Vom Roten Teppich zu Hartz IV

Finanzielle Situation von Schauspielern keinesfalls rosig

Vom Roten Teppich zu Hartz IV. Für viele der 20.000 Film- und Fernsehschaffenden in Deutschland ist dies seit Jahren bittere Realität. Mit dem umstrittenen Änderungsgesetz zum Bezug von Arbeitslosengeld 1, das am 1. August 2009 in Kraft trat, wollte die Große Koalition ihnen unter die Arme greifen. Ob das Gesetz die Lage der Betroffenen verbessert, soll jährlich überprüft werden. Nach drei Jahren wird dann evaluiert. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Kritiker Recht behalten. Das Gesetz geht wohl an den spezifischen Bedingungen der Branche vorbei. Um dies mit eigenem Datenmaterial zu unterlegen, hat der Bundesverband Film von ver.di eine Umfrage gestartet. Bis zum 31. März können sich Filmschaffende unter http://umfrage.connexx-av.de beteiligen.

Tatort-Kommissarin beim Arbeitsamt skandalisierte die Boulevardpresse und stellte Ulrike Folkerts als Sozialschmarotzerin hin. „Ich kann von meiner Gage bei den Tatorten gut leben. Auch wenn sie bei weitem nicht so hoch ist, wie die Zahlen, die mal verbreitet wurden,“ kontert die beliebte Schauspielerin. „Ich melde mich in der drehfreien Zeit beim Arbeitsamt, denn ich möchte später eine Rente bekommen, für die ich die lückenlose Beitragszahlung belegen muss.“
Tausende Filmschaffende ohne übertarifliche Gagen haben nicht das finanzielle Polster wie Ulrike Folkerts, Monate ohne Aufträge finanziell abzufedern. Arbeitslosengeld bekommen nur die wenigsten, obwohl alle einzahlen müssen. In letzter Sekunde wollte die Große Koalition ihre Situation verbessern. Auf Druck von Finanzminister Peer Steinbrück entstand jedoch ein kompliziertes Regelwerk, von dem die Vertreter der Kreativen sofort befürchteten, es gehe an den Interessen der Beschäftigten vorbei.
Wer Arbeitslosengeld erhalten möchte, muss in zwei Jahren mindestens sechs Monate angestellt gewesen sein. Der sozialversicherungspflichtige Verdienst darf in den letzten 12 Monaten vor der Antragstellung nicht höher als 30.240 € brutto sein, was dem Jahres-Durchschnittsentgelt der abhängig Beschäftigten entspricht. Die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der auch Beiträge bezahlt werden und sonst ALG I gewährt wird, ist allerdings doppelt so hoch. Die Dauer der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse sollte sechs Wochen nicht überschreiten, wenn doch, kann dies bei einer einmaligen Überschreitung durch viele kurzfristige Engagements wieder ausgeglichen werden. Ein Kameramann, der an einem Spielfilm im Schnitt 15 Wochen arbeitet, müsste also 15 Wochen plus einen Tag aus anderen Verträgen zusammen bekommen.
Die BEMA Forschungsgruppe an der Uni Münster befragte im Auftrag des Bundesverbands der Film- und Fernsehschauspieler im August/September 2010 dessen Mitglieder nach deren Erfahrungen. Danach sind nur 4,6% der Betroffenen zusätzlich in den Genuss von Arbeitslosengeld gekommen 50,7% der 700 Mitglieder des BFFS, die sich beteiligten, gaben aber an, in den letzten zwei Jahren weniger als sechs Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen zu sein.
Fast 40% der Schauspielerinnen und Schauspieler scheitern an der zweiten Hürde, die eine Befristung der Engagements auf höchstens sechs Wochen vorsieht, wobei sich hier vor allem Theaterengagements negativ auswirken. 68,1% der Befragten gaben an, in den letzten 12 Monaten weniger als 30.240 Euro verdient zu haben, womit sie immerhin die dritte Hürde des Reformgesetzes erfüllen. Gut ein Drittel der Betroffenen liegt darüber. Sie haben damit keine Chance ALG I zu erhalten, obwohl sie besonders viel eingezahlt haben.
Die Leiterin der Studie, Prof. Dr. Andrea D. Bührmann, resümiert: „Unsere Studie zeigt, dass die finanzielle Situation von Schauspielern und Schauspielerinnen keinesfalls rosig ist. Öffentliche Wahrnehmung und Schauspieler-Realität liegen zumeist weit auseinander.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

KI darf keine KI-Texte nutzen!

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »