Anstatt die Klischees in ihren eigenen Köpfen zu hinterfragen, stellen die Lohnlückenleugner lieber die Zahlen des Statistischen Bundesamtes infrage, auch gern am 18. März, dem Equal Pay Day. Henrike von Platen, CEO und Gründerin des Fair Pay Innovation Labs, über die absurden Argumente, mit denen die Lohnlückenleugner alle Jahre wieder auftrumpfen, um die Lohnlücke klein- oder schönzureden.
Alle Jahre wieder höre ich zum Equal Pay Day die immer gleichen Stimmen. „Absurd!“, rufen die – meist männlichen – Lohnlückenleugner und vermuten hinter den zugebenermaßen unschönen Zahlen, die das Statistische Bundesamt jährlich zum Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen erhebt, nichts als fiese feministische Propaganda. „Die können einfach nicht rechnen, die Frauen!“, halten die Kerle dann in schöner Regelmäßigkeit dagegen. Nach meinem Dafürhalten ist das ja ungefähr genauso überzeugend wie die Behauptung, Frauen könnten einfach besser putzen als Männer, weil sie mit ihren kleinen Händen viel besser in die Ecken kämen.
Im nächsten Schritt rechnen die entrüsteten Männer dann selber einmal nach und die Lohnlücke klein, bis nichts oder kaum noch etwas von ihr übrigbleibt. Das nennt man bereinigen. Tatsächlich lassen sich einige der vielen Gründe für den Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen erklären. Das Problem dabei ist nur: Bloß weil ich eine Ungerechtigkeit erklären kann, ist sie noch lange nicht aus der Welt.
Interessanterweise folgt dann auf die Feststellung, dass es doch überhaupt gar keinen Gender Pay Gap (und ergo auch keinen Handlungsbedarf) gibt, in 99 von 100 Fällen eine Handvoll weiterer Argumente, die in Summe alle nur das Eine sagen: „Die Frauen sind doch selber schuld!“
Es ist ein bislang ungelöstes Rätsel, wie die Frauen an etwas Schuld sein können, was es gar nicht gibt. Über diesen Widerspruch sprechen Lohnlückenleugner nach meiner Erfahrung weniger gern. Stattdessen ziehen sie nach dem „Es gibt doch gar keinen Gender Pay Gap“-Joker lieber die „Selber Schuld“-Trümpfe aus der Tasche.
Erster Trumpf: „Die Frauen entscheiden sich doch selbst für Kinder, wollen Teilzeit arbeiten und suchen sich schlecht bezahlte Berufe aus.“ Inwiefern diese Dinge im Einzelfall tatsächlich Resultat eines bewussten, freien und individuellen Entscheidungsprozesses sind, sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass sich Männer wie Frauen, besonders aber die Frauen in Deutschland im Jahre 2018 mit Herausforderungen konfrontiert sehen, für die sie nicht die geringste Verantwortung tragen: Kinder sind ein Armutsrisiko, kaum mit einer Vollzeittätigkeit zu vereinbaren, und typische „Frauenberufe“ noch immer schlechter bezahlt als „Männerberufe“. Für all diese Probleme gibt es strukturelle Ursachen, die keine Frau im Alleingang lösen wird, indem sie sich gegen Kinder, für eine Vollzeitstelle oder für einen MINT-Beruf entscheidet.
Selber Schuld seien die Frauen trotzdem, da lassen sich die Skeptiker nicht so leicht den Wind aus den Segeln nehmen und zücken sogleich den zweiten Trumpf: Es läge nämlich ohnehin alles sozusagen in der Natur der Sache, da Frauen einfach mehr Wert auf die Work-Life-Balance legen, unbedingt Familien gründen und sich selbst um die Kinder kümmern wollen. Kerle könnten ja schließlich keine Kinder kriegen, und sowieso wären sie ganz anders: Männer arbeiten eben gern, mögen Konkurrenz und lieben den Wettbewerb.
Im Ernst? Frauen sind eben so, und Männer sind eben anders?
Tatsächlich ist es eine sehr individuelle Entscheidung, Kinder zu bekommen oder nicht. Ebenso individuell sollten Paare entscheiden können, wie sie Familien- und Erwerbsarbeit aufteilen wollen. Manche Frauen wollen oder können gar keine Kinder bekommen, manche Männer möchten Väter sein und ihre Kinder ab und zu mal sehen. Die Arbeitszeitwünsche von Frauen und Männern zeigen: Frauen würden gerne mehr arbeiten – und Männer weniger. Nur spiegelt die Arbeitsmarktrealität diese Wünsche bisher nicht wider.
Trotzdem selber Schuld, Trumpf Nummer drei: „Frauen können ja noch nicht einmal verhandeln.“ Fakt ist: Frauen verhandeln nicht schlechter, sondern anders als Männer – vor allem werden ihre Forderungen anders bewertet. Eine Frau ist nicht durchsetzungsstark, sondern zickig. Schuld an schlechteren Verhandlungsergebnissen ist unser Schubladendenken – und die Intransparenz in Bezug auf die Verhandlungsspielräume. Auch dieses Problem wird keine Frau im Alleingang lösen.
Natürlich schadet es nicht, sich bessere Verhandlungstechniken anzueignen. Sehr viel zielführender wäre es allerdings, die Personalabteilungen und Führungskräfte zu schulen und vorurteilsfreie Gesprächsführung zu trainieren. Wenn wir außerdem klare gesetzliche Vorgaben schaffen und für mehr Transparenz in den Unternehmen sorgen, könnte sich eventuell auch endlich etwas an den Zahlen ändern. Denn wie die immer gleichen Argumente der Lohnlückenleugner scheinen auch die Zahlen in Stein gemeißelt: Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dauert es noch Jahrhunderte bis zur Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Damit sich der Gender Pay Gap endlich schließt, sind wir alle gefragt, die Klischees in unseren Köpfen zu hinterfragen – und nicht die Zahlen des Statistischen Bundesamtes.