Briefe an «M» 12/2002

Filmkritik in Auflösung

„Traut sich keiner Tacheles zu reden?“ in «M» 9/2002

Mutig und interessant fand ich den Artikel „Traut sich keiner Tacheles zu reden?“ Ich habe selbst jahrelang als Filmkritikerin gearbeitet und führe die mangelnde Kritik an Sexismus, Rassismus etc. auch im Independent-Film nicht nur auf die indirekte Zensur der Redakteure oder Verleiher zurück, sondern auch auf die Tatsache, dass 80 Prozent der Filmkritiker männlich ist und wir im Zeitalter der Postmoderne leben, wo sowieso alles nicht so gemeint ist und wer das anders sieht, einfach den Film nicht versteht oder keinen Spaß. Zudem ist Film immer weniger Kultur, sondern Ware, und daher macht auch die Rezension immer weniger Sinn. Der kritiklose Diskurs findet sich wesentlich deutlicher in der DVD / VHS-Kritik, wo filmanalytische Kenntnisse und inhaltliche Kritik überhaupt nicht mehr gefragt sind. Die Filmkritik wird sich langsam aber sicher auflösen, von einigen Ausnahmen abgesehen, und hat auch den Namen nicht verdient, eher in Anlehnung an Warengüter, Filmtester oder Filmpromoter oder ähnliches. Ein Auto wird ja auch nicht kritisiert, sondern getestet.

Nicoläa Grigat
per E-Mail


 

Eigentümliche Vorstellung

„Traut sich keiner Tacheles zu reden?“ in «M» 9 / 2002

Wenn ich in meiner Gewerkschaftszeitschrift etwas lese, das sich im Prinzip mit Zensur beschäftigt (denn darauf laufen die Vorwürfe der Autorin ja hinaus), dann würde ich mir doch einen Text wünschen, der mehr Fundament hat als eine Umfrage bei zehn freien Filmjournalisten und die Verärgerung der Autorin darüber, dass ihr Verriss über Pedro Almod—vars Film „Spricht mit ihr“ nicht gedruckt wurde. Ist der Autorin und der Redaktion eigentlich nicht aufgefallen, dass die (teilweise wirre) Argumentationskette des Artikels nur ein Ergebnis zulässt: Nämlich dass alle Sichtweisen und Ansätze, die von denen der Autorin (red.) abweichen, völlig inakzeptabel sind? Das ist schon paradox: Da behauptet jemand, gegen Zensur zu schreiben – und gleichzeitig sind es genau die Leute … , die es einem schwer bis unmöglich machen, Texte zu veröffentlichen, in denen man z.B. Stierkampf als spanisches Kulturphänomen einfach nur zur Kenntnis nimmt. … Soll es künftig einen Literatur- und Bücherkanon geben, der gelesen und verinnerlicht werden muss, bevor man sich an die Tastatur setzt? Eine eigentümliche Vorstellung vom Kampf gegen die Schere im Kopf ist das.

Nikolaus Nützel
per E-Mail


 

Honorarerweiterung

„Freienbeirat beim ORB gegründet“ in «M» 10 – 11/2002

Bitte betrachten Sie diese Zeilen als Gutschein über 12 Cent für ein Telefonat, mit dem Sie in Erfahrung hätten bringen können, dass die Honorare bei Fritz nicht, wie Sie schreiben „unterdurchschnittlich“ sind, sondern exakt den Vorgaben des Honorar-Rahmens des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg entsprechen. Weiterhin hätte ich Ihnen gerne erklärt, dass sich hinter einer „handstreichartigen Kürzung“ von Honoraren die Erweiterung des Honorartopfes für freie Mitarbeiter um einen stattlichen fünfstelligen Eurobetrag verbirgt. Ich glaube auch, dass wir schnell Einverständnis darüber erzielt hätten, dass es völlig abwegig wäre, eine Job-Description als Executive Producer, die sich freie Mitarbeiter selbst ausgedacht haben, von oben abzuwürgen. Bei diesem Gespräch hätte ich Ihnen auch verraten können, dass dieser E-Producer mitnichten „Aufnahmeleitung, Tages- und Programmredaktion“ übernehmen muss, sondern lediglich die redaktionelle Realisation einer Sendung zur Aufgabe hat, was den Aufwand doch erheblich begrenzt und was mit dem genannten Tagessatz wirklich angemessen honoriert wird. Professionalisierung betreiben wir bei Fritz nicht hinter einem „Deckmäntelchen“, sondern völlig offen, offensiv und, wenn ich das so sagen darf, auch kostenintensiv. Wir tun dies, um ein qualitativ hochwertiges Programm produzieren zu können und um die Berufschancen unserer freien Kollegen zu verbessern. …

Konrad Kuhnt
Fritz-Chefredakteur


 

Falscher Eindruck

„Freienbeirat beim ORB gegründet“ in «M» 10 – 11 /2002

In dem Artikel über den Freienbeirat im ORB entsteht fälschlicherweise der Eindruck, dass alle Redaktions-Honorare beim ORB-Jugendradio „Fritz“ gekürzt wurden. Das ist so nicht richtig, vielmehr wurde ein Honorarposten in der Redaktion gekürzt, obwohl die Aufgaben der Kollegen ausgeweitet wurden.
Im weiteren kann der Eindruck entstehen, die „Executive Producer“ (EP) ersetzten die bisherigen Aufnahmeleiter, Tages- und Programmredakteure. So schlimm ist es beim ORB nicht, aber die Eps erfüllen Aufgaben aus den genannten drei Bereichen und werden mit einem Tagessatz bezahlt, der tariflich als „einfache redaktionelle Mitarbeit“ eingestuft ist.

Jürgen Schäfer
Sprecher des Freienbeirats


Umkehrbarer Denkfehler

„Hände weg vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ in «M» 10 – 11/2002

Der Bericht über die Protestaktion der KollegInnen aus Bremen und dem Saarland hat mir ein ambivalentes Gefühl gegeben. Es hat mich einerseits motiviert diesen Brief zu schreiben, andererseits hat es mich wieder daran erinnert, dass ich selbst Betroffene bin. … Ich sehe … Einstellung der fremdsprachigen Sendungen … als einen umkehrbaren Denkfehler der Politik. ARD soll die muttersprachlichen Sendungen für Zuwanderer nicht streichen, sondern die damit verbundene Verantwortung weiter tragen. Denn muttersprachliche Sendungen spielen vor allem beim Integrationsprozess der Zuwanderer eine wichtige und effektive Rolle. Sie sind die einzige objektive und unabhängige Informationsquelle in der BRD. Außerdem: Journalisten und Journalistinnen, die aus Migrantenfamilien kommen, machen die Migranten in ihrer eigenen Sprache mit den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen in der BRD vertraut. Man darf nicht vergessen, dass die muttersprachlichen Sendungen der ARD-Anstalten ein Teil der Migranten-Geschichte, eine Garantie der Meinungsvielfalt der Migranten und eine wichtige alternative Informationsquelle zu den staatlich kontrollierten Informationsquellen in den Heimatländern sind. Und nicht zuletzt sind Förderung und Pflege von Minderheitensprachen sowohl im Grundgesetz der BRD, als auch in der Charta der Grund rechte der EU verankert. …

Alic Günther
Bergkamen


 

Einiges durcheinander

Leserbrief zu Sinti und Roma in «M» 10 – 11/2002

Mit Befremden habe ich den Leserbrief des Herrn Valentin Werbitz zum Artikel „Diskriminierung einer ethnischen Gruppe“ (M 7 – 8 / 2002) gelesen. Herr Werbitz bringt in seinen Ausführungen zur Bezeichnung unserer ethnischen Minderheit einiges durcheinander. Seine Erläuterungen sind definitiv falsch. In Rumänien gibt es so gut wie keine Sinti, sondern nur Angehörige verschiedener Roma-Gruppen. Er hat nicht erkannt, dass das Volk nicht „Sinti und Roma“ heißt, sondern dass es sich hier um zwei verschiedene Volksgruppen handelt. Zudem favorisiert er die Fremdbezeichnung „Zigeuner“, was nicht nur beleidigend sondern sprachgeschichtlich auch noch falsch ist.
Die Bezeichnung „Zigeuner“ verwenden viele immer noch, obwohl sie wissen (oder zumindest wissen sollten), dass sich Sinti und Roma selbst nicht so bezeichnen. Die Selbstbezeichnung „Sinti“ als auch „Roma“ sollte respektiert werden.

Erich Schneeberger
per E-Mail


 

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