Tarife auf der Streichliste

Frankfurter Rundschau vor Zerlegung in Einzelteile

Die Frankfurter Rundschau war schon oft in der Krise. Doch jetzt steht erstmals die Einheit des Unternehmens auf dem Spiel. Die erste GmbH ist bereits gegründet. Das ist jedoch nur der Anfang eines groß angelegten Umbaus, an dessen Ende ein in Einzelteile zerlegtes Unternehmen stehen könnte, fürchten Betriebsrat und ver.di.

Neuerdings werden im Druckzentrum in Neu-Isenburg die Putzlappen gezählt, damit nicht etwa unbenutzte im Waschzuber landen. Farbkopien sollen, weil sie so teuer sind, möglichst nicht mehr anfallen. Und Langzeitkranke erhalten nicht mehr wie bisher sechs Monate lang ihren Lohn oder ihr Gehalt weiterbezahlt, sondern nur noch die gesetzlichen sechs Wochen. Die Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1967 mit der großzügigen Lohnfortzahlung wurde kürzlich gekündigt. Keine Frage: Das Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main ist wieder auf Sparkurs. Und das seit mehr als sieben Jahren.
Doch dieses Mal ist alles anders. Erstmals steht die Einheit des Unternehmens auf der Kippe. Dass Druck- und Verlagsbereich nicht voneinander getrennt werden dürfen, um sich wechselseitig zu stützen und voneinander zu profitieren, war noch im letzten Haustarifvertrag festgeschrieben. Doch der wurde nicht erneuert. Jetzt scheint nichts mehr sicher: Abteilung für Abteilung, Redaktion für Redaktion werden unter die Lupe genommen. Was kostet‘s? Was bringt‘s? Auf der Streichliste stehen vor allem Beschäftigte und Tarifverträge. Zunächst Rechnungswesen und Controlling. Die Arbeit wandert ab in die Zentrale des Mehrheitseigners DuMont Schauberg nach Köln, die 16 Beschäftigten in Frankfurt werden entlassen. Eine so genannte Design GmbH mit Infografik, Layout, Bild, technischer Redaktion und Produktionssteuerung soll mit rund 35 Männern und Frauen ab Juli auf eigene Rechnung arbeiten. Für sie sollen jedoch nicht mehr die Branchentarifverträge, sondern vermutlich der Tarifvertrag für den Groß- und Außenhandel gelten. Das ist fürs Unternehmen billiger.
Als das Kölner Verlagshaus DuMont Schauberg vor zwei Jahren im Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main einstieg, waren die Erwartungen der Belegschaft groß. Damals verkaufte die SPD-Medienholding ihre Anteile bis auf 40 Prozent. 50 Prozent plus eine Stimme hält seitdem der viertgrößte Zeitungsverlag DuMont Schauberg. Er schien geeignet: ein potenter Geldgeber und ein klassischer Verleger dazu. Der sollte der angeschlagenen Frankfurter Rundschau (FR) auf die Füße helfen und genügend Geduld für eine lange Sanierungsphase mitbringen. Von dieser Hoffnung ist wenig übrig geblieben. „Wir sind lediglich der Satellit eines Konzerns“, sagt Betriebsratsvorsitzende Ingrid Eckert.

Ausgründungen und Leiharbeit

Betriebsrat und ver.di fürchten, dass der Design GmbH weitere Ausgründungen folgen werden, mit denen sich das Druck- und Verlagshaus ebenfalls aus den Branchentarifen stehlen will. Geschäftsführer Karl-Heinz Kroke möchte sich dazu nicht äußern, um in der laufenden Tarifauseinandersetzung „die Gesprächsatmosphäre nicht zu belasten“. Chefredakteur Uwe Vorkötter verteidigt die Ausgründung der 100prozentigen Tochtergesellschaft, an deren Konstruktion er mitarbeitet. Was bisher an verschiedenen Stellen im Hause erledigt würde, werde nun in eine Gesellschaft unter dem Dach der FR zusammengeführt. Allerdings nicht mehr zum üblichen Niveau. „Die Frankfurter Rundschau kann sich die Tarifverträge für die Druckindustrie und für Redakteure an Tageszeitungen nicht mehr leisten.“ Eine neue Organisationsform, wie die Ausgründungen genannt werden, könnten auch die Außenredaktionen erhalten. „Kleine Regionalverlage“ stellt sich Vorkötter hier als Modell vor. Aber auch nicht zu Redakteurstarifniveau.
Das ist schon jetzt nicht der Fall. Denn die FR hält sich rund 50 Leihjournalisten. Beschäftigt bei der Pressedienst Frankfurt GmbH, ausgeliehen an die FR. Ein Beispiel: Ein ausgebildeter Agenturjournalist erledigt für 15 Euro pro Stunde die Arbeit eines Redakteurs. Davon wird ihm monatlich noch etwas abgezwackt, was ihm später als Urlaubs- und Weihnachtsgeld ausgezahlt wird. Im November läuft sein Vertrag aus. Ein paar Leihbeschäftigte gehen in die Design GmbH über, wie es für die anderen weitergeht, ist unklar. Eine Gesamtstrategie legt der Verlag ebenso wenig offen wie einen Unternehmensplan. Umso mehr brodelt es in Druckerei, Büros und Redaktionen.
Rund 150 Beschäftigte sind dem Aufruf der ver.di-Vertrauensleute zu einer „Denkpause“ gefolgt. Komplette Ressorts protestierten vor dem Rundschau-Haus gegen Entlassungen, Tarifflucht und Ausgründungen. Schließlich habe die Belegschaft, von einst 1.650 Beschäftigten dezimiert auf 580, im Rahmen von Haustarifverträgen bereits auf tarifliche Leistungen im Gegenwert von über 40 Millionen Euro verzichtet. Die Gegenwehr provozierte nicht zuletzt der Verlag selbst, der in persönlichen Briefen an jeden Beschäftigten eindringlich vor den wirtschaftlichen Folgen eines Streiks warnte.
ver.di hat der Geschäftsführung jetzt einen Katalog mit Forderungen vorgelegt. Erstes Ziel ist, die Ausgründungen zu verhindern und alle Beschäftigten unter dem Dach des Druck- und Verlagshauses zu belassen. Außerdem soll über einen Tarifsozialplan verhandelt werden. Und für den darf auch gestreikt werden. Es ist ein Ressortleiter, der sagt: „Mit der Rundschau, die ich kenne, hat dieser Laden nichts mehr zu tun.“

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