbände in den ARD-Anstalten, des ZDF und des Deutschlandradio besteht, darauf geeinigt, dieses Angebot aus Solidarität mit den anderen ARD-Sendern zunächst nicht anzunehmen und noch abzuwarten. Ziel war es, anderswo möglicherweise noch besseren Ergebnissen den Weg zu ebnen. Dieses Kalkül ist aufgegangen.
Nicht nur im NDR, auch bei MDR, RBB und RB konnten im November und Dezember Tarifergebnisse erreicht werden, die dem im Öffentlichen Dienst sehr nahe kommen, zum Teil allerdings noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Gremien stehen.
So konnten beim SWR lineare Erhöhungen von insgesamt 6,2 Prozent über 33 Monate vereinbart werden. Für die vergangenen Monate seit April gibt es Einmalzahlungen gestaffelt nach Vergütungsgruppen zwischen 800 und 1800 Euro. Alle Freien erhalten 980 Euro, die Azubis 480 Euro. Weitere Verbesserungen betreffen unter anderem Urlaub, „Pflegetage“ und das von Sender finanzierte Jobticket. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende2024 ausgeschlossen.
Ebenfalls 33 Monate Laufzeit sieht das Eckpunktepapier beim MDR vor. Feste Mitarbeiter*innen erhalten bis zum Ende dieses Zeitraums insgesamt 6,2 Prozent mehr Gehalt und ab 2020 auch mehr Urlaubsgeld. Die Effektivhonorare der arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeiter*innen steigen entsprechend der Gehaltsfestlegungen stufenweise. Weitere Honorarleistungen werden im 12a Tarifvertrag (für arbeitnehmerähnliche Freie) den tariflichen Steigerungen angepasst. Auch der Urlaubsanspruch wird ab dem kommenden Jahr erhöht.
Bei Radio Bremen/Bremedia konnten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf ein Gesamtvolumen von 7,18 Prozent einigen. Darin können etwa Bestandteile wie die Erhöhung der Gehälter und Honorare in drei Stufen um insgesamt 6,2 Prozent, ein zusätzlicher Urlaubstag, Essensgeldzuschuss oder eine Erhöhung der monatlichen Zahlungen an AZUBIs in drei Stufen um insgesamt 150 Euro enthalten sein. Die Laufzeit beträgt 33 Monate. Nun wird es noch separate Verhandlungen bei Radio Bremen und Bremedia über Einzelforderungen geben, wie z.B. die Verteilung der oben angeführten Bestandteile und/oder über eine neue Gehaltstabelle bei Bremedia.
Auch beim RBB sieht das Gesamtpaket über 36 Monate nicht nur 6,2 Prozent Tariferhöhungen vor, sondern auch verschiedene strukturelle Elemente vor, wie etwa einen Zuschuss des Arbeitgebers zu den Jobtickets, bei dem bis zuletzt um eine Erhöhung auf 30 Euro gerungen wurde.
„Habemus Tarifergebnis“ auch im WDR
Nach 13 Warnstreiktagen und einer sechs Monate andauernden, ungebrochen starken Streikbewegung stieg am 16. Dezember dann auch im WDR weißer Rauch auf. Arbeitgeber und Gewerkschaften konnten sich auf ein Eckpunktepapier einigen. Zuletzt hatten die Beschäftigten beim WDR und WDR Beitragsservice sowie bei Phoenix noch mal massiv mobilisiert und am 12. Dezember zum wiederholten Male den Sendebetrieb gestört. Unter anderem im vom WDR produzierten ARD-Morgenmagazin, dessen Beiträge teils aufgezeichnet waren oder aus Frankfurt gesendet wurden. „Auch die Sendung ‚Live nach neun‘ wurde durch die Arbeitsniederlegungen erheblich beeinträchtigt. Die Sendungen ‚Hier und heute‘, ‚Servicezeit‘ und ‚Frau TV‘ fielen aus“, teilte ver.di im WDR mit.
Der monatelange Einsatz zahlt sich nun aus. Und zwar rückwirkend zum 1. April 2019 jährlich 2,25 Prozent Gehaltserhöhungen bei einer Laufzeit von drei Jahren. Die Mindesthonorare steigen im nächsten Jahr um 4,5 Prozent und 2021 um weitere 2,25 Prozent. Festangestellte erhalten zudem 2019 eine Einmalzahlung von 900 Euro und 2020 von 300 Euro, Freie am 2. Januar 2020 900 Euro, im Juni 2020 600 Euro und am 1. April 2021 400 Euro.
David Jacobs, Vorsitzender des ver.di-Senderverbands beim WDR kommentiert: „Ohne die Ausdauer und Beharrlichkeit der vielen streikenden Kolleginnen und Kollegen wäre viel früher Schluss gewesen und das Ergebnis deutlich niedriger ausgefallen. Selbst Passive sprechen mich jetzt nach der Tarifrunde an und sagen, sie hätten es nicht für möglich gehalten, dass Streiks solch eine Wirkung entfalten. Denen kann ich nur sagen: Hätten wir noch mehr Mitglieder und sich noch mehr Kolleg*innen aktiv in der Tarifrunde gezeigt, wären wir schneller zu einem ordentlichen Ergebnis gekommen.“ Er ist überzeugt: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird ver.di als starke Gewerkschaft in der Zukunft noch mehr brauchen, um auch Gegenwind gegen die Politik und Druck auf die KEF zu organisieren. Mit unseren gleichzeitigen gemeinsamen Streiks bei mehreren Rundfunkanstalten konnten wir hier gute Erfahrungen sammeln.“
Andere Sender sollen nun nachziehen
Von den guten Ergebnissen erhoffen sich auch die anderen ARD-Sender und das Deutschlandradio, die noch mitten in den Verhandlungen stecken, sowie das ZDF und die Deutsche Welle, wo die Tarifrunde im Januar beginnt, starken Rückenwind. Doch schon jetzt ist klar: Noch nie haben sich so viele Beschäftigte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk über so lange Zeit so stark für ihre Forderungen gemacht. Und das mit so großem Erfolg und beträchtlichem Mitgliederzuwachs in den Sendern. Diese Tarifrunde dürfte deshalb schon jetzt in die Geschichte eingehen.