Der Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, Murat Sabuncu, und vier weitere Journalisten sind Medienberichten zufolge in der Türkei festgenommen worden. Insgesamt soll die Staatsanwaltschaft die Verhaftung von mehr als einem Dutzend Mitarbeitern des Blattes angeordnet haben. Zehn Tage nach Verlängerung des Ausnahmezustandes in der Türkei lässt die Regierung zudem 15 vor allem prokurdischen Medien schließen, darunter die kurdische Nachrichtenagentur DIHA. Mit Entsetzen reagierte die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di auf die erneute Verhaftungswelle in türkischen Medien.
„Auch wenn keine Kursänderung von Präsident Erdogan absehbar war, macht es doch jedes Mal erneut fassungslos, wenn wieder kritische Medien mundtot gemacht werden. Die Schäden, die daraus für das Land und seine Gesellschaft entstehen, sind nachhaltig. Es ist vollkommen unverständlich, dass die EU und die Bundesregierung diesem Entkernen einer Demokratie keinen stärkeren Widerstand entgegen setzen“, sagte die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, Cornelia Haß. Zu bewundern sei der Mut, mit dem sich kritische Kolleginnen und Kollegen auch weiterhin über Blogs und ausländische Medien Stimme und Gehör in der Türkei verschaffen. „Sie zu unterstützen ist derzeit unsere wichtigste Aufgabe“, kündigte Haß an.
Das Vorgehen gegen die prokurdischen Medien wird mit dem Vorwurf begründet, dass sie Propaganda für die verbotene prokurdische Arbeiterpartei PKK betrieben. Bei „Cumhuriyet“ würde neben den Festnahmen nach dem Zeitungsvorstand Akin Atalay und dem Kolumnisten Güray Öz gefahndet, vermeldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolou. In der Mitteilung der Staatsanwaltschaft, die von „Cumhuriyet“ veröffentlichte wurde, wird der Zeitung vorgeworfen, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung des Predigers Fethulla Gülem unterstützt zu haben. Es gebe „Behauptungen“ und „Beweise“, dass die Verdächtigen kurz vor dem Putschversuch am 15. Juli Inhalte veröffentlicht hätten, die den Aufstand legitimieren sollten. „Cumhuriyet“ berichtet außerdem, dass die Staatsanwaltschaft den Festgenommenen fünf Tage lang den Kontakt zu Anwälten untersagen wolle. Dies sei aufgrund der derzeit in der Türkei geltenden Notstandsdekrete möglich. Verdächtige müssten erst nach 30 statt bislang vier Tagen in Polizeigewahrsam einem Haftrichter vorgeführt werden.
Auch Ex-Chefredakteur Can Dündar, der sich in Deutschland aufhält, soll zur Fahndung ausgeschrieben worden sein. Dündars Haus in Istanbul sei durchsucht worden. Dündar und der Hauptstadtbüroleiter des Blattes, Erdem Gül, waren nach Enthüllungen der Zeitung unter anderem über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien festgenommen und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Gegen Dündar und Gül ist ein weiteres Verfahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation anhängig. Die nächste Verhandlung in diesem Fall ist für den 16. November angesetzt.
Am vergangenen Wochenende waren in der Türkei außerdem weitere 10.000 Staatsbedienstete entlassen worden. Betroffen sind nach einer offiziellen Regierungsmitteilung vor allem Bedienstete des Bildungs-, Justiz- und Gesundheitsministeriums.
M berichtete regelmäßig über die Repressionen gegen Medien in der Türkei:
https://mmm.verdi.de/internationales/tuerkei-und-berlin-schweigt-34843
https://mmm.verdi.de/internationales/tuerkei-rog-fordert-ende-der-hexenjagd-auf-journalisten-33003